Intervention in der Flügelstraße

Der Frühling bringt eine frische Brise: Abseits des verkrampften sozialen Anspruchs und des lästigen Mitteilungsbedürfnisses mancher Wandmaler der Stadt, beweist ein Laie, dass die Straße jedem Mann gehört und dass Street Art durchaus auf Wände verzichten kann – und dies mit einer angenehmen Gelassenheit.

Pünktlich zum Frühlingsanfang und zu den ersten Sonnenscheinen hat Herr Ökkes Yildirim, seinerzeit Besitzer des Büdchens an der Ecke Flügelstraße/Linienstraße und glücklicher Oberbilker, die Straße zu einem surrealistischen Schauplatz verwandelt. Geschätz 200 Gitarren hat er an die Bäume gehängt – bis Anfang April verzaubern sie den Himmel über der Flügelstraße.

Die Initiative geht allein auf Yildirim zurück, der seine Zeit und sein Geld in diese Angelegenheit engagiert hat und sich damit scheinbar eine Freude machen wollte. Gerade diesen privaten Impuls und die Abwesenheit von jedem ideologischen Hintergrund macht diese Intervention begrüßenswert. Es ist zwar kein revolutionärer Akt, der die Geister noch lange prägen wird, aber eine freie Geste, die unbedingt nachgeahmt werden soll.

Eine Künstlerin, die ich zufälligerweise vor Ort traf, fand das Ensemble „zu dekorativ“ und hätte lieber nur einen bestückten Baum gesehen. Meinerseits habe ich mich dabei nie gefragt, ob wir vor einem Kunstwerk stehen würden und dieses im Kontext des Kustbetriebs beurteilt werden sollte. Die aktive Inbesitznahme des öffentlichen Raums und der Akt der „Verzauberung des Realen“ sind an sich legitim genug, um die Intervention (ich will nicht von einer Arbeit sprechen) als gelungen zu sehen – auch wenn der „Hobbykünstler“ (wz-newsline.de) sich nicht nach den Regeln und im Kontext des Kunstsystems artikuliert.

Und was sagt der Sonntagskünstler dazu? Laut Medienbericht, wollte er „Oberbilk positiv darstellen“ (wz-newsline.de). Soso. Bei soviel bürgerlichem Engagement sollte die Marketingabteilung der Stadt Düsseldorf , die ihrerseits mit dem „blauen Band am Rhein“ den Frühling bemüht  (diese Krokusse an den Rheinterassen, die das Natur-Tourismus-Event der Woche bilden), sich herzlich bei Yildirim für seine Initiative zur Erhöhung der Lebensqualität im Stadtteil bedanken.

OLIVER GATHER im Showroom Tina Miyake

Vom genius loci zur Mikrosoziologie: In der Vergangenheit ist Oliver Gather vor allem durch Aktionen aufgefallen, die sowohl auf die historischen, politischen und soziologischen Komponente eines Ortes eingingen als auch dessen immante poetische Qualitäten unterstrichen. Dann kam ein leichter aber unerwarteter Schwenk, und auf einmal waren es mehr Menschen als Systeme, die Gather interessierten. Menschen mit ihren kleinen Geschichten, ihren alltäglichen Strategien und ihren unspektakulären Methoden, den Raum zu erobern. Im Show-Room der Modedesignerin Tina Miyake ist die letzte Entwicklung des unerwarteten Schwenks zu sehen.

Oliver Gather (links mit Handschuhen) vor seiner Sammlung. Foto: Christof Wolff (www.null-zwo-elf.de)

Der Künstler als Sammler: Die CarSpamCardCollection (auf gut deutsch: Autohändlerkarten-sammlung) des Düsseldorfers Oliver Gather ist eine einmalige Anthologie von Kärtchen, die Autofahrer meistens auf ihren Windschutzscheiben finden und, nebst einer anekdotischen Fotografie und einer großgeschriebene Telefonnummer, das prizipielle Kaufinteresse eines Autohändlers bekunden, Fahrzeuge aller Arten und in aller Zuständen zu kaufen. In der Regel werden die Kärtchen direkt weggeschmissen und geraten, wie andere Flyers für Pizza-Lieferungsservices oder private Flohmarktankündigungen, sofort in Vergessenheit. Genau da setzt Gather ein. Wie ein Dipterologe (vgl. www.duden.de; auch sehr nützlich: www.klugscheisser.de) des 19. Jahrhunderts dringt er in die urbanen Djungel unserer Städte ein und verfolgt die Spuren der Kärtchen auf dem Boden. Man stellt sich Gather mit Tropenhelm und Schmetterlingnest vor, jubilierend vor jedem neuen Exemplar, das er vom Gulli retten kann.

Foto: Peter Podkowik

Diese Nebenprodukte der Dienstleistungsgesellschaft werden liebevoll aufgelesen und in eleganten Holzkisten zusammen getragen. Gather recycelt also das Recyclingsangebot von Second-Hand-Händlern und wertet es auf – schon durch seine bloße Aufmerksamkeit. In seiner Wunderkammer des Trivialen entwickelt er dann eine Taxonomie der Kärtchen, die nach Anbieter, Farben, Bildmotiven oder rhethorischen Formeln klassifiziert werden. Diese penibel und konzentrierte Tätigkeit, die sicherlich auf irgendwelchn Urtriebe der Menschheit zurückzuführen ist und sich jedenfalls auf jedes beliebige Objekt ausweiten lässt (so sammeln manche Schweizer ihr Leben lang Kaffeesahne-Deckel), gepaart mit dem systematischen Vorgang der Klassifizierung, lädt plötzlich die unbeliebte Werbung mit einer neuen Wertigkeit auf und zieht sie regelrecht aus dem Domäne des Abfalls und stellt sie auf dem Podest des Edlen und Wertvollen.

Foto: Peter Podkowik

Ich glaube nicht, dass Gathers Sammlung eine erneute Parodie auf das manische Verhalten des Sammlers (wie bei Feldmann oder Collin-Thiébaut) oder ein ironischer Kommentar der musealen Institution und der Entstehung von Werten (wie bei Broodthaers) ist. Natürlich geht es hier auch – wie erwähnt – um die Statusfrage des ausgestellten, bzw. gesammelten Objektes und um die Legitimität mancher Kunstwerte. Aber es scheint eher das Interesse an soziologischen Phänomenen zu sein, die den Künstler zu dieser absurden Tätigkeit führt. Diese Karten verweisen nämlich nicht nur auf das Geschäft mit gebrauchten Wagen hin; sie sind die konkreten Spuren des Verteilers, der durch die Stadt geht und sich gezwungenermaßen die Strassen aneignet. Wie Hänsel und Gretel hinterlässt er Spuren aus buntem Plastik; unbewusst markiert er seinen Weg und macht sein Parcours sichtbar – Gather läuft nach und hält den Streifzug fest.

Ich weiß, dass Gather sich für diese Art von winzigen, unbedeutendsten Spuren unserer Zivilisation interessiert, und dass er auf solche gesellschaftliche Mikrointeraktionen besonders achtet und sie in seine Arbeit integriert; ich weiß, dass Gather diese ansonsten unbeachteten Spuren als Indikatoren unserer Beziehung zum Raum versteht. In dieser Hinsicht ist diese kleine Ausstellung der originelle Beitrag eines Künstlers zur Mikrosoziologie.

Ausstellung bis zum 16.4.2011

Showroom Tina Miyake

Ackerstr. 39

www.tinamiyake.de

Danke an die zwei Fotografen ! Endlich bekommt dieser Blog vernünftige Bilder.