INTERMITTENZ bei BARTLEBOOTH & SMAUTF

Dass die Düsseldorfer Off-Szene nicht allein aus den Absolventen der Kunstakademie und der FH oder aus den Arty-Spontis der Kreuzung Friedrichstadt/Bilk besteht, wissen wir hier spätestens seit dem letzten Eintrag: Die drei Betreiberinnen von d-52 sind nämlich angehende Kunsthistorikerinnen, die in ihrer unmittelbaren Auseinandersetzung mit lebendiger Kunst einen entscheidenden Beitrag zur selbstorganisierten Szene leisten. Nun zeigte für eine knappe Woche einer ihrer Kommilitonen eine Gruppenausstellung in seiner Wohnung. Martin Wolthaus ist sein Name.

Der überaus freundliche Martin Wolthaus ist eigentlich im Schloss Dyck beschäftigt und, parallel dazu, schreibt eigenständig an den Fußnoten seiner Dissertation. Aber als er vor kurzem eine kleine Wohnung auf der Himmelgeister Straße kaufte und diese nicht sofort beziehen konnte, kam er auf die abwegige Idee, eine Ausstellung in den leeren Räumen zu organisieren. Und so lud er sechs Künstler ein, die zuvor auf dem Rundgang der Kunstakademie gesichtet oder empfohlen wurden, und platzierte sie mit einem ausgesprochen feinem Sinn für den Raumcharakter in drei Zimmer.

Katharina Maderthaner

Nur eine dieser Künstler, nämlich Katharina Maderthaner, ließ sich von dem Ort inspirieren und entwickelte eine spezifische Intervention in der Küche. Diese Arbeit, eine chamäleonische Wandinstallation, verschmolz so gut mit ihrer Umgebung, dass sie von einigen Besuchern nicht auf Anhieb als Bestandteil der Ausstellung erkannt wurde. Die leicht hervorspringende Erhebung, die vage an eine Toastbrot-Scheibe erinnert, war perfekt eingebaut und gab den Eindruck, seit einer Ewigkeit an diesem Ort zu stehen. Was ihren skurrilen und mysteriösen Charakter noch betonte.

Benjamin Zanon

An der gegenüber liegenden Wand waren Kupferstiche von Benjamin Zanon, einem Deacon-Schüler, zu sehen. Die Drucke evozieren Karten von Megastädten monströser Ausmaßen, oder aber – weniger evident – organische Gebilde, die sich in den Raum ausdehnen. Venen/Schnellstraßen schneiden die breiten Zellen/Wohnblöcke und organisieren die komplex strukturierte Bildfläche in ungleich behandelten Bereichen. In einem fortwährenden Vorgang des Verdichtens, zeichnet Zanon eine Topografie des Rhizoms und, gegen die Leere kämpfend, füllt allmählich die freien Bereiche seiner Platten mit winzigen Zeichen. Die verschiedenen Stadien der Entwicklung gehen nicht verloren, denn jede Platte wird im Prozess der Radierung mehrfach, so dass der regelrechte Wachstum des Motivs zum integralen Bildbestandteil gemacht wird.

Heiko Räpple

Während die „Küchenwerke“ eine verhaltene und diskrete Wirkung ausübten, stellte das Wohnzimmer andere Weichen. Die Arbeit von Heiko Räpple, zum Beispiel, wurde über ein angefanges Loch in dem Boden platziert und bildete den interessantesten Ansatz des Schaus. Seine Skulptur gibt sich als abstrakte Komposition, deren Expressivität beim ersten Augenblick plump wirkt. Trotz der unleugbaren haptischen Qualität, fällt der ärmliche Kontrast zwischen dem Schaumstoffkörper und den spitzen Holzsplitter sofort auf.

Aber der Bezug dieser „Supernova“ zum Raum ist weitaus interessanter. Die Skulptur, die so aggressiv in den Raum hinausragt und, von einem Kern ausstrahlend, eine unheimlich dynamische und plastische Kraft entwickelt, weigert sich zugleich dem Raum. Auf einem Träger gebaut, in einer Ecke angebracht, bietet sie letztendlich nur eine singuläre Ansicht und wirkt beinah wie die Maske und die oberflächige, ironische Grimasse einer expressiven Skulptur.

Katharina Kiebacher

Zum Balkon hin wurde die Arbeit von Katharina Kiebacher projiziert. Die Ansichten von Glasgow, die die Künstlerin während einer City-Mapping geschossen hat, sind eine Ansammlung von banalen und funktionalen Gebäuden und gesichtslosen Straßen, die die Parallele zum Balkonblick und die ebenso unspektakuläre und wenig malerische Kreuzung zwischen Himmelgeister- und Kopernikusstraße sehr gut vertragen (da auch: kluge Platzierung). Die Präsentation der Fotos, die einen starken subjektiven und zugleich beiläufigen Blick aufweisen, waren nur für die Ausstellung realisiert worden.

Michael Koch

Der aufmerksame Betrachter hat möglicherweise im Nebenraum einige speckige Spuren an der Wand entdeckt, die die Stelle markieren, an denen ein Bett stand. Diese Ecke im Schlafzimmer war für eine Foto-Installation von Michael Koch prädestiniert: Das größte Bild des Ensemble zeigt ein geplatztes Kopfkissen woraus flauschigen Daunen entfliehen. Nahaufnahmen von weiteren weichen Materialien und Objekte, in dramatische, hell-dunkel-Kontraste inszeniert, vollenden die Wandebene.

Die dreidimensionale Entsprechung besteht aus gefalteten, mehr oder weniger weißen Tüchern und Stoffen. Schöne, schlüssige Arbeit, die formelle und sinnliche Verbindungen von einem Element zum nächsten (und auch zum Raum) schafft und aus wenigen Grundmaterialien eine starke erzählerische Dichte entfaltet.

Niels Sievers

Angesichts des subtilen Zusammenspiels von Raum und Werk, die die Ausstellung bis dahin aufwies, wirken die zwei kleinen Bilder von Niels Sievers ein wenig deplatziert. Nicht dass sie an sich enttäuschend wären: Die Landschaftsmotive im Miniaturformat, die auf CD-Hüllen gemalt wurden (die Notwendigkeit dieses Trägers habe ich immer noch nicht verstanden), weisen eine durchaus malerische Sensibilität auf. Es sind lakonische, naive und beinah romantische Gedichte, voller Stille und Nostalgie, die vorsichtig und behutsam geflüstert werden – geflüstert, um ihre zerbrechliche Schönheit nicht zu verschrecken. Nein – an sich sind die Arbeiten gelungen ; angesichts der besonderen räumlichen Situation hätte man sich jedoch eine offenere Auseinandersetzung mit der Wohnung gewünscht. Aber manche Maler sind so auf ihre Arbeit fixiert, dass sie ihre Umwelt vergessen…

Der überaus freundliche Martin Wolthaus gab zu, mit Intermittenz Blut geleckt zu haben – und künftig weitere Projekte kuratieren zu wollen. Da die Wohnung aber umgebaut werden soll, ist es nicht vorgesehen, eine Folge der Ausstellung an diesem Ort zu realisieren. Schade, eigentlich. Wir können nur hoffen, dass er beim nächsten Mal eine genauso glückliche Hand haben und eine genauso präzise Ausstellung realisieren wird…

Bartlebooth und Smautf sind übrigens die Hauptfiguren des exzellenten Romans von Georges Pérec „Das Leben Gebrauchsanweisung“. Diejenigen, die das Meisterwerk von Pérec gelesen haben, werden den Bezug zur Ausstellung sofort erkennen. Und diejenigen, die bisher auf das Buch verzichten konnten, haben nicht verdient, diesen Blog weiter zu lesen und werden gebeten, ihre Kiste auszuschalten und sich in eine Bibliothek oder Buchhandlung zu begeben. See you in 750 Seiten.

Intermittenz bei Bartlebooth & Smautf
kuratiert von Martin Wolthaus
Himmelgeisterstr. 33
26.3. – 1.4.2011
www.martin-wolthaus.de

NACHTSPEICHER23 ZU GAST BEI D-52

Vor einigen Wochen erhielt unsere schöne Stadt Besuch von einer Berliner Off-Initiative, dem Büro Adalbert, die ein Lokal an der Graf-Adolf-Straße okkupierte (s. Eintrag vom 17.2.). Seit wenigen Wochen ist nun eine Hamburger Off-Initiative zu Gast in unserer schönen Stadt zu Besuch und okkupiert die Hallen von d-52. Fazit: Off-Betreiber ganz Deutschland, vereinigt euch!

nachtspeicher23 ist ein Kollektiv von zurzeit 6-7 aktiven Mitgliedern, die sich in Hamburg Sankt-Georg eingenistet hat (www.nachtspeicher23.de). Die Gruppe hat sich erst 2008 gegründet, wirkt aber von hier aus hyperaktiv, wenn man erfährt, dass um die 20 Ausstellungen pro Jahr gestemmt werden. Neben diesem rasanten Ausstellungsbetrieb wird vor allem der Austausch zu fremden Gleichgesinnten gesucht – und zwar in höheren Maßen als bei anderen, vergleichbaren Off-Projekten. So fand bereits ein Transfer mit Berlin-Kreuzberg  (und zwar mit Scotty Enterprise) statt und die Vernetzung auf Bundesebene soll weiter gehen. Der erste Stich in der selbst ernannten Kunststadt Düsseldorf erfolgte auf informellem Wege: Sabine Rolli, eine der drei Betreiberinnen von d-52, erfuhr von der Hamburger Initiative und lud sie kurzerhand in die Landeshauptstadt.

Die Schau „Ein einzig‘ Rausch“ im d-52 ist also der erste konkrete Ausdruck dieser Vernetzung. Bevor die Düsseldorfer Vetretung sich im Laufe des Jahres auf die Reise nach Hamburg machen wird, präsentierte sich eine Auswahl aus neun Künstlern, die im Dunstkreis von nachtspeicher23 steht, bei uns. Und – auch wenn ich dort ein zu seltener Gast bin – ich muss gestehen, dass die Gruppenausstellung das (vorläufige) Beste ist, was ich inder Rather Straße gesehen habe. Trotz einer thematischen Bindung (es ging um das Rauschhafte im weitesten Sinne – also um Extase, Drogen, Visionen, Funkstörungen und Kopfschmerzen) und der Tatsache, dass viele Arbeiten nur für diese Gelegenheit geschaffen wurden, bleibt die Präsentation angenehm offen.

Malerei und Grafik sind die zwei bevorzugten Medien der Ausstellung,  was vermutlich an den logistischen Möglichkeiten des Transfers liegt. Anders als in Düsseldorf, wo der lange Schatten von Lüpertz & Co. noch Wirkung zeigt, halten sich  bei den Hamburgern gegenständliche und abstrakte Positionen in Balance. Und weil mein Leben aus anderen Nettigkeiten besteht, als nur Blogeinträge zu schreiben, kann und will ich nicht auf alle neun Künstler eingehen.

Thorsten Dittrich

Beeindruckt war ich besonders von den Arbeiten von Thorsten Dittrich, die die mediale Ausrichtung der Ausstellung am besten reflektieren: diese grafisch-betonte Malerei (oder malerische Zeichnung) sucht das Gleichgewicht zwischen freier Geste und geführter Linie – auch wenn Letztere noch zu sehr im Vordergrund steht. Die Gebilde, die  seine Kompositionen bestimmen und die sehr plastisch in Szene gesetzt werden (eigentlich: zu plastisch, denn dadurch werden sie ein wenig plakativ), wirken wie technoid-organische Körper, entstanden zugleich aus dem zufälligen Prozess der Malerei und dem kalkulierenden Geist eines Ingenieurs. Reminiszenzen an der  düsteren Sci-Fi-Welt eines H.R. Giger bleiben dabei nicht aus.

Es ist für meinen Geschmack zu viel inszenatorischer guter Wille dabei (die hell-dunkel-Effekte, die die „Gebilde“ in den Vordergrund bringen, sind unnötige, kitschige Elemente und die sauberen Farbkleckse an der Oberfläche bringen einen manierierten Tonfall, der fast an der Ernsthaftigkeit dieser Malerei zweifeln lässt); aber alles in allem sehe ich großes Potenzial und eine unleugbare Kraft in der Arbeit von Dittrich.

Gut gefallen haben mir auch die Installation und die „Bilder“ von Eva Koslowski, die mit Nylonstrümpfen arbeitet und das Fetischmaterial zieht, überlagert, reißt und auf zwei- oder dreidimensionale Flächen spannt. Es ergeben sich durchaus interessante grafische Strukturen, die aus der Schichtung der feinen Masche bestehen. Nett, kommt mir aber irgendwie bekannt vor.

Tanja Hehmann

Die Vignetten von Tanja Hehmann sind köstliche Miniaturen, in denen Figuren und Gegenstände in einen  surrealistischen Farbstrudel eingetaucht werden. Die Künstlerin, die den Austausch mit d-52 gemanagt hat, greift immer wieder auf Fotovorlagen zurück, die sie neu komponiert und koloriert, bis  die realistischen und malerischen Ebenen sich vollständig vermischen.  Ihre mal kompakten und kräftigen, mal dekorativen und spielerischen Verfremdungen lassen die vorgefundenen, banalen Alltagsituationen in einer bizarren und durchaus anziehenden Form- und Farbwelt stürtzen; ein Paralleluniversum voller verstörrender Schönheit, in dem das Vertraute und das Fremde eine Allianz wider Willen eingehen. Man fühlt sich unweigerlich an Max Ernst und Neo Rauch erinnert, und die post-surrealistische Ambiante der gesamten Leipziger Schule lässt grüßen. Aber die kleinen Arbeiten sind so gut, dass diese klare Ahnlehnungen nicht weiter stören. Eine Qualität, die sich übrigens in den großen Formaten von Hehmann nicht finden lässt –  ihre malerische Technik ist zu ungenau und ihre erzählerische Lust zu eindimensional.

Nora Chrosziewski

Die Kompositionen von Nora Chrosziewski sollten hier noch  Erwähnung finden. Es sind komplexe Ablagerungen von Farbschleiern, die geduldig geschichtet und präzis „gestoppt“ werden. Die Sedimente verdichten sich zu mehr oder weniger durchsichtigen Flächen, die das Bild letztendlich konstruieren – auch hier schwebt der Arbeitsmodus zwischen Loslassen und Kontrollieren.

Lena Oehmsen: Auszug aus einem Kommunikationsarchiv des 21. Jahrhunderts (1.1. - 31.1.2011)

Lena Oehmsen bildet die einzige eindeutige konzeptuelle Position der Ausstellung. Ihr zweigeteilter Beitrag ist eine nüchterne, distanzierte und fast kalt wirkende Auflistung von Bild- und Textmaterial, das sie bei Facebook gefunden und einen Monat lang gesammelt hat. Dieses Konvolut an Porträts, die die Freunde von Lena zu Selbstdarstellungszwecken in das soziale Netzwerk  eingespeist haben, wurden jeweils auf einen einzigen fantomhaften Schatten reduziert. Durch diese entkontextualisierende Verschiebung und Verfremdung sind nur noch Standardgesten und x-beliebigen Posen zu sehen, sinnentleert und leicht morbid – eine schwarze Armee von gut gelaunten Klonen, die in die Kamera schauen. Der zweite Teil dieser Arbeit besteht aus mehreren Hunderten Karteikarten, auf denen Oehmsen die Facebook-Posts kopiert hat, die sie innerhalb 31 Tagen empfangen durfte. Ein zum Teil bestürtzender Einblick in der Nichtigkeit und Belanglosigkeit dieses Kommunikationsmittels, der hauptsächlich als Träger von armseligen und überflüssigen Gedanken und egozentrisch-hirnschissigen Anmerkungen fungiert.  Und eine zusätzliche Motivation, mich aus diesen schwachsinnigen, elektronischen sozialen Netzwerken zu halten. Meine Zeit vergeude ich lieber mit der Redaktion von Rezensionen – eine bedeutsame und erbauliche Aufgabe, die der Menschheit zugute kommt.

Ein einzig‘ Rausch
Ausstellung vom 13.3.-25.3.2011
Freitags 17-19 Uhr
Sonntag / Feiertag 15-17 Uhr
d-52. raum für zeitgenössische kunst
Rather Straße 52
www.d-52.de