4. CABINETTSITZUNG IM CABINETT

Abseits der obercoolen Düsseldorfer Kunstszene und ihren blasierten Vertretern, abseits der Neuauflage des Post-Post-Neo-Geo und der sensationellen Entdeckung einer Hyper-Trash-Minimalism-Bewegung in den Kellern von Friedrichstadt oder in den Hinterzimmern von Flingern, wachsen hier und da, in verborgenen und leisen Nischen, zarte Blüten, die dem Rummel der selbsternannten Kunstmetropole zu entkommen versuchen.

Foto: A. Lechtenberg

Diese Blüten sind einsam: Sie sind nicht (oder nicht mehr) an das soziale Netzwerk der Kunstakademie und ihrer Absolventen gebunden und zeigen eine Kunst, die weder hipp noch geil ist – und z.T. sogar gar nicht zeitgemäß wirkt. Sie werden – wenn überhaupt – naserümpfend von den gut informierten, aufstrebenden Jüngstern (wovon so oft hier die Rede ist) wahrgenommen und in die inkonsequente Liebhaber-Kategorie abgeschoben. Es ist gewissermaßen das Off der Off-Szene, die Alternative in der Alternative. Das Cabinett gehört zu diesen seltenen Blüten. Entstanden Ende 2007 auf Initiative der Textil-Designerin Andrea Dietrich, und in unregelmäßigen Abfolgen in ihrer kleinen Werkstatt durchgeführt, knüpft die Idee an die Sammler-Kabinette der Aufklärung, die zugleich Orte der Bildung und der kultivierten Unterhaltung waren.

Foto: A. Lechtenberg

Die Gattung des Kabinetts ist also per se ein Raum zwischen Öffentlichem und Privatem, Intimität und Offenheit. Und genau diesen Charakter spürt man, wenn man das kleine Zimmer  in Dietrichs Wohnung betritt. Anders als in den üblichen artists-run-spaces herrscht hier ein freundlicher, ungezwungener und aufmerksamer Tonfall; eine familiäre Verbindlichkeit, die ganz ohne Beck’s Gold, Gauloises Blonde und den dazu gehörenden Pokerface-Seitenblicken auskommt. Ja, dieser Raum ist anders – sowie die Kunst, die dort präsentiert wird.

Foto: A. Dietrich

Für die 4. „Sitzung“ teilen sich vier Künstler die paar Quadratmeter des Kabinetts. Andrea Dietrich zeigt auf einer Wand freie Arbeiten, die nichts mit ihrer beruflichen Tätigkeit zu tun haben. Angeregt von Bildern und Motiven, die sie im mikrobiologischen oder geologischen Zusammenhang beobachtet hat – und die prinzipiell an die evolutiven Prozesse der Natur anknüpfen –, schafft sie sog. „Farbkollektionen“, in denen changierende Farbkombinationen und –texturen systematisch erprobt werden. Das Ensemble wird noch von schwarz-weiß-Fotos von extrem vergrößerten mineralischen Objekten ergänzt.

Foto: A. Lechtenberg

Eine ähnliche Konzentration auf die Farbe findet man in den Arbeiten von Adolphe Lechtenberg wieder, allerdings mit einer stärkeren intuitiven Note, die ganz auf die Systematik von Dietrichs Arbeitsproben verzichtet. Aus zeichnerischen Entwürfen heraus entwickelt Lechtenberg objekthafte Gebilde, die zu Farbträgern fungieren und den Ausgangspunkt einer Ausdehnung der Farbe in den Raum bilden. In der Tradition von Klein, Rothko oder Graubner, werden diese Objekte von ihrer körperhaften Präsenz enthoben, erzeugen Farbe und Licht und definieren den Raum neu.

X. García - Foto: A. Lechtenberg

Die Mexikanerin Ximena García, seit fünf Jahren in Deutschland und zur Zeit in der Klasse von Gostner untergebracht, präsentiert grafische Arbeiten, die einen ebenso starken Bezug zum Raum entfalten. Dabei arbeitet García nicht mit der Ausstrahlungskraft der Farbe, wie Lechtenberg, sondern greift auf transparente Papierschichten zurück, die durch ihre Überlagerung plastische Effekte hervorrufen und eine dreidimensionale Illusion erzeugen. Die Flachware, in einem kastenähnlichen Silikon-Rahmen umfasst, verwandelt sich in ein Objekt.

H. Erdem - Foto: H. Erdem

Formell gesehen, bildet der Kasten von Havva Erdem eine Antwort auf die voluminöse Zeichnung von García. Die Künstlerin hat einen Schrein gebaut, der ein mysteriöses Objekt aus Fischhaut, Schwanzflossen und Schmetterlingsflügeln beherbergt. Das bizarre Gebilde, das aus einem Märchen entkommen sein könnte, verwehrt sich den Blick des Betrachters, zieht ihn aber unweigerlich an. Dabei ist die Aufbewahrungsschatulle genau so raffiniert konzipiert wie das Objekt selbst; ihre Materialien und Formen sind symbolisch beladen und tragen zur geheimnisvollen Inszenierung der Skulptur bei.

Ein ungesehener Gegenstand, zwischen Pflanzlichem und Tierischem, wie aus einer fernen und gefährlichen Reise zurückgebracht: Es ist vor allem Erdems fantastisches Schmuckstuck, das den Bezug zur Wunderkammer und  zum Amateurkabinett am deutlichsten repräsentiert. Aber die Geschlossenheit der gesamten Ausstellung sollte an dieser Stelle unbedingt gewürdigt werden: Trotz der Originalität und Spezifität der einzelnen Arbeiten, die auf den ersten Blick einen heterogenen Eindruck machen könnten, entwickeln sich nach einer Weile feine Korrespondenzen und leichte Verbindungsfäden, die all die vier Positionen zusammen bringen und dieses 4. Kabinett zu einer runden Sache machen.

 
 
 
Cabinett
Ausstellung v. 22.5-2.6.2011
Andrea Dietrich
Gustav – Poensgen – Str. 59
40215 Düsseldorf
Tel.: 0211-392885
www.cabinett.culturebase.org
Öffnungszeiten: Sa. 16.00 – 18.00 Uhr und nach tel. Vereinbarung
 

DIE SCHÜSSEL LEUCHTET im WP8

Susanne Fasbender hat am vergangenen Samstag eine kleine subjektive Auswahl von Filmen im WP8 gezeigt, die bei den drei letzten Kunstfilmtagen bereits präsentiert wurden. Um es kurz zu machen: Ich war nicht dabei und werde also nicht darüber berichten.

Unsere Agentin (alle Fotos hier: Stefanie Pürschler) war jedoch vor Ort und hat einige Bilder realisiert, die somit einen Eingang in das Archiv finden. So kommen wir einigermaßen unserem Anspruch nach, die Düsseldorfer Off-Szene restlos zu rezipieren.

Alles was ich weiß (und es ist nicht viel), ist dass die Schüssel, wovon die Rede hier ist, ein fluoreszierendes Bild von Melanie Richter war. Darauf ist ein Pissoir zu sehen. Wer an Duchamp denkt, hat offensichtlich den Anfängerkurs zur Strategien der Postmoderne (Stufe 1) belegt und bestanden.

Und eine sehr erfreuliche Mitteilung: Susanne Fasbender, die die letzten drei Ausgaben des Kunstfilmtags nahezu in Alleinregie organisiert hat (www.kunstfilmtag.de) und, aufgrund des großen Aufwandes, die Veranstaltung eigentlich nicht mehr weiterführen wollte, macht weiter! Sie wird mit organisatorischer und kuratorischer Verstärkung an der vierten Ausgabe arbeiten, die 2012 stattfinden soll.

FELIX BURGER im PARKHAUS MALKASTEN

Romantischer Dünkel in der Wolfsschanze, ein Themenpark voller Heimatgefühle, Führer-Mystifizierung und Verherrlichung des Künstlers; und dann noch ein paar Gastarbeiter für Lohengrin. Wer sich in die dunkle Höhle des Felix Burger wagt, wird möglicherweise an Jonathan Meese erinnert werden. Nicht ganz zu unrecht. Nur dass Burger mit leiseren Tönen auftritt und eine eher verhaltene und subtilere Art pflegt.

Ehe der Besucher des Parkhauses in den düsteren Raum eintritt, stößt er auf die Rückseite eines Bühnenbild-Elements und ahnt schon, dass alles, was noch kommen wird, eine perfide Illusion oder eine trügerische Inszenierung sein könnte. Exakt: Der Hang zum Theatralischen ist in der neusten Installation von Felix Burger nicht von der Hand zu weisen – sowie sein offensichtliches Vergnügen, die Ebene des Realen und des Fiktiven zu vermengen.

Foto: Felix Burger

Der Münchener hat im idyllisch gelegenen Parkhaus eine in sich geschlossene Welt erschaffen, bestehend aus heterogenen Elementen, die formal oder inhaltlich zusammen verwoben und in der großen Rhapsodie namens Schliersee eingebunden werden. Eine Welt, düster und romantisch wie eine Oper von Richard Wagner, eine Welt mit urdeutschen Landschaften, folkloristisch-nationalistischer Architektur und teutonischen Helden. Eine Welt aus Bildern, Musik, Schattenspielen, Dokumenten und Requisiten. Vor hundert Jahren oder mehr hätte man von einem Gesamtkunstwerk gesprochen − was uns wieder zu Wagner führt.

Der Raum selbst, mit seiner spärlichen Beleuchtung und seiner von Vitrinen geschützten Reliquiensammlung, hat alles von einer gebastelten Walhalla. Das Modell eines bescheidenen Alpenhäuschens thront in einer Ecke; die Pläne des Gebäudes (übrigens: Jahrgang 1940 – ein gesegnetes Jahr) findet man am anderen Ende des Raumes. Zusammen mit Bauplänen einer mysteriösen unterirdischen Anlage (Stichwort: Verschwörungstheorie), die zur Belustigung der Masse (Stichwort: Disneyland; übrigens: war Walt nicht ein bisschen faschistisch?), bebaut werden sollte.  Weiterhin wären in diesen Vitrinen zu verzeichnen: ein merkwürdiger Vertrag (nicht mit Blut gesiegelt, aber Faust lässt trotzdem grüßen), die echte Fälschung von pseudo-historischen Dokumenten mit losem Bezug zur allgemeinen bayerischen Thematik, sowie die  Masken des Künstlers, auch sichtbar in dem schwarz-weiß-expressionistischen-Riefenstahlschen-Film, welcher in einer anderen Ecke des Raumes projiziert wird. Wagners Lohengrin liefert den Soundtrack zum Film, eine runde Sache angesichts der entsprechenden Schallplatte, die, das hatte ich ausgelassen, sich ebenso unter der Vitrine befindet.

Verheddert in einem schlechten Klischee des 19. Jahrhunderts, auf der Suche nach logischen, formellen oder narrativen Bezügen, die die Puzzleteile der Installation zusammen bringen würden, navigiert der Betrachter von einem Element zum nächsten, laviert zwischen Geschichte und Erzählung, Historie und Anekdote, Fantasie und Fakten, Inszenierung und Dokument. Ein höchst anspruchsvolle mentale Reise, dicht und stark; verführend und entfremdend zugleich.

Die Installation, die zunächst nur für die Ausstellung im Parkhaus entstanden ist, wird in wenigen Wochen und in einer leicht veränderten Form in der Simultanhalle (Köln) präsentiert werden.

Foto: Felix Burger
Felix Burger im Parkhaus
Schliersee – eine Parthie im bayerischen Hochlande
21.5.-5.6.2011
Parkhaus im Malkastenpark
Jacobistr. 6a
geöffnet mittwochs v. 19-22 Uhr und sonntags v. 14-18 Uhr
www.parkhaus-duesseldorf.com

THYRA SCHMIDT bei DI.VITRINE

Der Stempel ist gerade noch lesbar. Am 23.9.1992 wurde eine Postkarte für Thyra Schmidt, geb. Früchtenicht, im Postbüro Westerland (Sylt) entwertet. Die Bildseite zeigt einen malerischen Strand an der „schönen Nordseeinsel Sylt“. Im Vordergrund ein verdächtig gut platziertes Blumenbeet; in der Mitte ein ach so typisches, stattliches Strohdachhaus; im Hintergrund der belebte Nordsee-Himmel. Die Karte ist anonym. Es ist eine Liebeskarte.

Die Karte eines verliebten Menschen, der es nicht wagt, die Frau seiner Träume persönlich zu begegnen und anzusprechen. In gedrungener Schrift, Zeile für Zeile, bekommen die fragile Scheu und die zitternde Verehrung eines Unbekannten ihren minimalen Ausdrucksraum. Eine bescheidene Postkarte – also letztendlich etwas wie ein offener Brief – als erste, fieberhafte Kontaktaufnahme. Ein Gedicht, wie ein leiser Ruf. Eine Hoffnung – Flaschenpost. Es ist rührend. Es ist schön. Es ist poetisch. Es ist ein wenig kitschig.

Es ist publik. Es ist groß. Es ist stark beleuchtet und unter Glas. Es brüllt. Es ist in einer Passage ausgestellt, die zu den Gleisen der S-Bahn-Station Bilk führt. Es ist so vergrößert worden, dass jeder anonyme Passant die anonyme Karte gut lesen kann. Jeder kann an dieser angefangenen Liebesgeschichte teilnehmen. Jeder kann in das Herz und in die Seele eines schüchternen Menschen eindringen. Jeder wird zu einem potenziellen Voyeur gemacht. Wie in den Aktionen und Installationen von Sophie Calle, wird jeder Mr. Nobody in die intime Sphäre der Künstlerin eingeladen und kann sich deren Romanze aneignen.

Aber im Gegensatz zu Sophie Calle, die die Ebenen des Intimen und des Privaten noch mit fiktiven Elementen verzerrt, haben wir es hier nicht mit einem Fake zu tun. Thyra Schmidt hat diese Postkarte tatsächlich erhalten. Sie war damals gerade 17 Jahre alt und lebte in Norddeutschland. Nach dieser Karte folgten noch einige, ähnliche Briefe, genauso leidenschaftlich und anonym. Irgendwann wurde der Verliebte entblößt – und wer es genau wissen will, kann auf Nachfrage erfahren, dass es zu einer Liaison zwischen Schmidt, geb. Früchtenicht, und dem Verfasser der Karte kam.

Fast zwanzig Jahre später wird die persönliche Geschichte schamlos unter das Volk gebracht. Es ist schamlos, weil  – anders als die massmedialen Liebesgeschichten, die zum modernen Opium der Bild-, Gala- und Brigitte-Leser geworden sind – es kein Glanz und kein Glamour in dieser Karte stecken. Es ist auch keine schmutzige Story, keine schlüpfrig-geile Enthüllung, die das kranke Bedürfnis der Massen nach einer angeblichen Transparenz von „Prominenten“ stillen würde. Nein; es ist hier gerade das Romantische, Zerbrechliche und Vertraute, das Authentische und Nicht-Entfremdete, das in die Agora geworfen wird.

Das Künstlerpaar Dagmar Keller und Martin Wittwer hat Thyra Schmidt in den Bilker Bahnhof eingeladen und damit eine für diesen stark frequentierten Durchgangsort kongeniale Position gefunden. Die beiden großen Vitrinen, die vom Kulturamt verwaltet werden, werden tagtäglich von tausenden Pendlern mehr oder minder wahrgenommen. Das Licht ist hier entweder zu grell oder ungenügend, die Materialien lieblos und dreckig, die Raumabschnitte ausschließlich funktional gedacht. Bis auf einige Clochards und zwielichtige Gestalten, die sich zwischen Trinkhalle und Fotoautomat gelegentlich aufhalten, sind die Körper stets in Bewegung und die Blicke ausweichend. Es ist Öffentlichkeit in ihrem gnadenlosen Zustand. Die zarte und leise Liebeserklärung an der Wand ist eine Perle in der Gosse. Es ist die dezidierte Geste einer Künstlerin, die das Intime zu einer res publica macht. Wenn der Künstler sich in einem ständigen Prozess der öffentlichen Schaustellung befindet, ist derseelische Streeptease von Schmidt eine konsequente – wenn auch in ihrer Radikalität leicht störende – Entscheidung.

di.vitrine
im S-Bahnhof Bilk
Eröffnung am 19.5.2011
Ausstellung vom 20.5.-2.9.2011
24 Stunden eröffnet

KEREN CYTTER bei VOLKER BRADTKE

Neues in Flingern: Auf der Birkenstraße wurde im ehemaligen Ladenlokal einer Glaserei ein Raum eröffnet, dessen Namen einige Rätsel aufgibt. Untypisch für ein Off-Projekt: Für den Anfang wurden nicht irgendwelche frische Absolventen der Kunstakademie zusammen gewürfelt und zur Gruppe erklärt, sondern eine international renommierte Künstlerin präsentiert, die in den Genuss einer kleinen Solo-Show kommt.

Hinter der Initiative stehen Adam Harrison, Alexander Lorenz und Philipp Rühr, die für die Neueröffnung des Ladens eine zahlreiche Künstlerschaft mobilisiert hatten. Und vor allem Keren Cytter gewinnen konnten. Cytter hat in ihrer Wahlheimat Berlin vier Kurzfilme realisiert, die eine lose narrative Verbindung unterhalten und mal auf Monitoren gezeigt, mal an die Wand projiziert wurden.

Es wurde ein wahnsinniger Aufwand zur Neutralisierung der vorhandenen Räume betrieben. Der Bildhauer Christian Odzuk hat eine modulierbare Struktur aus Holz konzipiert, die  sich an die Präsentationsanforderungen anpasst und praktisch als „Innenpavillon“ im Laden fungiert − eine Lösung, die nicht nur praktischer und flexibler, sondern auch deutlich anspruchsvoller als die üblichen Trennwände sein dürfte.

In diesem leicht verschachtelten Rahmen entdeckt man die Filme von Cytter in verschiedenen Formaten. Es sind relativ kurze Vignetten, deren lineare Narrativität zunächst klassisch wirken mag. Cytter erzählt Geschichten von jungen Menschen in der Großstadt, skizziert Liebes- und Freundschaftsverhältnisse, hält kleine Begegnungen und Machtspiele fest, alterniert mikrogesellschaftliche Ereignisbeschreibungen mit allegorischen (aber unspektakulären) Szenen voller naiv-anmutender Poesie. Sie verfolgt mit einer geschmeidigen Kamera eine Handvoll Figuren, die aus dem jungen Berliner Künstlermilieu zu stammen scheinen; ein Milieu, das die Filmemacherin selbst gut kennt. Es ist ja bekannt, dass Cytter mit Menschen arbeitet, die keinerlei Schauspielerfahrung haben, sondern aus Freunden und Bekannten bestehen, was ihren Filmen einen charmant-amateurhaften Charakter verleiht.

Wichtiger als der Plot selbst sind jedoch die Mittel der Erzählung, die zum eigentlichen Sujet der Kurzfilme gemacht werden. Denn, parallel zur Erzählstrange, webt Cytter in all ihrer Produktionen eine versteckte Meta-Ebene, die die Instrumente der Erzählung aufnehmen, beleuchten und reflektieren. Im besten Brechtschen Stil schaffen diese Verfremdungseffekte eine Distanz zur Narration und rücken so in den Bewusstsein des Betrachters.

Cytters filmischer Ansatz ist ein dekonstruierender. Ob Licht, Ton oder das Schauspielerspiel: Einzelne Bestandsteile des Films werden isoliert und unter ein Brennglas gestellt, um deutlicher wahrgenommen zu werden. Die Erzählung selbst degeneriert zur Staffage sekundärer Bedeutung; die Prozesse des Erzählens parasitieren sie immer wieder und drängen sich im Vordergrund – was zu leichten Störungen und logischen Schnitten in der konventionellen Handlung führt. Als Clou schafft Cytter lasche Verbindungen von einem Film zum nächsten. Bild-, Ton- und Textschichten werden hin- und her geschoben, musikalische und motivische Komponente aufgegriffen und zitiert. Gerade in dem homogenisierten Raum von Odzuk, ist dies ein gelungener Zug. Ganz schön postmodern, indeed.

Volker Bradke (und nicht BradTke) war übrigens ein Autodidakt, der in den 1960er-Jahren in die Düsseldorfer Kunstszene verkehrte und erfolglos versuchte, sich als Künstler zu etablieren. Der zynische Gerhard Richter, der in Bradte den Prototyp des kleinbürgerlichen common man mit künstlerischem Anspruch sah, realisierte 1966 eine bissige eintägige Hommage-Ausstellung in der Galerie Schmela, betitelt nach den Namen dieser Randfigur.

Ausstellung v. 7.5.-5.6.2011
Ausstellungsraum Volker Bradtke
Birkenstr. 47
www.volkerbradtke.com

3-DAY STAND IM ATELIERHAUS WALZWERKSTRAßE

Eine Ausstellung, die den widrigen Umständen ihrer Entstehung deutlich erkennen lässt und trotzdem sympathisch daher kommt: Die Initiative von Jan Holthoff und Ethan Pettit ist zwar unbedingt begrüßenswert, das kuratorische Ergebnis des Düsseldorf-Brooklyn-Austausches lässt jedoch zu wünschen übrig.


 

Die Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Das unkuratierte Sammelsurium auf der Walzwerkstraße als Hölle zu bezeichnen wäre zwar maßlos überzogen, das Projekt erinnert jedoch daran, dass alle guten Ausstellungsideen nicht unbedingt in einer guten Ausstellung münden. Aber nun die Geschichte von Anfang an: Vor nur einem halben Jahr kamen Jan Holthoff und Ethan Pettit auf die Idee, eine engere Verknüpfung zwischen New Yorker und Düsseldorfer Künstler zu etablieren. Ersterer Anstifter ist ein ehemaliger Brandl-Schüler, der Zweite ein New Yorker  Maler und Grafiker, mit Hauptwohnwitz im Kiez von Bushwick (ein Stadtteil von Brooklyn).

Ohne allzu tiefe konzeptuelle Ansprüche und bar jedes ausgefeilten theoretischen Ansatzes, entschieden sich die zwei Männer einen sehr kurzfristigen transatlantischen Austausch zu initiieren und Werke von befreundeten Künstlern zwischen den Kontinenten zirkulieren zu lassen. Die Mittel waren knapp, eine institutionelle Förderung nicht vorhanden (bis auf die freundliche Unterstützung von Gil Bronner, der den Raum der Philara Sammlung zur Verfügung stellte); an einen klassischen Kunsttransport war nicht zu denken. Pettit packte bei seiner letzten Düsseldorf-Überfahrt so viele Werke wie nur möglich in seinen Koffer (was ihn dazu zwang, ausschließlich relativ kleine grafische Arbeiten auszuwählen), Holthoff trommelte seinerseits ein paar Künstlerkollegen in der Landeshauptstadt zusammen und – fertig war die Ausstellung.

Jan Holthoff

Unter diesen Umständen versteht man besser, wie es zu einer solch heterogenen und willkürlich wirkenden Ausstellung kommen konnte. Mit Hilfe von Konstantin Lange, haben sich Holthoff und Pettit zwar bemüht, formale oder thematische Bezüge zu schaffen, aber überzeugend ist das Ergebnis trotzdem nicht – zu gebrochen und inkongruent ist der Gesamteindruck und zu schwankend die Qualität der einzelnen Arbeiten. Den Machern ist übrigens die Schwäche der Präsentation bewusst. Ihnen ging es allerdings nicht um die Realisierung einer (nach institutionellen Maßstäben) klassischen Ausstellung, sondern um die prinzipielle Ermöglichung eines privaten deutsch-amerikanischen Transfers – wobei der Transfer sich nicht auf die Künstler, sondern auf ihre Werke bezieht. Was letztendlich zählen sollte, war dass die Arbeiten von New Yorker Künstler in Düsseldorf sichtbar werden und vice versa. Und wenn dies das Primärziel des Projektes ist, dann darf „3-Day Stand“ als Erfolg gelten.

Ethan Pettit

Jedenfalls geht der Austausch weiter: Wenige Tage nach der Eröffnung in Reisholz werden Pettit und Lange nach NY fliegen mit samt einigen grafischen Arbeiten der Düsseldorfer Künstler in ihren Koffern. Die Brooklyn-Ausstellung findet dann im Atelier von Pettit statt und wird vorwiegend aus größeren amerikanischen und kleineren deutschen Werken bestehen. Konstantin Lange hat sich mit einer Performance gemeldet und das dortige Publikum wird (möglicherweise zum ersten Mal) in Kontakt mit einigen Vertretern der Düsseldorfer Szene treten. Das ist auch eine positive Folge dieser Initiative.

Johanna Rzepka
Vincent Bambini


Als ich ihn fragte, was die Brooklyn-Bushwick-Szene ausmacht und wie die Düsseldorfer im Vergleich dazu steht, antwortete Ethan, dass der Grad an Gestaltungsfreiheit in NY höher sei. Spontane Kunstevents, die den Leerstand nutzen und ein riesiges Publikum in verlassenen Hallen anziehen werden nicht vom Ordnungsamt gefährdet. Die Regulierung des öffentlichen Raums ist dort nicht so streng wie hier, was einem andere Möglichkeiten eröffnet und eine ganz andere Energie frei setzt. Pettit behauptete weiterhin, dass die Amerikaner „funkyer“ seien, dass die Genre – zumindest in Brooklyn – sich stärker durchmischten und die Distinktion zwischen Hoch- und populärer Kultur weniger ausgeprägt sei als in Düsseldorf, wo der Einfluss einer Kunstakademie deutlicher zu spüren ist. Diese Bemerkungen, so richtig sie sein mögen, fanden keine Bestätigung in der Ausstellung, die eher eine Art „International Style“ aufwies.

Fazit: Das Wichtige an diesem kurzlebigen Projekt ist nicht das Produkt selbst – die Ausstellung – sondern die Tatsache, dass, auf eine private Initiative fußend, eine selbstorganisierte Szene – egal ob sie sich als solche versteht oder nicht – sich international vernetzt und eine Kommunikation von einem Kontinente zum nächsten etabliert. Trotz aller Bedenken zum konkreten Ergebnis dieser ersten Vernetzung erhält das Projekt von Pettit und Holthoff deshalb das Prädikat wertvoll und all unsere Wünsche für die Zukunft.

Petra Fröning

PRÄSENTATION DER WERKSTIPENDIATEN bei ONOMATO

Nicht selten schließen Off-Räume strukturelle Lücken, die die öffentliche Hand oder ihre privaten Partner hinterlassen, bedienen vernachlässigte Medien und Genre und tragen somit zur Vielfalt des lokalen Kulturlebens bei. In Düsseldorf, nach den schwierigen Jahren der Lüpertz-Ära in der Kunstakademie, hat sich eine dieser Lücken im Bereich der Film-, Video-und Klangkunst angesiedelt. Nun ist eine nicht-institutionelle Initiative in die Bresche gesprungen und stemmt aus eigener Kraft ein Stipendium für Künstler, die sich eben mit diesen Medien befassen.

Onomato, der sich schon längst über den Status eines einfachen Kunstvereins hinaus entwickelt hat und, neben seiner Verlagstätigkeit, auch ein reichhaltiges Programm an Vorträgen, Filmprojektionen und theoretischen Diskussionen anbietet, hegt so etwas wie einen institutionellen Bildungsanspruch. Es gibt z.B. Pläne zur Bildung eines Kunstinstituts mit vermittelnder Funktion („Kepos“), das sich den Schnittstellen zwischen Wort, Bild und Ton widmen würde. Ein durchaus ambitioniertes Projekt im Kontext der Off-Szene. Ein Vorgeschmack dieser „Schule“ liefert das Stipendiumprogramm, das im Frühjahr durchgeführt wurde und dessen Ergebnisse am 2.4. präsentiert wurden.

Es passten nicht alle in den Raum

Das Stipendium von onomato unterscheidet sich von anderen Modellen dieser Art. Es vergibt nicht einfach Geld und freut sich über eine Ausstellung (eigentlich vergibt es überhaupt gar kein Geld), sondern schafft eher die Bedingungen für eine künstlerische Weiterentwicklung. Für seine erste Austragung in dieser Form, bekamen die fünfzehn Stipendiaten drei Monate lang freien Zugang zu allen Ton- und Filmgeräten des Vereins und konnten z.B. die Schnittplätze und das Aufnahmestudio in Anspruch nehmen.

Da das Prinzip des Stipendiums darin besteht, den Austausch zu ermöglichen und eine möglichst bereichernde Reflexion und Selbstreflexion zu implementieren, wurden externe Dozenten regelmäßig eingeladen, um auf die jeweiligen Projekte der Stipendiaten zu reagieren. Abwechselnd fand einen wöchentlichen Plenum für Bild und Ton statt, in denen die Fachspezialisten präzis auf die einzelnen Arbeiten eingehen konnten. Dabei wurden immer wieder theoretische Einschübe geleistet: Christoph Korn las z.B. einen Text über das Geräusch – als Konzept und Phänomen –, der wiederum zum Ausgangspunkt einer Diskussion diente. Dazu wurden noch technische Kurse, ganz auf die Bedürfnisse der Stipendiaten zugeschnitten, kreiert und animiert.

Es passten nicht alle 15 Stipendiaten in das Bild

Es ist also weniger eine materielle als eine ideelle und intellektuelle Förderung, die hier intendiert ist. Der Prozess der Ausreifung und technischen Umsetzung einer Idee ist dabei wichtiger als die Produktion eines Ergebnisses, das im Rahmen einer Ausstellung gezeigt werden soll − wobei drei Monate viel zu kurz sind, um sich auf diesen Prozess einzulassen, wie einige Teilnehmer meinten. Eine Abschlusspräsentation gab es jedoch, und diese erschien stimmig und freundlich, mit einer guten Balance zwischen feierlicher Stimmung und entspannter Atmosphäre. Zunächst wurden die Beiträge auf Leinwand projiziert und von Frauke Tomczak kurz vorgestellt. Später bekam man die Gelegenheit, sich bei jeder einzelnen Arbeit zu vertiefen.

Weil das Schreiben über fünfzehn Künstler  eine unheimlich undankbare Aufgabe für den freiwilligen und nicht vergüteten Kunstblogger ist, soll sich diese Rezension auf einige, wenige Bemerkungen begrenzen. Die Vielfalt der Beiträge war jedenfalls beeindruckend: Von der üppigen, überladenen und sinnschwangeren Bilderwucht eines André Yuen zur meditativen, puristischen und fast minimalistischen Klangbild-Harmonie einer Stefanie Pürschler, vom sachlichen Dokumentar von Veronika Peddinghaus zur stimmungsvollen Ortsbegehung von Lilian Czolbe – die große Bandbreite des Stipendiums konnte klar stellen, dass onomato eine Schule (im Sinne einer betreuenden Institution) werden will ohne eine Schule (im Sinne eines dogmatischen Programms) werden zu wollen. Mir ist auch aufgefallen, dass die Tonspur vieler Arbeiten besonders fein – wenn nicht gar raffiniert – war. Anscheinend wurde aufmerksam an dieser Komponente gearbeitet.