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Vera Lossau und Maren Maurer im Raum für Kunst

Wie konnte das denn bloß passieren? Das Show-Room-Projekt von Matthias Emtges, schlichtweg „Raum für Kunst“ genannt, war uns bisher entgangen. Dabei existiert der kleine Raum in Oberkassel seit über zwei Jahren. Und zeichnet sich mit einem konsequenten und schlüssigen Programm aus. Die aktuelle Präsentation im Raum für Kunst bringt Vera Lossau und Maren Maurer zusammen.

Die zwei Künstlerinnen, die hier bereits jeweils eine Einzelausstellung hatten, haben die Show gemeinsam konzipiert – eine vernünftige Angelegenheit angesichts der gedrängten Maßen des Raumes – und beziehen sich auf A Room of One’s Own, einem Text von Virgina Woolf. Ein Stapel von fotokopierten Exemplaren des Büchleins begrüßt den Besucher direkt am Eingang der gefühlten 20 m² des Ortes.

Wer sich darauf einlässt und die Hefte durchblättert, wird immer auf Stellen stoßen, die Lossau und Maurer jeweils unterstrichen haben. Ein eigenes Zimmer, wie die deutsche Fassung des Buches heißt, handelt von dem freien Raum, den sich Künstlerinnen und Autorinnen erkämpfen müssen. Damit ist jener physische Raum gemeint, der zur Produktion einer künstlerischen Leistung notwendig ist; selbstverständlich ist hier aber auch der psychische und geistige Raum intendiert, den Frauen zu Woolfs Zeit nur umständlich für sich gewinnen und gestalten konnten. Dass die Hommage an die britischen Autorin von zwei zeitgenössischen Künstlerinnen in einem Raum namens Raum stattfindet, erscheint ja… angemessen.

Der Ausgangspunkt ist also eine Reflektion der Bedingungen einer schöpferischen Tätigkeit aus weiblicher Perspektive; und Gott sei Dank wird dieses schwerfällige (wenn auch legitime) Sujet nicht allzu stringent behandelt. Lossau und Maurer hantieren nicht mit der pädagogischen Keule, sondern interpretieren die Arbeit und Haltung von Virginia Woolf auf differenzierte und persönliche Weise. Der Raum ist intelligent bespielt und ausgewogen verteilt. Während Lossau streut, unterschiedliche Ebenen okkupiert und vorhandene Einrichtungselemente in ihre Intervention integriert, konzentriert sich Maurer auf eine Wand.

Vera Lossau: o my dog

Die Arbeit von Vera Lossau weist diese sonderbare Mischung aus Humor, Sarkasmus, poetischer Feinheit und latent kritisch-entblößender Haltung auf, die wir bereits in anderen Zusammenhängen gesehen und gemocht hatten. Ihr präziser Blick verweilt auf banalen Situationen mit lachhaftem Potenzial und transformiert sie dank einer unmerklichen Verschiebung in existentielle Metaphern. Wie in ihrer Videoarbeit o my dog, in der die (nicht immer geglückte) Dressur von Hunden zu einer ebenso irrwitzigen wie auch leicht deprimierenden Angelegenheit gemacht wird. Bello muss zwar nicht ganz über seinen Schatten springen, das Durchbrechen des Rings of Fire evoziert jedoch einen dramatischen rite du passage, der, um das Groteske der Situation zu vollenden, von einer verzerrten und debil klingenden Fassung von Amazing Grace begleitet wird.

Vera Lossau: o.T.

Auch eine wunderbar kleine, zierliche, fragile Plastik aus Zinkguss hat Lossau im Raum platziert. Zwei verbrannte Streichhölzer, die sich vorsichtig umringen wie Balletttänzer, sind auf einem überdimensionalen Sockel befestigt worden. Die Vanitas-Symbolik gepaart mit der erloschenen Dynamik dieser zwei winzigen Objekte hat etwas Rührendes und Herzbewegendes – ohne sentimental zu wirken. Aber als ob sie sich fürchten würde, schmalzig zu wirken und ins Pathetische zu verfallen, demontiert Lossau die Sensibilität ihrer Arbeit und verpflanzt sie auf einem betont klotzigen Sockel, der die hochfeine Poesie bewusst und gezielt monumentalisiert – und dadurch bricht. Ist das eine Maßnahme der Selbstironie, um den Hang zur Romantik zu verbergen?

Mauren Maurer: Triangle I-III

Die wohl bekannteste Anekdote über Virginia Woolf betrifft ihren Besuch des hochgesicherten und geheimen Kriegsschiff Dreadnought: Mit ein paar anderen Freunden schminkte und verkleidete sich die Schriftstellerin zu einem orientalischen Diplomat und erhielt einen würdevollen Empfang der britischen Marine auf dem Schiff. Maren Maurer erwähnte diese Geschichte, als sie mit mir über ihre neueste Assemblage Triangel I-III sprach. Zu sehen waren drei eingerahmte Dreiecke, die auf einem grünlichen Mantelstoff hingen. Je nach Orientierung seiner Spitze ist das Dreieck entweder das Symbol der Dreifaltigkeit oder ein Zeichen, das an weibliche Geschlechtsteile erinnert. Maurer, die sich in ihren letzten Arbeiten mit der modischen, gesellschaftlichen und politischen Tragweite der Intimfrisur beschäftigte, hat sich hier für die sexuelle Orientierung der Form entschieden – also mit der Spitze nach unten – und das Innen des Dreiecks mit unterschiedlichen Texturen und Strukturen belebt.

Das Sichtbarmachen des Intimen, auch in ihrer kodierten Ausprägung, das Umkehren des innen nach außen, die Tarnung (der Stoff, der als Rahmen der drei eingerahmten Bilder diente, evozierte ein Camouflage) und das Thematisieren der Weiblichkeit waren die offensichtlichen Bezügen zu Woolf und zur Dreadnought-Episode. Der Clou der Assemblage war ihre unsichtbare Komponente: Hinter dem Stoff verbarg sich nämlich eine Tür. Und im Zusammenhang mit der sexuellen Konnotation der Arbeit bekam diese Tür eine starke Präsenz, die das Ensemble noch aufwertete. Unwillkürlich müsste ich an das letzte Werk von Marcel Duchamp denken.

Marcel Duchamp: Etant donné...
Marcel Duchamp: Etant donné...

Alles in allem also eine feine, ausgewogene und intelligente Ausstellung, die sich zwar schnell erfassen lässt, doch Einiges an Aufmerksamkeit fordert. Mit seiner Wahl hat Matthias Erntges hier zweifelfrei eine gute Hand aufgewiesen. Ohne Allüre investiert der eigentliche Kulturmanager viel Zeit und Geld in ein idealistisches Projekt, das langfristig konzipiert ist. Kein Glam-Faktor, kein aufgeblasenes Ego und Kommunikationsterror auf die sozialen Netzwerken, aber ein Programm, das, jenseits jenes kommerziellen Druckes, eine  Möglichkeit zum Experimentieren ermöglicht. Das spricht sich herum: Dass Erntges mit Künstlern kooperieren darf, die in manchen namhaften Galerien vertreten sind, ist als Zeichen der Anerkennung und des Vertrauens zu bewerten. Außerdem gehört er möglicherweise zu den letzten Kuratoren auf Erde, der Einladungskarten zu seiner Ausstellungen mit handgeschriebenen Adressaten und auf postalischem Weg versendet… Das nennt man Stil.

Vera Lossau
Maren Maurer
Raum für Kunst
Sonderburgerstr. 2
D’dorf-Oberkassel
www.raumoberkassel.de