SILVESTER IM SINGLE CLUB

Im ehemaligen Kegelkeller einer albanischen Kneipe findet seit dem vergangenen Sommer ein Künstlerprojekt statt, das sich bereits zum aufregendsten Kunstevent der Stadt etabliert hat. In unmittelbarer Nähe des Worringer Platzes ist der single club der angesagteste Ort der jungen Düsseldorfer Kunstszene schlechthin, in dem wilde Partys mit Live-Acts zelebriert werden.

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Zustand Oktober 2011: Wandverkleidung von Max Schulze, Relief von Katharina Maderthaner und Prints von Stephan Machac; © Bild: Max Schulze

Initiiert und organisiert ist das Ganze von Alexander Wissel, der zuvor bereits die Oktober-Bar am gleichen Standort geleitet hatte und die finsteren Räumlichkeiten seit Juni mit einem Mix aus Skulptur, Installation, Performance, Musik und Party animiert. Ein Mal pro Monat füllt sich plötzlich die ansonsten verwaiste Kneipe und eine exotische Fauna erobert das Terrain.

September 2011: Lichtobjekt von Andreas Breunig; © Bild: Rolf
Juli 2011: Wandgestaltung von Piet Hejden und Stanton Taylor; © Bild: Johannes Bendzulla

Es herrscht das Prinzip der unökonomischen Energieverschwendung: Jede Veranstaltung dauert 24 Stunden, jedes Mal wird die gesamte Raumausstattung von ein paar Künstlern neu gestaltet – und dabei wird ein Mordsaufwand für eine sehr kurzlebige Angelegenheit betrieben. Für diese knappe Zeit werden nicht nur die Räume (in manchmal wochenlangen Arbeit) redesigned, sondern Bands kurzfristig gegründet und Performances choreographiert. Am ersten Samstag des Monats heißt es dann in eine brandneue Welt eintauchen, ein neues Thema entdecken und sich auf die jeweilige Stimmung einlassen.

Juni 2011: Die Band „Weisser Westen“; Bild: Max Schulze

Das Projekt von Alex Wissel auf eine besonders coole und fetzige Party-Location für Künstler zu reduzieren wäre jedoch zu kurz gegriffen. Der Single Club ist eine Art soziale Skulptur (Jupp darf sich ruhig in seinem Grab umdrehen), ein work in progress mit vorprogrammierter Todeszeit und höchstem Partizipationsfaktor.

Juli: Toilettengestaltung von Max Frintrop; © Bild: M. Frintrop

Im Laufe des Abends und der Nacht verändert sich nämlich das liebevoll realisierte Bühnenbild mitsamt exklusiven Requisiten. Der Club ist kein fertiges Vergnügungspaket, das passiv konsumiert werden will, sondern eine große interaktive Skulptur, die ständig auf Außenwirkungen reagiert. Der Raum lebt und bebt, wird ständig umgeformt; im Feuer des Gefechtes wird es auch unabsichtlich ramponiert und zerteilt, zerfetzt, verdreckt.

November 2011: Kostüme von Sarah Jane Hoffmann, Stangen und Schaukel von Jan Albers, Bühne von Jasmin Reif; © Bild: Jan Albers
Oktober 2011: Bühne von Wanda Koller, Wandverkleidung von Max Schulze; © Bild: M. Schulze

Am nächsten Tag hebt Wissel die Reste auf und fügt sie zu seiner Sammlung. Es gibt ein Single Museum, das Dokumentationszentrum, Reliquienschau (Jupp, bitte noch ein Mal umdrehen) und expanded sculpture in einem ist. Aus Erlebnis, Schweiß, Spaß, Zeit und Formen verdichtet Wissel ein Raumarrangement, das, getarnt in einer Ausstellung, das Projekt in seine nächste Dimension führt. Die Schraube wird noch ein Mal gedreht; die Reflexion über künstlerische Arbeit, Partizipation, Autorschaft, Originalität und Illusion erreicht ein neues Niveau der Komplexität.

Genau ein Jahr lang soll das Experiment dauern. Im Juni 2012 wird der Single Club,  – diese mimetische Illusion eines Nachtlokals, die Nachtschwärmer in ahnungslose Teilnehmer einer riesigen künstlerischen Aktion verwandelt und trotzdem viel mehr als eine leere Kulisse anbietet – seine Türen zum letzten Mal öffnen. Dieser strenge zeitliche Rahmen (bei aller Gestaltungsfreiheit des restlichen Bildes) ist ein Hinweis auf den konzeptuellen Hintergrund des Projektes von Alexander Wissel.

September 2011: Toilettengestaltung von Congress; © Bild: Rolf
Silvesterparty im Single Club
 
im Bistro Agi, Ackerstr. 5
 
Eintritt: € 10,- (inkl. ein Glas albanischen Champagner). Es wird um Abendgarderobe gebeten.
September 2011: Wandverkleidung von Nadim Vardag, Vorhänge von Julian Feritsch, Instrumente von Congress/Scheisse, Getränkehalter: Thorsten Schneider; © Bild: Rolf

Florian Kuhlmann – Konfiguration 7 #Berlin

Vergangenes Wochenende war Florian Kuhlmann mit der Installation ‚Konfiguration 7‚ in der Abteilung für alles Andere in Berlin zu Gast. Kuhlmann präsentierte dort einen Snapshot seines Langszeitprojekts der ‚Commons Collages‚ an dem der Netz- und Medienkünstler seit etwas mehr als 6 Jahren arbeitet.
Die großformatigen, sakral anmutenden, digital erzeugten Bilder, die sich im Spannungsfeld zwischen Pop und Surrealismus bewegen, stellt der Künstler nach Fertigstellung stets zum freien Download ins Netz. Auf limitierte Editionen wird zu Gunsten einer unbegrenzten Reproduzierbarkeit bewusst verzichtet.
In der gezeigten ‚Konfiguration 7‘ waren die Bilder diesmal in einer vergleichsweise klassischen Präsentationsform als großformatige Prints zu sehen. In der Mitte des Raumes stand ein Sockel mit USB-Slot, der nach dem Einstecken eines USB-Sticks automatisch die Bilder der Ausstellung überspielte.

Ausführliche Infos zum Projekt und zur aktuellen ‚Konfiguration 7′ gibt es auf seiner Webseite. Im dort ebenfalls zu findenden Essay ‚Konfigurationsmöglichkeiten einer medialen Allmende‚ liefert Kuhlmann einen kurzen zeitlichen Abriß der gesamten Projektentwicklung.

Die Collagen als Print an den Wänden. In der Mitte zu sehen der Sockel mit USB-Slot.

Nach einstecken eines USB-Sticks wurden die Original-Bilddateien automatisch auf den Stick kopiert.

Abteilung für alles Andere
www.a-a-a.cc
Ackerstraße 18
10115 Berlin

#Köln Timothy Shearer – The End of Season – Oder zur aktuellen Ästhetik des Konsumismus II

Der gebürtige US-Amerikaner und in Köln lebende Künstler Timothy Shearer war Ende September mit einer Einzelausstellung in der Simultanhalle in Köln zu Gast. Unter dem etwas melancholischen, aber durchaus zeitgemäßen Titel ‚End of Season‘ inszenierte Shearer eine seiner fokussiertesten, zugleich leicht tragikomischen, Arbeiten.

Zeitnahe zum Ausstellungsprojekt ‚300′ von Mark Pepper und Thomas Woll präsentierte Shearer mit ‚The End of Season‘ eine Installation die sich ebenfalls mit einer Ästhetik der billigen Oberfläche beschäftigte. Abstrakte – einer vergangenen Avantgarde – entliehene Muster auf häßlichen Alltagsgegenständen – vor allem Kleidung – stehen im Zentrum dieser Arbeit. Ebenso wie bei Pepper und Woll geht es bei Shearer um ein Faszination an der billigen Trashkultur von Lidl, Aldi oder Kick, die mit zunehmender Prekasierung und dem langsamen verschwinden der Bürgerlichkeit, zu einem Massenphänomen wird, welches die engagierteren von uns mit Hilfe von H&M und Konsorten zu kaschieren suchen.

Eine Sammlung von Wegwerffeuerzeugen sind wie Schmetterlinge im Setzkasten ordentlich und sauber präsentiert. Der Titel der Ausstellung erscheint im Monitor und wirkt wie der Abspann eines eben zu Ende gegangen Filmes auf die Ausstellungssituation ein. Shearer zeigte in der Simultanhalle eine Arbeit, die deutlich von einigem Balast älterer Experimente befreit ist und sich konzentriert mit den Phänomenen Farbe, Struktur, Muster, also Malerei, beschäftigt ohne dabei die umliegende Welt und das Geschen dort zu vergessen.

TIMOTHY SHEARER – The End of Season
24.09. – 22.10.2011

www.simultanhalle.de/

Hella Gerlach bei STUDIO (Berlin)

Der Off-Raum STUDIO, den Berit Homburg und Dominikus Müller seit Mai 2011 bespielen, besticht bereits durch seine charmante Lage. Auf einer Galerie am Kottbusser Tor gelegen und  umgeben von Cafés, ist der Kommunikationsfaktor groß. Besonders in den warmen Monaten bietet der Balkon die Möglichkeit mit der Nachbarschaft ins Gespräch zu kommen und die Gruppe, die sich je um einen Ausstellungsort schart, zu bewirten. So ist Hella Gerlachs Ausstellung TAKE A SLOW DEEP BREATH! ELASTIC IMPRESSIONS erst einmal die letzte für diese Jahreszeit und wurde mit Schwarzer Suppe bei kühleren Temperaturen im Außenbereich beschlossen. Im Frühjahr wird es weitergehen.

von Julia Wirxel (Berlin)

© Courtesy the artist / Bild: Linda Fuchs

Der längliche Raum wurde anfänglich auf minimale Weise verändert, Fußleisten und die eher unansehnlichen Decken entfernt, so dass die Trägerstruktur den Blick auf die Kabel frei gibt. Hella Gerlachs (*1977) Ausstellung ist speziell für diesen Raum konzipiert worden. Da Raum, Werke und deren Präsentation so gut abgestimmt sind, würde man sich wünschen, der Raum könnte als Dauerausstellung eingerichtet bleiben. Der merkwürdige Holzboden wirkt als sei er für diese Präsentation verlegt worden. Vor allem die Stoffbahnen und die daraus entstehenden schwebenden Kabinette, z.B. Element II (Studiolo) (2011), gliedern den Raum, können umrundet und betreten werden.

"Element III" © Courtesy the artist / Bild: Linda Fuchs
"Element III" © Courtesy the artist / Bild: Linda Fuchs

Wunsch der Künstlerin ist es, nach einer Phase der imaginierenden Kontemplation diese Arbeiten anzufassen, in die Stofftaschen der Vorhänge zu greifen und die Ausbeulungen zu untersuchen. In den Taschen sind verschiedene Objekte aus Keramik oder Porzellan verborgen, die in Kommunikation mit dem Körper entstanden sind und nun mit dem Körper des Betrachters in Kontakt treten. Das Handstück (2011) kann man in die Hand nehmen, das Schulterstück (2011) auf seine Schulter legen und mit dem Teil für Zwei (2010), auf jemanden zugehen und ihm eine Hälfte zum Anfassen anbieten. Die Interaktion unterstützt das performative Element der gesamten Präsentation.

"Schulterstück" © Courtesy the artist / Bild: Linda Fuchs
"Teil für zwei" © Courtesy the artist / Bild: Linda Fuchs

Besonders auffällig sind die vier im Eingangsbereich liegenden, sehr verführerischen, roten Bälle (Four Balls, 2011). Das Rot und ihre Form lassen an Tomaten oder Clownsnasen denken, die als Fährte auf dem Boden ausgelegt sind. An einer zunächst nicht einsehbaren Stelle erhält man einen Einblick in das Innere dieser Objekte, da das Porzellan zersprungen ist. Die vier Bälle sind von einer ägyptischen Tradition, dem  Ritual of the Four Balls, inspiriert.

"Four Balls" © Courtesy the artist / Bild: Linda Fuch

Diese Thronbälle lehnen sich an das Ritual zur Raumdefinition an, werden dabei in die vier Himmelsrichtungen geworfen, erweitern, reinigen und schützen so spirituell den Raum und gehen somit über seine physischen Grenzen hinaus. (Ball Nummer vier wurde von der Vernissage – nach der Übung des Werfens – zu einer Lesung an einen anderen Ort mitgenommen und so aber in verbindender Weise noch weiter von dem Ausgangspunkt entfernt.) Die Bälle werden rasch mit der Hand geformt und zeugen so von der Handgröße der Formerin und ihres individuellen körperlichen Abdrucks.

"Fourth Ball" © Courtesy the artist / Bild: Linda Fuchs

Der Titel der Ausstellung weist bereits in Richtung Spiritualität, körperlicher und geistiger An- und Entspannung und den dazu gehörenden Übungen: Dies spiegelt sich in der Arbeit Matte (2011, Keramik, Autolack), die ein Hybrid einer Schriftrolle und Yogamatte sein könnte, jedoch durch ihre Materialität eine weitere Ebene erklimmt. Die Verwendung von Stoffen als Raumteiler kann ebenfalls auf asiatische Traditionen verweisen und ruft Assoziationen an Meditationsräume auf. Durch die Wahl von Nessel – in diesem Fall Blindstoff für Möbelpolsterungen mit französischer Naht – und Viskose in Schwefelgelb, Hautfarben und Schwarz wird der Raum leichtfedrig unterteilt. Die sich bewegende Luft bringt die Stoffkörper in Schwingung, sie werden wesenhaft, scheinen selbst zu atmen und sind zudem mit Körperteilen ausgestattet: Sie nehmen einen langsamen, tiefen Atemzug und folgen den elastischen Eindrücken, die von dem Gesellen (Geselle IV, 2011) ausgehen können, einem tanzenden Möbelstück, oder den nachzuspürenden Bewegungen der roten Bälle.

"Element II (Studiolo), Detailansicht" © Courtesy the artist / Bild: Linda Fuchs
TAKE A SLOW DEEP BREATH! ELASTIC IMPRESSIONS
 
im STUDIO
Ausstellung vom 30. 10–26. 11.2011
 
Adalbertstr. 96
 
10999 Berlin
 
s-t-u-d-i-o.net
 
studio.a96 (at) googlemail.com
 
 
 
Die nächsten Möglichkeiten Arbeiten Hella Gerlachs im Original zu sehen sind in München und Berlin.
 
 
 
Hella Gerlach und Kalin Lindena in der Tanja Pol Galerie, München
 
12.01.- 03.03.2012
 
 
 
StipendiatInnen des Arbeitsstipendiums für Bildende Kunst des Berliner Senats 2011
 
21. Januar – 12. Februar 2012
 
Eröffnung: 20. Januar 2012
 
 
 

WG/3ZI/K/BAR – Die dezemberausgabe

Am 8. Dezember ging es zum letzten Mal in diesem Jahr erneut hoch her im Malkasten. Die Sammlerin Julia Stoschek und der Galerist Max Mayer kochten für uns Wurst, Sauerkraut und Kartoffelbrei (deutlich feiner als es klingt); mit Georg Winter, Fritz Balthaus und Malte Rollof wurde auch für geistige Nahrung gesorgt. Wir waren da und haben es einfach genossen.

Ein Bildbeitrag von Sirin Simsek (Düsseldorf)

www.wg3zikb.de
ein haus für künstlerinnen.gäste.freunde

„HOSTED BY“ IM MAP

M-A-P: Diese drei Buchstaben stehen für drei Räume am Bilker Bahnhof und für das dort beherbergte Markus Ambach Projekte. Der Künstler Ambach, der nach dem titanischen B1/A40-Projekt immer größere Aufträge für die höchsten kulturellen Gremien des Landes zu bewältigen hat, hat ein Faible für die systematische Vernetzung und die forcierte Kooperation. Das war schon in seiner Reihe „The Chain“ zu spüren und es ist nicht anders bei der aktuellen Ausstellung „Hosted by“.

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Markus Ambach lädt zwei Künstler (Erika Hock, Sascha Hahn) und ein Kollektiv (Volker Bradtke) ein, jeweils einen der drei Räume zu bespielen und zieht sich vollständig aus der kuratorischen Verantwortung zurück –  wenn ich es richtig sehe, hat Ambach an diesem Standort nie eine richtige kuratorische Tätigkeit ausgeübt. Die eingeladenen Künstler laden wiederum andere Künstler ein und generieren so eigene Formen der Kooperation. Es sind drei distinkte Ausstellungen entstanden, die drei völlig unterschiedliche Modi der künstlerischen Zusammenarbeit ausmachen. Ein interessantes Experiment mit ungleichen Ergebnissen.

Kasper Akhøj: o.T. (Schindler/Gray) (2009)

Die Bildhauerin Erika Hock bespielt das Haus M und lädt dazu Kasper Akhøj aus Kopenhagen ein. Auch wenn die zwei Künstler es bisher nicht geschafft haben, sich persönlich kennen zu lernen, führt ihre Assoziation zu einer erstaunlich gut gelungenen Symbiose. Akhøj zeigt hier eine fotografische Installation, bestehend aus zahlreichen projizierten Bildern. Schwarz-weiße, zum Teil grobkörnigen Architekturaufnahmen oder Interieurs wechseln sich mit Portraits von einigen Menschen ab. An den Formen und an der Kleidung erkennt man die intellektuelle Aristokratie der 20er Jahre in ihrer avantgardistischen Umgebung. Scharfsinnige Beobachter identifizieren Le Corbusier und Eileen Gray, zwei Ikonen der Architektur und des Designs der Moderne. Während des langsamen und stetigen Laufes der Bilder erzählt uns eine Stimme  im Hintergrund die Geschichte dieser Menschen und dieser Orte. Es ist ein schönes Märchen um den Bau und die Restaurierung zweier Häuser, um die anekdotische Erfassung eines Inkunabels der Architektur, um die Utopien der Moderne, um die Verschmelzung von Kunst und Leben – wobei Akhøj Fakten und Fiktion eng verwebt und die Aussagekraft der Bilder von seiner Narration abkoppelt. Wir stehen – im postmodernen Sinne – vor einer Erzählung, die sich in den Myriaden von Möglichkeiten zwischen Realem und Möglichem auflöst.

Kasper Akhøj: o.T. (Schindler/Gray) (2009)
Dass diese Arbeit in einem der drei Pavillons des MAP präsentiert wird, also in einer Architektur, die sich selbst um Modernität bemüht, passt wie die Faust aufs Auge. Erika Hock führt die Annäherung noch weiter und gestaltet den langen Raum mit einer Paravent-artigen Abtrennung, die die Projektion von Akhøj umfasst. Ihre Struktur aus Holz und einem seidigen Stoff widerholt den Stahl-Glas-Rahmen des Raumes, der die Distinktion zwischen Innen und Außen operiert. Sie nimmt also eine neue Trennung in den Innenbereich vor, lässt aber aufgrund der bedingten Transparenz des Materials die architektonische Referenz durchschimmern.

Zugleich rahmt sie Akhøjs Arbeit ein und verschafft ihr die notwendige Dunkelheit. Diese Shifters, wie Hock die Modulen nennt, stehen also im stetigen Bezug zu ihrer Umgebung, die zitiert, reflektiert und zurückprojiziert wird. Auch wenn sie zu Diensten der anderen Exponaten zu stehen scheinen und als Projektionsfläche fungieren, schaffen sie es, ihre fragile Autonomie zu bewahren.

Erika Hock: Shifters (2011)
Ein wenig weiter sind zwei Objekte im Schaufenster ausgestellt und liegen da, als ob sie auf den Zugriff eines Design-Liebhabers warten würden. Ihre klaren Strukturen werden teilweise von weichen Konturen abgerundet; eine geschmeidige und elegante Angelegenheit. Auch diese Skulpturen behaupten sich zwischen erlesener Funktionalität und Autonomie. Mit ihren puristischen Linien und edlen Materialien erinnern sie an Designklassiker der Moderne – und weben dadurch eine neue Verbindungslinie zu Akhøjs Thematik.

Aber es bleibt hier alles beim Ansatz. Die Gegenstände – es handelt sich wohl um Zitate vorhandener Art Deco-Möbel –   taugen als Sitz, Regal oder Serviertischchen nichts. Sie sind nutzlose, selbstverliebte Dinge, die nichts anderes als ihre skulpturale Präsenz haben. Das Zusammenspiel beider Positionen erscheint ideal: Akhøj und Hock gewähren ihre Selbstständigkeit bei gleichzeitiger inhaltlicher Durchdringung. Ein feiner Zug.

Erika Hock: o.T. (2011)

Der minimalste Eingriff in den herausfordernden Räumen von MAP liefert Volker Bradtke im Haus A. Das Projekt, das sein bisheriges Lokal auf der Birkenstraße kurzfristig verlassen musste, war sicherlich froh, zwischenzeitlich von Ambach aufgenommen zu werden und die norwegische Künstlerin Toril Johannessen zeigen zu können. Wie gewohnt agiert das Künstlerkollektiv hinter Volker Bradtke gedeckt und aus der Distanz. Die Kooperation, wenn man sie als solche bezeichnen kann, beschränkt sich hier auf ein Kurator-Künstler-Verhältnis. Eine Gelegenheit, die Arbeit von Johannessen kennen zu lernen. Ihr techno-konzeptueller Ansatz bezieht sich auf Fragen der – formulieren wir es mal so: – technologisch bedingten Synchronizität. Zeitgleich zur Präsentation in Düsseldorf werden alle im MAP ausgestellten Arbeiten auch in Oslo gezeigt.

An der großen Uhr, die in einem der verglasten Schlauch der MAP-Räumen angebracht ist, geht der Zeiger höchst unregelmäßig, stockt immer wieder und beschleunigt ruckartig seinen Lauf. Er misst dabei nicht die Zeit, sondern – seinen Impulsen von einem Computer erhaltend – folgt dem Rhythmus des Datenverkehrs im WWW. Wenn dieser hoch ist, dann geht der Zeiger entsprechend schnell. Die Uhr funktioniert also als Pegel der menschlichen Aktivität im virtuellen Netz. Daneben an der Wand sind zwei Grafiken eingerahmt, die den Gebrauch des Begriffs „Synchronicity“ in ausgewählten psychologischen Zeitschriften und des Begriffs „Synchronization“ in naturwissenschaftlichen Zeitschriften vergleichend erfasst.  Hinter der neutral-wissenschaftlichen Fassade des Diskurses und den anhaftenden mise en abyme-Effekt, wirken die Arbeiten etwas zu demonstrativ und  pädagogisch-bemüht. Der intellektuelle Spaß hält sich hier in Grenzen.

Das Haus P ist das problematischste. Anders als bei dem konzentrierten Ansatz von Volker Bradtke und Erika Hock, hat sich Sascha Hahn für eine kleine Gruppenausstellung und für die Konfrontation verschiedener Medien entschieden. Hahn hat dabei ein „Portfolio“ mit vier Positionen aus Berlin erstellt. An sich keine schlechte Idee – aber weil sie so wenig Raum erhalten, bekommen die vier Positionen nicht wirklich die Chance, sich zu behaupten. Lobenswert ist indes die Tatsache, dass der gut gefüllte aber nicht überfüllte Raum ein  (gesamtkompositorisch gesehen) Gegenwicht zu den zwei anderen spärlich bestückten Häusern schafft.

Haus P

Besonders hervorzuheben wäre hier die Arbeit von Jörg Schlürscheid. Auch wenn man über die Angemessenheit der Präsentation nachsinnen kann (ob die Unmöglichkeit, die Installation von allen Seiten wahrzunehmen, Teil der künstlerischen Strategie von Schlürscheid oder nur eine fragwürdige kuratorische Entscheidung ist, könnte hier nicht bestimmt werden), ist sein „Nördlicher Wald“ ein der gelungensten Stück der Ausstellung. Schlürscheid recycelt Sockel aus etablierten Kunstinstitutionen und transformiert sie  in autonomen Skulpturen. Das Sehinstrument „Sockel“, für gewöhnlich ein Behilfsmittel zur Inszenierung und Legitimierung von Bildhauerei, fungiert dank einer minimalen Verfremdung und Neukontextualisierung zu einem künstlerischen Objekt, mit einer weiten Verwandtschaft zum Minimal Art.

Jörg Schlürscheid: "Nordischer Wald" (2011)

Sascha Hahn, der eigentlich aus der Malerei kommt aber eine besondere Vorliebe für das Medium Film entwickelt hat, ist selbst vertreten – „Angela“, ist der Film einer in der Kunsthalle Düsseldorf gedrehten Performance von und mit Angela Fette. Die Avantgarde-Pathetik des Films, der zwischen zwei schwarz bemalten Folien projiziert ist, wirkt ein wenig angestrengt. Hommage oder Kooperation?

Sascha hahn: Angela (2011)

Alexander Lieck ist in erster Linie Maler und hat einen Ansatz entwickelt, der sich nicht ohne Ironie auf die Abstraktionen der klassischen Moderne oder auf heroischen Positionen der nicht-gegenständlichen Kunst der Nachkriegszeit bezieht. Hier ist er mit zwei Bodenarbeiten vertreten, in denen hermetisch-glatte Materialien mit grob gemalten Holzklötzen und –brettern kombiniert werden. Lieck komponiert kleine dreidimensionale, suprematistisch-alike Objekte, die einige Leichen heraufbeschwören; hier ein Malewitsch zum anfassen, da ein Mondrian in der Spielstube und dort ein Schwitters ohne Schutzvitrine. Die xte Lektüre der Avantgarde und ihre universalistischen Anmaßungen sind stimmig und intelligent –  aber es ist eben die xte Lektüre.

Alexander Lieck: o.T. (2011)
Alexander Lieck: o.T. (2011)

Schließlich soll hier die Arbeit von Michael Franz Erwähnung finden. Es handelt sich um sehr unterschiedliche, im gesamten Raum verteilte Papier-Arbeiten. Darunter eine Mandala-artige Filsstift-Zeichnung und eine rätselhafte Collage. Ersteres Stück ist insofern interessant als das Medium relativ selten ist. Es lässt einen groben und nervösen Duktus zu und, durch die konzentriert-penible flächendeckende Technik, die Reminiszenz zur Schulzeit oder zu Hobbykunst schafft, sucht eine widersprüchliche Nähe zur Dekoration. Alles in allem ein desorientierendes Eklektizismus, das in dieser Form etwas profillos wirkte.

Michael Franz: o.T. (2010)
Michael Franz: o.T. (Kupka) (2007)
Michael Franz: o.T. (2011)
„Hosted By“ im Markus Ambach Projekte
Ausstellung vom 6.11- 23.12.2011
geöffnet Mi., Do. und Fre. von 11-16 Uhr
Bachstr. 139-143
www.markusambachprojekte.de

#Köln: Mark Pepper und Thomas Woll: 300 – oder Zur aktuellen Ästhetik des Konsumismus

Der Blogger macht seine Arbeit ja immer dann wenn der eigentliche Broterwerb und all die anderen Zwänge der modernen Konsumgesellschaft ihm Zeit und Raum dafür lassen. Bloggen ist also immer auch Hobby oder – so wie die Modelleisenbahn neben dem Partykeller – auch Option um einer Wirklichkeit zu entfliehen, die für den Blogger, aber auch für viele andere Zeitgenossen zunehmend verstörend, schizophrene Züge annimmt. Bloggen ist demnach Verschwendung, Verausgabung und nach den vorherrschenden, gegenwärtigen Wertvortstellungen sinn- und zweckbefreit, weil eben nicht konsumorientiert und damit nicht der wichtigsten Bürgerpflicht – der Steigerung des BIP – verpflichtet.

Auf diese Tatsache sei an dieser Stelle aus zwei Gründen verwiesen:

1. Weil diese Ausstellung, sowie eine weitere, noch zu behandelnde, mittlerweile mehr als zwei Monate zurück liegt und ganz einfach keine Zeit war, sich früher darum zu kümmern.

und 2. Weil es im September in Köln zwei wirklich außergwöhnlich gute Ausstellungen gab, die sich mit der Ästhetik von Massenkultur und Konsumismus beschäftigt haben.

Köln war und ist, nicht nur wegen der Sammlung im Museum Ludwig, bedeutende Metropole der Popart. Und so war es eben auch nur konsequent, dass Pepper und Woll diese Ausstellung in der Domstadt realisierten.

Zum Projekt 300

In der Einladung zur Ausstellung heißt es trotz der politischen Brisanz der Projekts wie gewohnt lakonisch formuliert „Pepper / Woll verweisen mit ihrer Arbeit auf eine Art Produktionsprozess, indem sie 300 von ihnen erworbene 1.00 Euro Artikel abformen. In der Zeit von 15 Tagen, kreiert das Künstlerduo ein schon in der Entstehung vergängliches Produkt, welches sich durch die Beschaffenheit von Papier, Wasser, Farbe und Leim vom ersten Tag der Erstellung bis zum Tag der Ausstellungseröffnung und darüber hinaus verändert.
Pepper / Wolls ,,300″ lässt auf den ersten Blick eine Rückkehr zu den traditionellen Werten des Handwerks vermuten, doch auf dem zweiten Blick lenken sie das Interesse auf die Behandlung der Oberfläche, jener brüchigen Linie zwischen dem Realen und seinem künstlerisch produziertem Abbild.“

Für den Autor dieser Zeilen deuten sich darüber hinaus auf den dritten Blick noch weitere Bezüge an. So kommt es unwillkürlich zu Assoziationen zu Pier Paolo Pasolinis Freibeuterschriften. Diese Schriften aus den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind leidenschaftlich formulierte Parteinahme für die von der zweiten Technischen Revolution bedrohte Natur und Kultur des alten, bäuerlichen Italien, dessen Werte Pasolini gegen die heraufziehende Barbarei des 21. Jahrhunderts in Schutz nimmt.
Pasolini schreibt dort etwa in einem Aufsatz über das Verschwinden der Glühwürmchen „Ich gäbe den ganzen Montedison-Konzern für ein Glühwürmchen her: ‚Gegenüber den Methoden dieses „neuen Faschismus“ (Pasolini) erscheint der traditionelle als hoffnungslos veraltet und ineffektiv: Mit Hilfe der elektronischen Medien. Allen voran des Fernsehens, verbreitet der „neue Faschismus“ seine Konsumideologie, gepaart mit sexueller Permissivität und falscher Toleranz. Bis in den letzten Winkel der Erde und nivelliert und standardisiert alle lokalen und regionalen Kulturen zu einem Einheitsbrei.“
Passolini deutet dort mit drastischen Worten eine Eskalation der kapitalistischen Mißverhältnisse an, die aktuell immer deutlicher zu Tage tritt und viele von uns derzeit mehr oder weniger sprach- und orientierungslos zurücklässt.

Auf den vierten Blick bietet sich über den Titel 300 ein Verweis auf die gleichnamige Comicverfilmung von Frank Miller von 2007 an, die sich ebenfalls, wenn auch mit den Mitteln des Films, mit einer Ästhetik der Barbarei und der Massenkultur beschäftigt. Die Artefakte dieser Barbarei der Massenkultur aus den 1-Euro-Shops unserer Welt sind es, die Pepper und Woll hier für ihre Arbeit inspiriert haben. Nach diesen Vorlagen haben die beiden in einer 15-tägigen Akkordarbeit ihre vergänglichen Objekte produzierten und sind dabei wieder einmal an die Grenzen ihrer eigenen Belastungsfähigkeit vor gestoßen. Es hat sich gelohnt!

Die künstlichen Kopien

Im hintersten Raum zu sehen: Die Originale.

300;
Pepper / Woll
Ausstellungsdauer: 3. – 23. September 2011
Kunstverein Kölnberg