Podiumsdiskussion vom Netzwerk freier Berliner Projekträume

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

So ungern wir Rheinländer und Wahlrheinländer es zugeben: In vielen Dingen sind uns die Berliner ein Stückchen voraus. In Sache Projekträume und freie Kunstszene kennt die Dichte der Berliner Initiativen keinen Vergleich in ganz Europa. Und auch der Grad der Selbstorganisation und die Qualität der Selbstreflexion dieses voluminösen Netzwerkes sind für alle weiteren Off-Projekte der Republik ein Vorbild. 2009 wurde auf Antrieb der Art Transponder das Netzwerk freier Berliner Projekträume und –initiativen gegründet, das sich als „loser Zusammenschluss“ einiger Projekträumen der Hauptstadt versteht. Durch regelmäßige Treffen, Konferenzen und Aktionen sowie die Etablierung einer zentralen, koordinierenden Stabsstelle, die zugleich als Think Tank und als Diskussionsplattform dient, soll ein stärkeres Solidaritätsgefühl kreiert und die Identität und Rolle der unabhängigen Szene definiert werden.

Ein solches Konstrukt kann freilich nur in einer Stadt entstehen, in der die Zahl an Projekträumen derart groß und die politische Motivation ihrer Akteuren so hoch ist wie in Berlin – nur Hamburg könnte gegenwärtig eine vergleichbare Metastruktur auf die Beine stellen. Vergangene Woche organisierte das Netzwerk eine Podiumsdiskussion mit dem programmatischen Titel: „Interdisziplinär. diskursiv. nicht marktorientiert. Zur besonderen Bedeutung von freien Projekträumen und –initiativen für die bildende Kunst in Berlin“; Gastgeber war das Haus der Kulturen der Welt. Was von der Provinz aus wie eine Berlin-berlinerische Nabelschau wahrgenommen werden könnte, sollte jedoch genauer betrachtet werden. Denn die zwischen Kreuzberg und Prenzlauer Berg geführte Debatte dreht sich um Probleme, die wir auch, im wilden Westen – und im Süden und im Norden –, kennen. Außerdem gibt es nirgendwo sonst ein derartiges Reflexionsniveau zu diesem Sujet.

Séverine Marguin

Zum Auftakt der Veranstaltung wurden die Ergebnisse einer von Séverine Marguin geführten Studie präsentiert. Die französische Nachwuchssoziologin hat 2011 eine empirische Untersuchung zu den Berliner Projekträumen durchgeführt und stellt seitdem eine Datenbank her, in der die Komponenten des Phänomens katalogisiert werden. Ihre Umfrage, die von ca. 60 Off-Galerien beantwortet und von Experteninterviews flankiert wurde, brachte im Großen und Ganzen keine brandneuen Erkenntnisse zum Vorschein, bestätigte aber auf wissenschaftlicher Ebene viele gefühlten und intuitiv erfassten Fakten. Dass Projekträume flexibel, spontan, experimentorientiert und finanziell unterversorgt sind, und dass Selbstorganisation Selbstausbeutung zum Korrelat hat dürfte nicht als revolutionäre These durchgehen – aber nun beruhen diese Binsenwahrheiten des Offs auf einem zitierfähigen Dokument.

Die gegenwärtige Dynamik der Berliner Szene ist immer noch an ihre günstige urbane Struktur gekoppelt. Noch stehen genug freie Räume zur Verfügung, die zur Zwischennutzung umgewandelt und von einer Handvoll engagierter Menschen betrieben werden können. 150 Räume, betrieben von 900 Ehrenamtlichen, stemmen Jahr für Jahr um die 750 Ausstellungen in der Hauptstadt. Es sind beeindruckende Zahlen, die die Fragilität und endemische Prekarität des Biotops jedoch nicht verbergen können. Die Lebensdauer eines Projektraumes wurde zwar in Marguins Studie nicht dokumentiert, dürfte aber im Durchschnitt 3-5 Jahren nicht überschreiten. Zudem nimmt die Menge an bespielbaren Räumen aufgrund steigender Mietpreise ständig ab.

Nach der kurzen Präsentation von Marguins Studie fand die angekündigte Podiumsdiskussion statt. Versammelt waren Leonie Baumann, Jan Ketz, Andreas Koch, Heike Catharina Mertens und Detlev Schneider. Es wurden ebenso die klassischen Themen der Projekträume angesprochen, wie beispielsweise Fragen der Finanzierung, der Prekarität oder des ewigen Kampfes „On“ vs. „Off“, als auch neue Entwicklungen, wie zum Beispiel die Tatsache, dass kommerzielle Galerien oder Institutionen (Stichwort: Guggenheim Lab) sich anschicken, Projekträume zu betreiben und damit das Experimentelle und Prozessuale in ihre globale Kommunikationsstrategie zu integrieren – wie Jan Ketz, Leiter des Raums für Zweckfreiheit, bemerkte. Wir können und wollen nicht an dieser Stelle die Gesamtheit des informativen, vielseitigen und gut geführten Gesprächs zusammenfassen; der geneigte Leser sollte selbst zuhören.

Sehr angenehm an der Runde war jedenfalls das Selbstbewusstsein ihrer Teilnehmer, die mit dem anrüchigen Ruf des Off aufräumten. Von außen wird die freie Szene nämlich nicht selten als Reservoir für gescheiterte Künstler gesehen, ohne Zugang zum institutionellen oder kommerziellen System, sich mit den Krümeln der Öffentlichkeit begnügend. Dabei ist das „Off“ eine existentielle Wahl – im Sinne einer politischen Entscheidung –  und kein Abstellgleis. Viele bekennen sich offensiv zur Projektraum-Szene als Ort der Alternative und als Gegenentwurf zu einer dominierenden Kultur; sie sind keineswegs Gestrandete des offiziellen Kunstbetriebs. Die Bemerkung von Leonie Baumann war in dieser Hinsicht rhetorisch geschickt (wenn nicht unbedingt faktisch nachvollziehbar): Wenn einerseits viele junge Künstler sich nicht für den Kunstmarkt interessieren, sondern nur ihre Arbeit verrichten möchten und anderseits gestandene Künstler ohne Galerienvermittlung gut bis sehr gut von ihrer Produktion leben können, und wenn diese beiden Gruppen sowieso die große Mehrheit der Künstlerschaft bilden, müsste man den aktuell herrschenden Kunstmarkt zur eigentlichen Parallelgesellschaft erklären, zum (extrem sichtbaren und lauten, aber letztendlich peripheren) Randphänomen mit geringfügigem Realitätsbezug.

Dieses Selbstbewusstsein ist im braven Westen wenig vertreten. Hier spielt das Off allzu oft die Rolle eines Sprungbretts ins sehnsüchtig erträumte On. Eine klare politische und konsequente Haltung für die freie Szene lässt sich nicht ausmachen. Und vor allem lässt eines sich nicht ausmachen – und das ist etwas, das wir Rheinländer und Wahlrheinländer von den Berlinern lernen sollten: Den Zusammenschluss.

 

 

Über die Streetart in Düsseldorf (und anderswo)

Es ist schon eigenartig mit dem Internet. Da scannt man täglich durch den digitalen Äther, hält die Augen auf und ist fest davon überzeugt man kenne sich gut aus und all das was dazu gehört. Und wenn man schon nicht alles kennt, dann glaubt man doch man hätte zumindest all das auf dem Schirm, was für die eigene Filterbubble von Relevanz ist.
Und dann stolpert man eines Tages doch über etwas Neues was offensichtlich gar nicht so neu ist, schaut ich das dann an und fragt sich wie diese Sache so lange Zeit mit solcher Energie betrieben werden konnte, ohne in den eigenen Wahrnehumgshorizont zu geraten. Sebastian Hartmanns Blog streetartmag.wordpress.com ist ein solches Projekt und wird hiermit sofort in unsere Blogroll aufgenommen.
Schön, dass es auch in Düsseldorf ein ambitioniertes Projekt gibt, welches sich dieser mittlerweile ganz und gar nicht mehr so exotischen Kunst im öffentlichen Raum widmet. Und schön auch, dass das Projekt nicht nur in der digitalen Öffentlichkeit aktiv ist, sondern auch in den Straßen der Stadt, zum Beispiel mit einer kleinen Streetart-Führung für Facebook-Fans durch Bilk.

Sebastian Hartmann bei der zweiten Streetart-Tour durch Düsseldorf Bilk

 

Die Bilder stammen aus Sebastian Hartmanns Blog und von den Kollegen vom bilkorama – wir sagen Danke! Weitere Infos zu den vorgestellten Künstlern und zu Streetart in Düsseldorf generell finden unser neugierigen Leserinnen und Leser dort.

(Tip via Rieke – Danke!)

http://streetartmag.wordpress.com

 

Winfred Gaul im Grafischen Kabinett

von Dominik Busch (Düsseldorf)

Fotos: Sebastian Riemer

 

Den langen Flur in der Ackerstraße mit einer Ausstellung zu bespielen, die „ich unbedingt noch machen wollte“, bevor das Grafische Kabinett in absehbarer Zeit schließt – so gezwungen wirkt die Schau beileibe nicht. Es verwundert vielmehr die für das Kabinett ungewohnt farbigen Siebdrucke Wilfred Gauls, die Erzählungen zufolge der sonst eher üblichen Grisaille ausgestellter Arbeiten entgegentritt.

Foto: D. Busch

Sebastian Riemer, über den perisphere.de bereits zu anderer Gelegenheit berichtete, Meisterschüler von Thomas Ruff und Christopher Williams, öffnet seit mehreren Jahren seine Wohnung für temporäre Ausstellungen. Der Name ist hierbei Programm. So werden im Grafischen Kabinett vornehmlich Grafiken von akademienahen Künstlern und Künstlerinnen ausgestellt, zuletzt solche des Düsseldorfer Malers Lukas Schmenger. Wir haben es also mit einem Projektraum aus dem direkten Umfeld der Kunstakademie Düsseldorf zu tun und dürfen eine kuratorische wie künstlerische Auseinandersetzung am vermeintlichen Puls der Zeit erwarten.

 

Warum also, mag manch einer fragen, stellt man im Jahr 2012 einen Maler des deutschen Informel aus, dieser Großkeule deutscher Malereigeschichte? Warum zudem in einem Projektraum, der von einem Kurator in seinen Mittzwanzigern betrieben wird und der begann zu studieren, als Gaul gerade verstorben war? Etwa Profilierungsnot im Wust Düsseldorfer Projekträume? Abwechslungsbedürfnis zu den sonst omnipräsenten Positionen aspirierender Kollegen? Oder schlichtweg das Ergreifen der Gelegenheit beim Schopfe? Nichts von alldem und doch von allem ein bisschen.

 

Die Gelegenheit bot sich Riemer durch die Bekanntschaft mit der Nichte Gauls, die den Kontakt zwischen dessen Witwe, seiner Nachlassverwalterin, und Riemer herstellte. Ein Zufall definitiv, und doch ein glücklicher. Nicht viele Düsseldorfer Projekträume können sich eines solch großen Namens rühmen. Und dieser verfehlt auch nicht seine Wirkung; zur Eröffnung am vergangenen Freitag erscheinen Galeristen gleichermaßen wie Museasten und Kollegen beider Professionen. Die Auswahl der gezeigten Arbeiten bildet indes den Querschnitt einer der differenten Phasen im Werk Winfred Gauls. Geboren in Kaiserswerth, studiert bei Baumeister in Stuttgart, Aufenthalt in Paris, Auszeichnung unter Anderem der Villa Romana und (Gast)Professuren in Norddeutschland und England. Mitglied der Gruppe 53, Freund und Kollege Dahmens, Hoehmes, Götz’ und Brünings. Soweit die Vita eines „typischen“ Informellen. Doch Gauls Werk lässt sich klarer als das der genannten Kollegen in Phasen einteilen, zumal er diese selbst markierte und benannte. Sinngemäß zitiert, begriff er das Informel wie viele seiner Weggefährten als revolutionär-anarchistische Verarbeitung braundeutscher Vergangenheit, dessen Kunst sich jedoch sukzessive abnutze und von Zeit zu Zeit wieder aufgeladen werden müsse – und zwar an und durch die Realität.

 

Informelle Grafiken sind die ausgestellten daher auch nur nominell, korrekterweise stammen sie aus Gauls Gruppe der Signale & Verkehrszeichen. In jenen sah der durchaus belesene Maler einen Sonderfall des Zeichens, angesiedelt zwischen Ikon und Symbol, einen abstrakter Index kultureller Prägung. In ihre formalen Bestandteile zerlegt, legen diese die ikonische Verwendung von Zeichen offen und demonstrieren die doppeldeutige Oberflächlichkeit des aufkommenden digitalen Zeitalters. Im Begleittext eines Kataloges moniert Gaul die in den 60er und frühen 70er Jahren zunehmende Schilderflut deutscher Großstädte, die Bilderflut der Werbung, der Banner und Plakate. Die Formensprache seiner Siebdrucke entstammt jener Alltagsästhetik, sie seziert und analysiert sie jedoch gleichermaßen. Sie zeigt uns die ihr implizite Verdummungsstrategie, die gezielte Vereinfachung bildlicher Inhalte zugunsten einer allgemeinverständlichen Aussage; Strategien, die mittlerweile als Kavaliersweg gewisser deutscher Fotografen dienen und nicht zuletzt dadurch schon lange ins Repertoire zeitgenössischer Kunstpraktiken aufgenommen wurden. Doch das Einfache Zeigen wäre nicht genug. Gauls Arbeiten sind ebenso formal spannend wie sie klug sind, sie sind ebenso klassisch wie sie aktuell sein können.

Hierin liegt also die Rechtfertigung jener Ausstellung, wenn es denn einer solchen bedürfte. Hierin liegt auch ihre Stärke. Gauls Siebdrucke sind trotz all ihrer Aktualität zur Zeit ihrer Entstehung ihrer Zeit weit voraus. Bedenkt man, dass die älteste gezeigte Grafik ’63 und die meisten um 1970 entstanden sind, zweifelt man so manches Wissen und Können zeitgenössischer Kollegen an. Gemäß dem vergleichsweise jungen Gedanken eines französischen Kunstkritikers, wird jegliche Form entwickelt und auf vorherige aufgebaut, in der Form, wie sich Eis „setzt“. Was gestern formlos oder informell war, trifft heute nicht mehr auf sie zu. Die Ambivalenz, mit der uns die Arbeiten Winfred Gauls zurücklassen, das Hin- und Hergeworfensein zwischen melancholischer Wertschätzung und neidvollem Staunen belegt das. Genauso wie die sinnbildliche Eingangsbemerkung Riemers: „Gaul wird völlig unterschätzt.“

 

Schilderwald – Winfred Gaul im Grafischen Kabinett
Ausstellung 17-20.11.2012
Ackerstr. 39
Besichtigung nach Vereinbarung (0178 400 71 75)

 

Dreamland im Venus und Apoll

eine Fotostrecke von Sirin Simsek (Köln, Düsseldorf)

 

Die THE CONEY ISLAND PSYCHOANALYTIC AMATEUR SOCIETY erkundet ein neues Land zwischen ‚Kunstwelt‘ und ‚Alltagsleben‘. Sie sucht verlassene oder anachronistische Orte heim, um sie in erfahrbare Räume rückzuverzaubern. Die Treffen der Society finden nie zweimal am selben Ort und stets in jeweils verschiedenen Konstellationen statt.
An der Düsseldorfer Versammlung beteiligt waren: Aaron Beebe, Zoe Beloff, Ul-rich Bernard NAILS NOW, Çish&Phipps, Johanna Daab, Iris Dankemeyer, Mf David Deery, Lisa Domin, Wythe Marschall, Scott Wyman Neagle, Andrew ‚Aberglaube‘ Kemp

 

 

 

 

 

Stefan Riebel – Somethings in der Boutique am Ebertplatz

von Florian Kuhlmann (Düsseldorf)

 

2010 wurde ich auf Stefan Riebels Arbeit ‘Black Pixel‘ aufmerksam – ein 1×1 Pixel großes, schwarzes Quadrat auf weißer Fläche. Die Arbeit hat mir auf Anhieb sehr gut gefallen und da ich etwas neidisch auf ihn und seinen Einfall war, beschloss ich ihm die Arbeit zu stehlen.

Dazu speicherte ich seinen schwarzen Pixel bei mir auf der Festplatte, kopierte ihn dann per FTP in den Webspace meines Servers, um ihn von nun an dort unter der Domain www.stolen-black-pixel.de zu präsentieren. Stefan informierte ich dann per E-Mail über den dreisten Diebstahl, so kamen wir in Kontakt und es entstand über die Jahre ein äußerst fruchtbarer Austausch, mit gemeinsamen Projekten und Ausstellungen, vor allem in Berlin.

Um so schöner also, dass der Berliner Künstler, Kurator, Projektinitiator und Raumbetreiber (Institut für alles Mögliche) nun vom 18.11. bis zum 02.12.2012 mit einer Einzelausstellung in der Kölner Boutique zu Gast ist. Der Projektraum wird von Maximilian Erbacher, Yvonne Klasen
und André Sauer auf der unteren Ebene der Ebertplatzpassagen betrieben, wo sich mittlerweile mit gleich drei Räumen ein Zentrum der Kölner Off-Szene gebildet hat. Schräg gegenüber der Boutique liegt Bruch&Dallas, direkt daneben die Halle der vollständigen Wahrheit. Der Ort ist abgerockt, hinreichend zentral gelegen und dennoch abgeschieden genug um auch mal ordentlich feiern zu können – was im übrigen u.a. der Partyinszenator Alexander Wissel mit dem Single Club vor Ort auch dort bewiesen hat.

Somethings

ist der Titel der Ausstellung, unter dem Riebel ältere und aktuelle Arbeit zusammen gestellt hat.

somethings ist neben dem Namen der Ausstellung aber auch gleichzeitig Titel der größten und nach Außen hin sichtbaren Videoinstallation. Die dort zu lesenden Wörter auf der matten Scheibe hat Riebel assoziativ für diese Ausstellung gesammelt. Seit der Einladung hatte er immer wieder Worte notiert die ihm im zusammenhang mit diesem Ereignis in den Sinn kamen. So entstand eine ortsspezifische Wortsammlung, ganz ähnlich einer Tag-Cloud.
Riebel hat die Arbeit seit dem Jahr 2010 an verschiedenen Orten realisiert und die Ergebnisse dieser Denktätigkeit im Netz festgehalten http://somethings.stefanriebel.de/.

Die Arbeit dedication pieces besteht aus Postkarten und Plakaten die auf einem Holztisch ausgelegt und zum mitnehmen sind. Die Arbeit verteilt sich so mit Hilfe der Besucher langsam und kontinuierlich über die Welt. Auf den verschiedenen Medien in unterschiedlichen Formaten sind poetische, minimalistisch Widmungen notiert, die sich online nachlesen lassen dedication.stefanriebel.de/.

Die Arbeit bg (before google) – im Netz zu sehen unter www.beforegoogle.net war in Düsseldorf in der weißen Version bereits im Rahmen des Transprivacy-Projekts zu sehen. Auch hier lagen kleinformatige Flyer aus, über die sich das Konzept langsam aber leicht mit Hilfe des Publikums verteilt.

Die versuchsanordnung für plattenspieler, vinylrohling und zeit (#3) besteht aus einer einfachen Konfiguration. Auf einem Plattenspieler liegt ein Vinylrohling auf, der beim Abspielen durch die darauf kratzende Nadel beschrieben wird. Die dabei entstehende Tonspur wird gleichzeitig auf normalem Wegen auf den Boxen abgespielt.

dead pixel (on hyundai b71a) ist ein Sammlerstück aus Riebels Sammlung kaputter Pixel, wie sie sich auf diversen Monitoren und Flachbildschirm befinden. Dieser toter Pixel befindet sich auf einem Hyandai B71A Flatscreen. In der Vergrößerung und auf dem Kopf stehenden online hier zu sehen dead-pixel.stefanriebel.de/

Stefan Riebel, somethings
Dauer: 17.11.-01.12.2012
Öffnungszeiten: Do-Sa, 16-19 Uhr

Ebertplatz 0,
Ebertplatzpassagen,
50668 Köln

www.boutique-koeln.de

Rückblick Kunstfilmtag 2012

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Fotos (wenn nicht anders angegeben): Christof Wolff

 

Schon immer war der Düsseldorfer Kunstfilmtag ein Filmscreening der anderen Art. Lokale und soziale Aspekte spielten bereits bei den vergangenen Ausgaben eine wichtige Rolle, und die Gründerin der Veranstaltung, Susanne Fasbender, weigert sich seit der ersten Stunde beharrlich, von einem „Festival“ zu sprechen – denn sie hält die Vorstellung eines Wettbewerbs in diesem Fall für unangebracht. Der Kunstfilmtag ist in erster Linie ein großer Familientreff, der von Jahr zu Jahr immer mehr Menschen anzieht, und neben Beiträgen aus der ganzen Welt viel Raum für die Film- und Videopräsentationen Düsseldorfer Künstler schafft. Von Mittag bis Mitternacht wird Programm gemacht. Die Kurzfilme werden in mehr oder weniger stringenten thematischen Blöcken gezeigt; im Foyer kommt man zusammen und tauscht sich in ungezwungener Atmosphäre aus. Gerade diese atmosphärische Komponente, fernab der professionellen Anspannung üblicher Filmwettbewerbe, macht den Charme des Kunstfilmtages aus.

„Die Sprache ist das Haus in dem wir leben“. Der schöne, poetische Titel der Veranstaltung, einem Film von Jean-Luc Godard entnommen, hätte zu einem engen programmatischen Korsett werden und den Kunstfilmtag zu einer didaktischen Übung werden lassen können. Die offene Filmzusammenstellung, die wie gewohnt besonders auf lokale Künstler einging und ein erweitertes Verständnis von Sprache zu Tage legte, umging dieses Hindernis aber geschickt. Zwar boten genug Filme Reflexionsstoff zur Thematik an; alles in allem gestaltete sich der Tag jedoch unaufdringlich. Von der Doku zur Fiktion, vom Animationsfilm zum künstlerischen Experiment, von der Bildsprache zum Sprachspiel, von der Sprache als Erinnerungsvermögen zur Sprache als Konstituierungselement der Welt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit und mit einem guten Gefühl für Rhythmus entfaltete die abwechslungsreiche Vorführung zahlreiche Facetten ihres Sujets.

Foto: Saskia Zeller
Im Appendix-Saal des Malkastens hatte Susanne Fasbender eine Auswahl an längeren, zumeist politischen Filmen…
… zusammengestellt und damit eine konzentrierte Wahrnehmung ermöglicht.

Es war jedenfalls interessant festzustellen, wie die Aufmerksamkeit des Besuchers sich im Laufe des Tages veränderte und die Fokussierung auf sprachliche Phänomene sich verschärfte. Wer genug Sitzfleisch und Zeit hatte, um mindestens drei oder vier Blöcke zu erleben, konnte während der Pausen zusehen, wie die Welt sich in einen einzigen Sprechakt verwandelte. Und wer rein theoretische Aspekte vertiefen wollte, konnte sich mit den Aufsätzen des Katalogs befassen, wovon einige hochwertig waren (ich denke hier besonders an den Artikel von Frauke Tomczak).

Susanne Fasbender (Bild: Saskia Zeller)
Katharina Schmitt (Foto: Saskia Zeller)

Zwei wesentliche Veränderungen haben den diesjährigen Kunstfilmtag bereichert. Zunächst wurden die Beiträge nicht mehr per Post oder per pedes eingereicht, wie in den vergangenen Jahren, sondern auf der Reelport-Plattform hochgeladen und dann juriert. Dadurch wurde der Call for Entry weltweit ausgestrahlt und erreichte sowohl Künstler als auch „klassische“ Filmemacher und Filmkreative aller Couleur. Neben einer Steigerung der Einreichungen auf über 500 Filme, hat dieser Auswahlmodus zu einer Erweiterung der GenreBandbreite geführt; klassisch-erzählerische Kurzfilme, die bisher kaum berücksichtigt wurden, fanden so Eingang in den Kunstfilmtag. Die zweite Veränderung betraf die Konstituierung eines Teams. Fasbender hat alle drei vergangenen Veranstaltungen im (Beinahe-) Alleingang durchgeführt und war demnach ausgebrannt. Nun wurde sie von der Künstlerin Katharina Schmitt unterstützt, die sich mit viel Energie und Tatendrang in die inhaltliche und organisatorische Materie stürzte. Im Hintergrund wirkten noch einige Menschen mit, um die zwei Macherinnen zu entlasten.

Der Original-Trailer wurde von Frauke Berg realisiert (Foto: Saskia Zeller)

Nach Aussage einiger treuer Kunstfilmtag-Aficionados war diese Ausgabe die bisher beste. Die Qualität der Beiträge wurde hervorgehoben, das sympathisch-lockere Ambiente genossen. Dieser Kunstfilmtag war also ein Erfolg und bildete für Susanne Fasbender und Katharina Schmitt die Bestätigung einer guten Zusammenarbeit. Und nun, da das Gewicht der Organisation auf mehreren Schultern verteilt wird, können wir hoffen, dass es in naher Zukunft eine fünfte Ausgabe der Veranstaltung geben wird…

Das INSTITUT FÜR ALLES MÖGLICHE in Berlin

Ein Gastbeitrag von Luisa Hänsel, Berlin

Kunst lebt nicht vom Sehen allein. In diesem Sinne erprobt das Institut für Alles Mögliche (I-A-M) neue Wege der künstlerischen und nicht-künstlerischen Zusammenarbeit. Statt sich weiterhin am Konzept eines „Friedhofes der Dinge“, wie Boris Groys es nennt zu orientieren, ermöglicht das Institut die aktive Teilnahme an kreativen Prozessen.

Dabei bleibt es nicht in herkömmlichen Strukturen verhaftet, sondern streckt seine Fühler über den gesamten Stadtraum Berlin aus. In Wedding, Neukölln und Mitte betreibt das Institut seine Zweigstellen Zentrale, Niederlassung, Büro für Bestimmte Dinge und Abteilung für Alles Andere. Kommerzielle Mietstrukturen werden genutzt, um nichtkommerzielle Experimente zu realisieren.
Das I-A-M bietet Raum und Zeit für Projekte jeglicher Art. Dazu gehören eigenwillige Formate, wie der einmal im Monat stattfindende Berlin Art Battle, die von Laura Klatt organisierten Tischgesellschaften oder etwa Workshops zu Robotermusik von Karl Heinz Jeron.

Tischgesellschaften
Berlin Art Battle
Roboterhausmusik

Viele Veranstaltungen animieren die Besucher zum Mitmachen und regen zu Interaktion und Kommunikation zwischen allen Involvierten an. Kunstvermittler und Gründer des Instituts für unkontrolliertes Denken Oliver Breitenstein oder Netzkünstler Florian Kuhlmann eröffneten mit Projekten, wie dem Büro für Kunstvermittlung und der Ausstellung Konfiguration No 7, Diskurse über die momentane Situation der Kunstwelt und den Gebrauch neuer Medien.

Das vom Institut für Alles Mögliche jährlich organisierte unkuratierte Performancefestival Direct Action ermöglicht außerdem weniger bekannten oder unbekannten Künstlern ihre Arbeiten der Öffentlichkeit zu zeigen. Dadurch erhalten auch junge Kreative, wie beispielsweise Kunsthochschulstudenten, die Chance sich vor Publikum zu präsentieren.

Direct Action 2012
Direct Action 2010

In den Künstlerresidenzen, Büro für Bestimmte Dinge und Zentrale, finden Kunstschaffende aus aller Welt eine Anlaufstelle für kreative Arbeit in Berlin. Den Ideen sind auch hier keine Grenzen gesetzt. Kunst ist kein Muss, sondern eine Möglichkeit. Subtiler Humor schwingt dabei fast immer mit.


DAS BÜRO FÜR BESTIMMTE DING

Das „BÜRO FÜR BESTIMMTE DINGE“ in Neukölln ist ein Atelier und Wohnraum und steht seit August 2012 Künstlern aus aller Welt zur Verfügung. Es ist eine schöner und einfacher Ort um in Berlin zu wohnen, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren und in einem der spannendsten Statteile Berlins seine Projekte zu präsentieren.


ZENTRALE

Die „ZENTRALE“ in der Schererstraße im Wedding ist ein weiteres Atelier und Wohnraum der seit Juni 2011 Künstler aus aller Welt offen steht. Auch hier handelt es sich um ein einfachen und charmanten Ort um in Berlin zu wohnen, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren und seine Projekte zu präsentieren.


DIE ABTEILUNG FÜR ALLES ANDERE

Die „ABTEILUNG FÜR ALLES ANDERE“ ist ein temporäres Büro / Labor / Initiative für Kunst und alles Andere. Sie befindet sich in einer Remise im Innenhof der Ackerstraße in Berlin Mitte und ist etwa 30 qm groß. Der Raum wird in zusammenarbeit mit dem Künstlerhaus am acker! e.v. organisiert und wurde im September 2011 eröffnet.


NIEDERLASSUNG BERLIN

Die „NIEDERLASSUNG BERLIN“ ist ein Experimentalraum sowie ein Ort für Sammlungen, Absurdes und langwierige Prozesse. Sie befindet sich in einem Ladengeschäft im Wedding und wird in zusammenarbeit mit Ilse Ermen organisiert und unregelmäßig bespielt.

Institut für Alles Mögliche
PO-BOX 440156
12001 Berlin
Germany 
www.i-a-m.tk

What is it to be Chinese? im Grimmuseum

von Stefanie Ippendorf (Berlin)

 

Auf die Frage „Was bedeutet es Chinese zu sein/ Was bedeutet Chinesisch-Sein?“ würden sicherlich viele Nicht-Chinesen mit einem bunten Potpourri aus Klischees antworten: Chinesen sind klein, essen Hundefleisch mit Stäbchen, schmatzen, schlürfen und spucken, fälschen Markenartikel, sind eine wirtschaftliche Großmacht auf der Überholspur, müssen die Ein-Kind-Politik und Zensur der Kommunistischen Partei erdulden und eifrig für niedrige Löhne arbeiten.

FX Harsono: Writing in the Rain

Der China-Fastfood-Mann von nebenan oder Chinatown in New York – vielen von uns scheint die chinesische (Eß-)Kultur vor allem durch die unzähligen, in der ganzen Welt verstreuten Auslandschinesen vertraut, doch welche Beziehung haben die oft schon seit mehreren Generationen nicht mehr in China lebenden Menschen zu ihren kulturellen Wurzeln und wie definieren sie ihre Identität? Genau dies sind die Fragen, um die es in der von Katerina Valdivia Bruch kuratierten Ausstellung >What is it to be Chinese?< im Berliner Grimmuseum geht. Die fünf beteiligten KünstlerInnen sind zwar chinesisch-stämmig bzw. haben einen chinesischen Hintergrund, doch wurden sie weder in China geboren, noch sprechen sie die Sprache oder leben dort. Oftmals nehmen sie die eigen Vita oder Familiengeschichte als Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeit und vermitteln so ganz persönliche Eindrücke davon, was es heißt, Teil der globalen Migrations-bewegungen zu sein und von außen auf das Land des eigenen kulturellen Ursprungs zu schauen.

Kyungwoo Chun: 1592Nr1 und Nr2
Kyungwoo Chun: Departure Songs
David Zink Yi: El Festejo

Für das von 2006 bis 2008 andauernde Fotoprojekte >Thousands< begab sich der Südkorea geborene  und heute in Seoul und Bremen lebende Künstler Kyungwoo Chun auf eine Recherchereise in die chinesische Provinz Henan. Dort machte er sich auf die Suche nach Menschen mit demselben chinesischen Familiennamen und wurde fündig. „Chun“ ist nicht nur ein gängiger Name in der Region, sondern bedeutet „1000“ auf Chinesisch. Der Bedeutung seines Familiennamens folgend, hat Kyungwoo Chun tausend weitere „Chuns“ portaitiert und auf den Fotos deren Geburtsorte und –daten archiviert. Alleine durch die Erkundung des eigenen Namens, erinnert Chun an die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichende Geschichte der Chinesen, die nach Korea ausgewandert sind. Einer von ihnen war auch General Chun, der 1592 vom chinesischen Kaiser mit einem Heer ins Feindesland Korea geschickt wurde, dort jedoch sesshaft wurde. Die beiden verschwommenen Fotos eines Mannes in Kämpfermontur, >1592#1 und #2< (2007), verweisen auf die historische Person.

David Zink: Yi El Festejo

Auch David Zink Yis >El Festejo< (2001) vermittelt Geschichte über den Lebenslauf einer Einzelperson. Sein 2-Kanal-Video erzählt von einer Peruanerin, deren Mutter chinesischen und deren Vater afrikanischen Ursprungs ist. Nahaufnahmen ihrer Hände oder eines Auges werden hier neben asiatischen Porzellanfiguren an die Wand projiziert. Zwischendurch sind trommelnde Hände zu sehen und man hört afrikanisch-peruanische Musik. Dass ein chinesisch-afrikanisches Paar auf peruanischem Boden zueinander finden konnte, hängt damit zusammen, dass Afrikaner im 16. Jahrhundert als Sklaven nach Peru gebracht wurden, welche im Laufe des späten 19. Jahrhunderts zunehmend durch chinesische Arbeiter ersetzt wurden. Ähnlich wie die Protagonistin seines Videos ist auch Zink Yi in Peru geboren, ist jedoch das Kind Deutsch-Chinesischer Eltern.

Truong Ngu: Glücklicher Stern
Truong Ngu: Glücklicher Stern
Truong Ngu: Glücklicher Stern

>Glücklicher Stern (Lucky Star)< (2010) ist wie ein Brettspiel aufgebaut. Als Spielplan dient eine chinesische Landkarte, es gibt Spielsteine, einen Würfel und Handlungsanweisungen. Das Spiel ist Bestandteil von Truong Ngus gleichnamiger Performance, bei der der Künstler über den Akt des Spielens vermittelt die Migrationsgeschichte seiner Familie erzählt. Hier bestimmen die Würfel das Schicksal einer Familie, die sich gezwungen sah, ihr Heimatland Vietnam als chinesische Minderheit zu verlassen. Heute lebt und arbeitet Ngu in Berlin.

FX Harsono: Writing in the Rain
FX Harsono: Writing in the Rain

Mit der installativen Videoarbeit >Writing in the Rain< (2011) thematisiert FX Harsono den lange Zeit durch Diskriminierung und Vertreibung geprägten Alltag der in Indonesien lebenden Überseechinesen. Selbst in Ost-Java zur Welt gekommen, lernte Harsono erst vor wenigen Jahren, seinen chinesischen Namen zu schreiben. In dem Video macht er genau dies: es zeigt, wie er den Namen wiederholte Male mit Tinte auf eine Glasplatte schreibt, bis sich die Schrift zu einem abstrakten Muster verdichtet und schließlich von einem starken Regenguss wieder ausgelöscht und fortgespült wird. FX Harsono bezieht sich damit auf eine gesetzliche Anordnung, welche die in Indonesien lebenden Chinesen Ende der 1960er Jahre zwang, ihre Namen in indonesisch klingende Namen umzuändern. In derselben Zeit war es verboten, chinesischsprachige Bücher und Zeitschriften zu verkaufen und das chinesische Neujahrfest zu feiern, chinesischsprachige Schulen im Lande wurden geschlossen und viele Kulturvereinigungen wurden aufgelöst

Tintin Wulia: Study for Wanton
Tintin Wulia: Study for Wanton

Tintin Wulia stammt ebenfalls aus Indonesien, lebt und arbeitet aber inzwischen in Melbourne. Die 4-Kanal-Videoinstallation >Study for Wanton< (2008) zeigt verschiedene Filme im Loop: Mücken in Reagenzgläsern, jemand, der Glückskekse öffnet, eine Fahrt durch eine grüne Landschaft, eine Frau, die verschiedene Nationalhymnen Karaoke singt. Mal auf einem Fernsehbildschirm, mal an die Wand gebeamt, flirren die Filme um einen herum und verleiten zum Gedankenspiel. Dem Ausstellungstext ist schließlich zu entnehmen, dass es sich bei den Karaoke-Liedern um Nationalhymnen von Ländern wie Japan oder den Niederlanden handelt, die Indonesien einmal besetzt haben und dass die Glückskekse, welche seit jeher mit China bzw. chinesischem Essen in Verbindung gebracht werden, ursprünglich gar keine chinesische Erfindung sind (Wer hats erfunden? die Japaner!).

Tintin Wulia: Study for Wanton

 

What is it to be Chinese?
Kyungwoo Chun, FX Harsono, Truong Ngu, Tintin Wulia, David Zink Yi
12.10.-18.11.2012
 
Grimmuseum
Fichtestrasse 2
10967 Berlin
Mi-So 14-19h
 
www.grimmuseum.com
info@grimmuseum.com
Infos zum aktuellen Buchprojekt: www.grimmuseum.com/blog-61/blog-74/index.html

 

 

 

Unser Mann in Nürnberg

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Danke, vielen Dank, tausend Dank, oh, Du freundliche Nürnberger Congress- und Tourismus-Zentrale, für Deine Einladung! Was, außer Deinem verführerischen, zweitägigen, rundumbetreuten Angebot, hätte mich sonst dazu motiviert, die Stadt Nürnberg zu besuchen? Nichts. Aber du ludst mich ein und ich bekam die Gelegenheit, mir ein Bild der selbstorganisierten Kunstszene der Stadt zu machen. Anlass war allerdings ein anderer: Die Akademie der Bildenden Künste wurde dieses Jahr 350 und zählt somit zur ältesten Kunst-Ausbildungsstätte der Republik. Ein erstaunliches Alter, wenn man bedenkt, dass die erste Kunstakademie des Abendlandes in Florenz weniger als ein Jahrhundert zuvor gegründet wurde. Trotz der ausgiebigen Feierlichkeiten und einer anknüpfenden, hochinteressanten Tagung zur Rolle der Kunstakademie und zum Sinn der Künstlerausbildung, darf die Frage gestellt werden – wer in der weiten Welt hat dieses außergewöhnliche Jubiläum wirklich wahrgenommen? Denn wer im Jahr 2012 sein Blick nach Nürnberg gerichtet hat, konnte vor allem Eines sehen: Dürer.

Der „berühmteste Sohn der Stadt“ (ein geflügeltes Wort, das ich zu oft zu hören bekam) bleibt – fast 500 Jahre nach seinem Tod – ein gnadenloser Egozentriker, der alle Scheinwerferlichter auf sich monopolisiert und keine Konkurrenz duldet. Die vermutlich letzte umfangreiche Schau von Dürer lockte in den vergangenen Monaten bis zu 300.000 Menschen nach Nürnberg. Die Zahl der z.T. weitgereisten Gäste, die im Anschluss an ihren Besuch des Germanischen Nationalmuseums auch noch einen Fuß in das (architektonisch) wunderbare Neue Museum gewagt haben, ist zwar nicht erfasst worden, dürfte jedoch nach Aussage der Museumsdirektorin Angelika Nollert, sehr gering sein. Wer zu Dürer geht, hat u.U. seine Schwierigkeiten mit Richter, Kiecol oder Taffe. Und kann mit der sehr jungen Kunst, die in der AdBK produziert wird, nichts anfangen.

Akademie der Bildenden Künste

Wie viele von den Dürer-Fans und anderen Frankenophilen wissen eigentlich, dass die Stadt über eine so schöne Kunstakademie verfügt? Die von Sep Ruf in den frühen 1950er Jahren erbauten Pavillons, in denen die einzelnen Klassen untergebracht sind, liegen idyllisch am Stadtrand, umgeben von hohen Bäumen, offen zum Himmel und zur Natur. Nach den schweren Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft, die besonders in Nürnberg wie Blei gewogen hatten, bildete Rufs humanistische und zuversichtliche Architektur den Versuch, eine längst verlorene Leichtigkeit und Durchlässigkeit wieder zu finden. Die klaren Linien und die offene und transparente Struktur der Anlage zeugen bis heute von einem euphorischen Zukunftsglauben. Die Stadt lag noch in Schutt und Asche; abseits der zerstörten Welt von gestern wurde an einer neuen Welt gearbeitet.

Bildhauereiklasse

Die AdBK ist ein leider wenig bekanntes oder gar verkanntes Musterbeispiel der modernistischen Architektur und zählt mit Sicherheit zu den schönsten Kunstakademien der Republik. Allerdings ist auch sie von den globalen Entwicklungen im Bereich der künstlerischen Ausbildung betroffen. Ursprünglich für 150 Studierende konzipiert, zählt die Anstalt heute mehr als zwei Mal so viele Schüler. Der Raumnot ist überall sichtbar, wird aber besonders in den Bildhauerei-Ateliers eklatant. Um die vorhandenen Werkstätten zu entlasten und die angehenden Kunsterzieher (zurzeit in der 15 Kilometer weiter gelegenen Stadt Lauf untergebracht) zu integrieren werden gerade weitere Pavillons gebaut, die die filigrane Achse von Sep Ruf verdoppeln sollen. Es ist noch zu früh, um zu sagen, ob das harmonische Ensemble dadurch aus dem Gleichgewicht geraten wird, aber diese Erweiterung ist als Wachstumssymbol unverkennbar. Und trotz dieser positiven Zukunftsaussichten, scheint die Akademie weit von einer Integration in – oder von einer Akzeptanz durch – die Stadt entfernt zu sein. Eine Perle vor die Säue?

Bild: Stadt Nuernberg/Ralf Schedlbauer
Vorbereitung für die Ausstellung „Prospekt“ der Akademie im Neuen Museum

Das relative Desinteresse der Bürger an ihrer Kunsthochschule muss nicht in deren geographisch abgelegener Position gesucht werden. Es muss auch nicht in der kommunikativen Zurückhaltung der Anstalt gesucht werden – denn in diesem Bereich wird Einiges bemüht, wie die zurzeit stattfindende Kooperation mit dem Neuen Museum beweist. Die Bürger Nürnbergs scheinen sich einfach überhaupt nicht für zeitgenössische Kunst zu interessieren. Es gibt hier keine seriöse Galerie, die auch nur eine regionale Bedeutung hätte. Es gibt keinen charismatischen Kunstsammler, der eine Vorbildfunktion übernehmen konnte. Das eben erwähnte Neue Museum wurde erst im Jahr 2000 eröffnet; und das Gebäude von Volker Staab zählt zwar zu den gelungensten seiner Gattung in der deutschen Museumslandschaft, gilt aber als Spätgeburt – und mit jährlich 20.000 Besuchern wirkt es als mäßiger Publikumsmagnet. Immerhin findet man in Nürnberg einen Kunstverein. Und eine Akademie der Bildenden Künste. Aber das Volk wandert weiterhin zu Dürer.

Die Chance von Nürnberg ist auch ihr Fluch. Die Stadt ist durch und durch von der Geschichte geprägt – oder: von der Geschichte geplagt. Die Kaiserpfalz, Sitz von regelmäßigen Reichstagen im Mittelalter, blühende Handels- und Kulturmetropole bis zur Neuzeit, dynamischer Industriestandort im 19. Jahrhundert und Machtzentrum des Nationalsozialismus, hat nichts vergessen. Überall ist die Geschichte dieser „deutschesten aller deutschen Städte“, so Goethe, abzulesen. Trotz der Beinahe-Vernichtung der Frankenmetropole im zweiten Weltkrieg ist die Last der Vergangenheit deutlich zu spüren. Keine Überraschung, dass Nürnberg zu einer in erster Linie historischen Stadt erklärt wurde. So preist die Werbegemeinschaft „Magic Cities“, ein Zusammenschluss der Stadtmarketingbüros der größten deutschen Städte, der sich um eine geschlossene Kommunikation des City-Images und damit um die Erhöhung der touristischen Attraktivität bemüht, Berlin als „City of cool“, Hamburg als „Maritime City“, München als „City of lifestyle“ (oh, Gott!) – aber Nürnberg ist und bleibt die „City of history“.

Bild: Uwe Niklas

Es mag sinnvoll sein, den historischen Reichtum der Stadt als Marketing-Argument zu nutzen und eine globale Imagestrategie danach zu richten. Besonders zukunftsweisend ist dies allerdings nicht. Gerade nach der Insolvenz von Quelle hat Nürnberg eine weitere wirtschaftliche Größe verloren, und es sind nicht Dürer und die Staufer, die die innovativen, erlebnishungrigen und kulturell interessierten Investoren und Arbeitnehmer, die die Stadt unbedingt braucht, anziehen werden. Der rückwärtsgewandte Blick könnte also fatal sein. Für die junge Kunstszene ist dieser Blick jedenfalls unheilvoll. Denn was geschieht in einer solchen Stadt mit den jetzigen und damaligen Akademikern? Wo gehen die jungen, eben fertigstudierten Künstler hin, wenn sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben? Wie finden sie einen Anschluss an den regionalen oder nationalen Kunstbetrieb? Anscheinend werden sie zu Taxi-Fahrern oder Christkindlmarkt-Verkäufern. Oder sie verlassen die Stadt und kommen nur für die nächste Dürer-Ausstellung wieder. Jedenfalls sind sie nicht präsent. Sie unternehmen nichts, um eine alternative Szene aufzubauen, ihre Arbeit an die Öffentlichkeit zu bringen, eine Lobby zu gründen. Sie erobern keinen Leerstand. Sie schließen sich nicht zusammen, um ihre Ressourcen zu vereinen und eine stärkere Wirkung zu entfalten. Warum denn auch die liebe Mühe? „Hier fehlt das Gefühl, dass jemand sich eine neue Ausstellung wirklich anschauen will“, erzählte mir ein Student der AdBK. Wer sollte denn schon zu den regelmäßigen Shows einer vermeintlichen Off-Szene hingehen?

Bild: Steffen Oliver Riese

Bis auf den Kunstbunker, eine Art Post-Punk-Institution des überschaubaren Nürnberger Kunstbetriebes, deren Stichhaltigkeit ich leider nicht überprüfen konnte, und dem AEG-Gelände, einer von Künstlerateliers bespielten industriellen Brache, die ab und an die eine oder andere Ausstellung auf die Beine stellt, ist nichts in dieser Stadt, das auf eine lebendige und autonome Kunstszene hinweisen könnte. Trotz der großstädtischen Struktur (mit einer halben Million Einwohner ist Nürnberg kaum kleiner als Düsseldorf oder Leipzig) und trotz der Präsenz einer Kunstakademie, ist hier keine selbstorganisierte Szene vorzufinden. Weitere Faktoren wären notwendig, um eine solche Alternative zu etablieren: ein poröser und internationaler Humus, in dem sich verschiedene Subkulturen begegnen (Berlin), eine Tradition der Kunstrezeption, die das Neue willkommen heißt (Köln), eine Tradition des politischen Widerstandes und der Autonomie (Hamburg) oder eine dezidierte kommunale Kulturpolitik, die die Nische als Chance auffasst (Düsseldorf). All diese Faktoren vermisst man in Nürnberg.

 

Deine Geduld, geneigter Leser, weiß ich zu schätzen. Ich habe am Anfang des Artikels einen Bericht zur Nürnberger Off-Szene angekündigt und brauchte die Umwege über Dürer, die AdBK und die historisierende Orientierung der Stadt, um endlich auf dem Punkt zu kommen. Und schließlich so gut wie nichts vorzulegen. Aber auch wenn ich nicht gefunden, wonach ich explizit gesucht habe, wurde die Studienreise erkenntnisreich. Mir liegt der Gedanke einer Instrumentalisierung der freien und selbstorganisierten Kunstszene zu Zwecken des Stadtmarketings sehr fern (das muss ich hier nicht beweisen), aber, durch den vielen und langen Gesprächen mit den mitreisenden Blogger-Kollegen und Nürnberger Künstlern und Kuratoren, wurde mir klar, welche Impulsen diese Kunstszene und – allgemeiner – die zeitgenössische Kunst für eine Stadt leisten und wie sie zu einer Dynamik des wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwungs beitragen können. Und da fungiert Nürnberg als Negativbeispiel. Die Reise war kurz, die Eindrücke gewiss oberflächlich, aber in diese Stadt habe ich eine Teilbestätigung mancher Creative Class-Thesen erhalten – und bin der Ansicht, dass man Richard Florida nicht so schnell abschreiben sollte, wie die deutsche Wissenschaft tut.

Pierre Beloüin über das Abenteuer der Glassbox

Das Gespräch führte Emmanuel Mir.

Vielen Dank an Havva Erdem für die Korrektur der Übersetzung!

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Pierre Beloüin in his magnificent splendor

 

Du bist Gründungsmitglied der Glassbox in Paris, einem Projektraum, der als einer der ersten dieser Art in Frankreich galt. Kannst du auf die Geschichte des Raumes und der Gruppe zurückkommen?

Während meines Studiums an der Beaux-Arts de Paris, Mitte der 1990er, hatte ich bereits das Label Optical Sound lanciert und war auf der Suche nach Formen der Zusammenarbeit, nach möglichen Synergien. Alles hat mit einem Treffen mit Sandie Tourle, Frédéric Beaumes und Gemma Shedden angefangen. Sie haben mich gefragt, ob ich mich nicht zu ihnen gesellen wollte um, unter anderem, Webmaster der Galerie-Homepage zu werden – damals stand das Web ja noch in den Kinderschuhen. Das sollte also meine Spezialität werden, aber, wie alle anderen Gründungsmitglieder der Gruppe (es waren übrigens alle Künstler), war ich vielseitig beschäftigt. Neben den eben genannten Menschen, gehören übrigens auch Laurence Delaquis, Stefan Nikolaev und Jan Kopp zu den Gründungsmitgliedern der Glassbox.

Gemma, eine Engländerin,  war damals die Lebensgefährtin von Stefan Nikolaev. Beide waren in Großbritannien schon mit dem Phänomen des artists run spaces in Berührung gekommen und sie haben praktisch das Model einer selbstverwalteten Galerie, deren Programm von Künstlern bestimmt wird, nach Paris importiert. Auf dieser Basis wurde der Verein „Smart“ gegründet und man fand bald einen modulierbaren Raum von 120qm (konzipiert vom Architekt Marc Borel) im 11. Arrondissement von Paris.

v.l.n.r.: Gemma Shedden, Pierre Beloüin, Jan Kopp, Stefan Nikolaev, Frédéric Beaumes. Bild ©Philippe Munda

 

Du meinst, dass es damals keine andere Initiative dieser Art in Paris gegeben hat? Habt ihr also den ersten artists run space der Hauptstadt gegründet?

In dieser Form waren wir in der Tat die Ersten. Man sollte natürlich die E.P.E (Etablissements Phonographiques de L’Est) auf der Strasse des Chemin Vert erwähnen, oder auch Circuit Court, aber diese Projekte waren in erster Linie auf Musik und Film konzentriert. Die Usine Éphèmere oder die Frigos waren auch aktiv, aber es handelte sich da eher um Künstlerateliers als um reine Showrooms. 1997, nach der Gründung von Glassbox, sind weitere Projekte entstanden, wie Console, Lap’s, Place des fêtes, Immanence, 2 Pièces cuisine, Accès Local, Infozone, Eof, PPR, etc…

 

Wie erklärst du dir die Tatsache, dass diese Art von Initiative sich erst so spät in Paris entwickelt hat?

Vielleicht liegt es daran, dass die jungen Künstler und andere kulturelle Akteure, die zu diesem Zeitpunkt in der Hauptstadt arbeiteten, eine  Art „Was soll’s“-Haltung pflegten. Es gab jedenfalls eine lasche Einstellung der Künstlerschaft, meilenweit von der punkigen Idee eines „Do it yourself“ entfernt – einer Idee, die wir wiederum auf die zeitgenössische Kunst übertragen wollten. Nachdem die autonomen Squats (damit sind wilde Ateliers gemeint, die in verlassenen Industriestandorten errichtet werden) von der Stadt Paris nicht mehr geduldet und in den späten 80ern aufgelöst wurden, gestaltete sich die Gründung von nicht-offiziellen Initiativen schwierig. Das hat Einige sicherlich demotiviert.

 

 

Wie sah der Raum aus?

Es war ein Lokal von 120qm und wir bespielten das Untergeschoss des Hauses. Es gab auch einen Garten und große Fenster, durch die wir auf den Projektnamen gekommen sind.

 

Was war eigentlich eure Motivation ?
Die französische Kunstszene orientierte sich hauptsächlich an Galerien und Institutionen. Wir wollten da einen autonomen Impuls generieren. Mit dem in Frankreich völlig unbekannten Modell der artists run spaces als Inspiration, wollten wir eine dynamische und vielseitige Kreation unterstützen.

 

Wie wichtig war der Aspekt der Selbstvermarktung für euch?  Wie man es an den heutigen Off-Spaces unschwer feststellen kann, gehört die Gründung und das Betreiben eines künstlerischen Projektraumes zu einer beliebten Strategie, um das persönliche Netzwerk zu pflegen und zu erweitern, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erreichen und sich im lokalen künstlerischen Feld zu behaupten. Haben solchen Gedanken damals eine Rolle gespielt?

Unbedingt! Das war auch eine unserer Motivationen. Aber uns ging es vor allem darum, einen Erfahrungsschatz aufzubauen, Verwaltungsaufgaben zu bewältigen, zu lernen, die Organisation einer Ausstellung zu beherrschen, Künstler zu treffen, etc. Dies sind Dinge, mit denen man sich in einer Kunsthochschule nicht konfrontiert.

Damals war diese Form der Arbeit allerdings nicht unproblematisch, denn die von uns vorgenommene Öffnung und Interdisziplinarität war nicht besonders geschätzt. Es war zum Beispiel leicht anrüchig, gleichzeitig Künstler und Kurator zu sein, während es später eher akzeptiert wurde, Kritiker und Kurator zu sein.

 

Wie waren die Reaktionen des Publikums und der Künstlerschaft unmittelbar nach eurer Gründung?

Wir hatten das vielfältigste Publikum, das man sich vorstellen kann. Galeristen, Institutionsvertreter, Kritiker, Künstler und Nachbarn waren da. Von Anfang an haben wir eine sehr gute Resonanz bekommen. Das mag an dem guten Programm, an der Qualität der Werke und der Präsentation gelegen haben und auch an dem innovativen Konzept der Glassbox oder der professionellen Kommunikationsarbeit, die wir da geleistet haben. Sicherlich hat auch das Sponsoring von Ricard ein Übriges getan!

Ich erinnere mich, dass die Qualität unserer Ausstellungen, aber auch die Relevanz unserer Partner und unsere Presseresonanz beneidet wurden. Dabei haben wir alles mit bescheidenen finanziellen Mitteln realisiert. Ausschlaggebend war unsere Kompromisslosigkeit und die Tatsache, dass wir eine geschlossene Teamarbeit geleistet haben und dass jeder in seinem Bereich brillierte. Es war eine sehr intensive Zeit.

War der direkt-urbane Kontext der Glassbox besonders wichtig für euch? Habt ihr euch nur aus ökonomischen Gründen im 11. Arrondissement angesiedelt?

In der Tat war der Ort um Oberkampf herum, der damals generalüberholt wurde, ziemlich wichtig. Vor allem mit der Eröffnung des Café Charbon, das schnell als einer unserer Partner fungieren sollte, wurde das Viertel Bastille entlastet. Die typische Kundschaft der Bastille, die, wie du weißt, aus einer Mischung aus  populärer und trendig-kreativer Bevölkerung besteht und für eine besonders stimulierende Atmosphäre sorgt, sollte ins 11. Arrondissement gelockt werden. Jedenfalls stand die Straße, in die wir gezogen waren, gerade in einem größeren Wandlungsprozess. Es wurde da viel gebaut, aber viele Geschäfte oder Hotels standen noch leer. Und abgesehen von der Tatsache, dass unsere Miete sehr moderat war, wollten wir einerseits am Stadtteilleben teilhaben und andererseits zeitgenössische Kunst zugänglicher machen.

 

Wie habt ihr euch finanziert ?

Wir erhielten eine Förderung der Stadt, der DRAC Ile-de-France (Kulturbehörde auf regionaler Ebene) und der Caisse des dépôts et consignation (staatliches Finanzinstitut), sowie privater Sponsoren wie dem Café Charbon, dem Café Mercerie, La Mère Lachaise oder dem Espace Paul Ricard – eine Seltenheit zu diesem Zeitpunkt.

 

Habt ihr eine besondere konzeptuelle Linie gefolgt ? Wie wurde das Ausstellungsprogramm bestimmt?

Glassbox zeigte französische und ausländische Künstler, stellte die Arbeiten fremder Künstler sowie der eigenen Betreiber aus und vertrat sowohl die Sparte der Bildenden Kunst als auch die des Designs, der Architektur und der Musik. Es wurde vor allem an einer Öffnung der Disziplinen, der Kulturen – und der Orte – gearbeitet. Wir haben immer wieder neue Vernetzungen mit verwandten Strukturen gesucht (wie Attitude, In Vitro, Field, Kaskadenkondensator, büro, light cone, icono etc…) oder fremde Kuratoren eingeladen (hier könnte man Cécile Bourne oder Robert Fleck nennen). Auch die Interaktion mit dem Publikum oder externe Interventionen waren uns wichtig.

Unsere erste Programmausstellung fand am 4. Oktober 1997 statt und hieß „Ne me quitte pas“. Neben der Liebesthematik, die ich für meine Installation absichtlich wörtlich genommen hatte, ging es da um die kulturelle Entwurzelung der Raumbetreiber.

 

Du hast vorhin behauptet, dass bei der Gründung von Glassbox die französische Kunstszene eher kommerziell oder institutionell ausgerichtet war. Hast du, 15 Jahre später, das Gefühl, dass sich etwas verändert hat und dass autonome Präsentationsmodi an Gewicht gewonnen haben ?

Die semi-autonomen Ausstellungsstrukturen haben sich auf jeden Fall vermehrt, und dies in der Provinz noch stärker als in Paris selbst – vielleicht, wie damals schon, aufgrund der hohen Mietpreise in der Hauptstadt. Die Förderungsmodi haben sich jedoch wenig verändert und sind nach wie vor beschränkt…

Wenn man die heutige Pariser Projekträume betrachtet, merkt man, dass sie nicht mehr so lange bestehen bleiben wie damals und dass ihre Laufzeit sehr von der freiwilligen Energie abhängt, die jeder im kollektiven Projekt zur Verfügung stellt. Soviel ich weiß, haben sich viele Akteure der Szene irgendwann dazu entschieden, mehr für ihre eigene Arbeit zu tun oder irgendwelchen bezahlten kuratorischen Tätigkeiten nachzugehen.

Um deine Frage zu beantworten, kann man sagen, dass sich nichts verändert hat. Bis auf die Tatsache, dass die Zahl an echten selbstorganisierten Strukturen abnimmt, während institutionelle oder institutionalisierte Strukturen, die einen Off-Modus aufweisen aber dessen Kuratoren und Leiter sich von der öffentlichen Hand bezahlen lassen und institutionsabhängig sind (deshalb nenne ich sie „semi-autonomen“), gedeihen.

Wie, wann und warum ging das Glassbox-Abenteuer zu Ende ?

Mein Beitrag zum Projekt hörte 1999 auf, als ich mein Diplom der Beaux-Arts absolvierte und mehr Zeit für die eigene Arbeit benötigte. Ich hatte bereits vieles ins Glassbox-Unternehmen investiert. Zudem gab es Streitereien im Team wegen einer Frau (meiner damaligen Freundin, wohlgemerkt, die mich für ein Vereinsmitglied verließ…) und ich dachte mir, dass es eine günstige Zeit wäre, meine symbiotische Beziehung zum Projekt abzuschließen. Danach wechselte das Team regelmäßig; neue Persönlichkeiten wie Dominique Blais oder Julien Fronsacq kamen hinzu. 2006 musste Glassbox die Räumlichkeiten in der rue d’Oberkampf verlassen, blieb lange raumlos und hat sich wohl vor kurzem in der rue Moret eingenistet. Viele der damaligen Gründungsmitglieder sind übrigens  aus der Kunstproduktion oder –vermittlung ausgestiegen.

Am Fuße der Metamoderne

Wenn man ueber den Berg ist, gehts wieder bergauf.
Wo befinden wir uns gerade?

Postmoderne ist over, anything goes zwar noch hochaktuell, aber nicht mehr en vogue. Der basisdemokratisch organisierte Pöbel errichtet den Metaaether, kontrolliert ihn über Twittertwittertwitter und löst das bürgerlich geprägte Kapital als höchste Kontrollinstanz ab.
Der gute alte Onkel Ford fährt langsam seine Fließbänder runter und Ifacegoogle übernimmt per Nexus4!

Das Bild wird langsam deutlich und klar, wir befinden uns bereits am Fuße des nächsten 8000ers, der diesmal heißt Metamoderne.
Die neue Losung lautet also von nun an: Erklimmen und abseilen!

westgermany ist der new way! – by Powergalerist Hamburg, 10/2012

Wenn Sie die obige Aufnahme nicht über unsere Webseite hören können oder wollen, können Sie diese selbstverständlich gerne herunter laden. Das

mp3-file steht wie immer unter der Creative Commons License CC BY-NC 2.0 zum Download bereit: pissen_scheissen_sein_am_fuße_der_metamoderne.mp3

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