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What is it to be Chinese? im Grimmuseum

von Stefanie Ippendorf (Berlin)

 

Auf die Frage „Was bedeutet es Chinese zu sein/ Was bedeutet Chinesisch-Sein?“ würden sicherlich viele Nicht-Chinesen mit einem bunten Potpourri aus Klischees antworten: Chinesen sind klein, essen Hundefleisch mit Stäbchen, schmatzen, schlürfen und spucken, fälschen Markenartikel, sind eine wirtschaftliche Großmacht auf der Überholspur, müssen die Ein-Kind-Politik und Zensur der Kommunistischen Partei erdulden und eifrig für niedrige Löhne arbeiten.

FX Harsono: Writing in the Rain

Der China-Fastfood-Mann von nebenan oder Chinatown in New York – vielen von uns scheint die chinesische (Eß-)Kultur vor allem durch die unzähligen, in der ganzen Welt verstreuten Auslandschinesen vertraut, doch welche Beziehung haben die oft schon seit mehreren Generationen nicht mehr in China lebenden Menschen zu ihren kulturellen Wurzeln und wie definieren sie ihre Identität? Genau dies sind die Fragen, um die es in der von Katerina Valdivia Bruch kuratierten Ausstellung >What is it to be Chinese?< im Berliner Grimmuseum geht. Die fünf beteiligten KünstlerInnen sind zwar chinesisch-stämmig bzw. haben einen chinesischen Hintergrund, doch wurden sie weder in China geboren, noch sprechen sie die Sprache oder leben dort. Oftmals nehmen sie die eigen Vita oder Familiengeschichte als Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeit und vermitteln so ganz persönliche Eindrücke davon, was es heißt, Teil der globalen Migrations-bewegungen zu sein und von außen auf das Land des eigenen kulturellen Ursprungs zu schauen.

Kyungwoo Chun: 1592Nr1 und Nr2
Kyungwoo Chun: Departure Songs
David Zink Yi: El Festejo

Für das von 2006 bis 2008 andauernde Fotoprojekte >Thousands< begab sich der Südkorea geborene  und heute in Seoul und Bremen lebende Künstler Kyungwoo Chun auf eine Recherchereise in die chinesische Provinz Henan. Dort machte er sich auf die Suche nach Menschen mit demselben chinesischen Familiennamen und wurde fündig. „Chun“ ist nicht nur ein gängiger Name in der Region, sondern bedeutet „1000“ auf Chinesisch. Der Bedeutung seines Familiennamens folgend, hat Kyungwoo Chun tausend weitere „Chuns“ portaitiert und auf den Fotos deren Geburtsorte und –daten archiviert. Alleine durch die Erkundung des eigenen Namens, erinnert Chun an die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichende Geschichte der Chinesen, die nach Korea ausgewandert sind. Einer von ihnen war auch General Chun, der 1592 vom chinesischen Kaiser mit einem Heer ins Feindesland Korea geschickt wurde, dort jedoch sesshaft wurde. Die beiden verschwommenen Fotos eines Mannes in Kämpfermontur, >1592#1 und #2< (2007), verweisen auf die historische Person.

David Zink: Yi El Festejo

Auch David Zink Yis >El Festejo< (2001) vermittelt Geschichte über den Lebenslauf einer Einzelperson. Sein 2-Kanal-Video erzählt von einer Peruanerin, deren Mutter chinesischen und deren Vater afrikanischen Ursprungs ist. Nahaufnahmen ihrer Hände oder eines Auges werden hier neben asiatischen Porzellanfiguren an die Wand projiziert. Zwischendurch sind trommelnde Hände zu sehen und man hört afrikanisch-peruanische Musik. Dass ein chinesisch-afrikanisches Paar auf peruanischem Boden zueinander finden konnte, hängt damit zusammen, dass Afrikaner im 16. Jahrhundert als Sklaven nach Peru gebracht wurden, welche im Laufe des späten 19. Jahrhunderts zunehmend durch chinesische Arbeiter ersetzt wurden. Ähnlich wie die Protagonistin seines Videos ist auch Zink Yi in Peru geboren, ist jedoch das Kind Deutsch-Chinesischer Eltern.

Truong Ngu: Glücklicher Stern
Truong Ngu: Glücklicher Stern
Truong Ngu: Glücklicher Stern

>Glücklicher Stern (Lucky Star)< (2010) ist wie ein Brettspiel aufgebaut. Als Spielplan dient eine chinesische Landkarte, es gibt Spielsteine, einen Würfel und Handlungsanweisungen. Das Spiel ist Bestandteil von Truong Ngus gleichnamiger Performance, bei der der Künstler über den Akt des Spielens vermittelt die Migrationsgeschichte seiner Familie erzählt. Hier bestimmen die Würfel das Schicksal einer Familie, die sich gezwungen sah, ihr Heimatland Vietnam als chinesische Minderheit zu verlassen. Heute lebt und arbeitet Ngu in Berlin.

FX Harsono: Writing in the Rain
FX Harsono: Writing in the Rain

Mit der installativen Videoarbeit >Writing in the Rain< (2011) thematisiert FX Harsono den lange Zeit durch Diskriminierung und Vertreibung geprägten Alltag der in Indonesien lebenden Überseechinesen. Selbst in Ost-Java zur Welt gekommen, lernte Harsono erst vor wenigen Jahren, seinen chinesischen Namen zu schreiben. In dem Video macht er genau dies: es zeigt, wie er den Namen wiederholte Male mit Tinte auf eine Glasplatte schreibt, bis sich die Schrift zu einem abstrakten Muster verdichtet und schließlich von einem starken Regenguss wieder ausgelöscht und fortgespült wird. FX Harsono bezieht sich damit auf eine gesetzliche Anordnung, welche die in Indonesien lebenden Chinesen Ende der 1960er Jahre zwang, ihre Namen in indonesisch klingende Namen umzuändern. In derselben Zeit war es verboten, chinesischsprachige Bücher und Zeitschriften zu verkaufen und das chinesische Neujahrfest zu feiern, chinesischsprachige Schulen im Lande wurden geschlossen und viele Kulturvereinigungen wurden aufgelöst

Tintin Wulia: Study for Wanton
Tintin Wulia: Study for Wanton

Tintin Wulia stammt ebenfalls aus Indonesien, lebt und arbeitet aber inzwischen in Melbourne. Die 4-Kanal-Videoinstallation >Study for Wanton< (2008) zeigt verschiedene Filme im Loop: Mücken in Reagenzgläsern, jemand, der Glückskekse öffnet, eine Fahrt durch eine grüne Landschaft, eine Frau, die verschiedene Nationalhymnen Karaoke singt. Mal auf einem Fernsehbildschirm, mal an die Wand gebeamt, flirren die Filme um einen herum und verleiten zum Gedankenspiel. Dem Ausstellungstext ist schließlich zu entnehmen, dass es sich bei den Karaoke-Liedern um Nationalhymnen von Ländern wie Japan oder den Niederlanden handelt, die Indonesien einmal besetzt haben und dass die Glückskekse, welche seit jeher mit China bzw. chinesischem Essen in Verbindung gebracht werden, ursprünglich gar keine chinesische Erfindung sind (Wer hats erfunden? die Japaner!).

Tintin Wulia: Study for Wanton

 

What is it to be Chinese?
Kyungwoo Chun, FX Harsono, Truong Ngu, Tintin Wulia, David Zink Yi
12.10.-18.11.2012
 
Grimmuseum
Fichtestrasse 2
10967 Berlin
Mi-So 14-19h
 
www.grimmuseum.com
info@grimmuseum.com
Infos zum aktuellen Buchprojekt: www.grimmuseum.com/blog-61/blog-74/index.html