Finale im Institut für Skulpturelle Peripherie

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Auf das dialogische Prinzip von Push sind wir bereits in der Vergangenheit eingegangen. Nach einigen Monaten vorprogrammierter Kollision und künstlerischer Reibungen bot die Abschlussausstellung ein friedfertiges Bild. Jeder Künstler der Reihe war mit einer Arbeit vertreten und okkupierte jeweils einen kleinen Bereich des ohnehin kleinen Raumes. Demnach wirkte die gesamte Präsentation wie ein ungezwungenes Zusammenkommen von Freunden, mit Verzicht auf einen künstlichen Überbau und (in diesem Fall: überflüssigen)  konzeptuellen Hintergrund.

Burchhard Garlichs

Interessanterweise waren gerade die zwei Positionen, die ich bei einer früheren Rezension ein wenig hart in die Mangel genommen hatte, die aus meiner Sicht besten der Ausstellung. Burchhard Garlichs hat Papierarbeiten an eine Wand gehängt und die richtige Balance zwischen strengem Kompositionsprinzip und einer sensiblen Sinnlichkeit gefunden. Der Rhythmus seiner auf vertikalen, diagonalen und horizontalen Linien basierenden Bilder besitzt die Prägnanz von serieller Musik, verschwindet jedoch nicht hinter einem anonymen Duktus. Die Hand des Künstlers bleibt durch winzige Zuckungen und Unregelmäßigkeiten stets sichtbar. Auch die Behandlung des Papiers, die teilweise die linierte Struktur hinter einem weißen Schimmer durchscheinen lässt, trägt zu dieser ausgeglichenen aber dennoch spannenden Gesamterscheinung bei.

Michalis Nicolaides

Seinerseits hat Michalis Nicolaides die Störenfried-Rolle fortgesetzt, die er bereits bei der ersten Ausgabe der Serie erfüllt hatte. Bei seiner schelmischen Licht- und Videoinstallation, bezieht er sich sowohl auf die allgemeine Raumsituation, mit den vielen über den Putz verlaufenden Elektrokabeln, als auch auf die konkrete Ausstellungssituation, deren harmonische Wahrnehmung er in regelmäßigen Abständen stört. Das Video zeigt den Künstler, zwei Segmente eines abgeschnittenen elektrischen Kabels über dem Kopf zusammenhaltend, in einer angestrengten Körperposition. Nach einer gewissen Zeit, als er an die Grenzen seiner Muskelkraft stößt, lässt er los, die Bindung der Kabel bricht ab, das Licht im gefilmten Raum geht aus – sowie an den Wänden des Instituts für Skulpturelle Peripherie. Für ein paar Sekunden wird es an diesem späten Winternachmittag düster im Raum. Mehr als ein Gag ist dies hier eine humorvolle und anspielungsreiche Performance und Nicolaides hält viele Stränge in einer Hand: Das Klischee des heldenhaften Künstlers als (hier: müder) Prometheus wird zitiert, aber natürlich auch die ganze Tradition des immer-aufs-Ganze-gehenden-Performers à la Flatz oder Abramovic und das Pygmalion-Paradigma wird revidiert und auf die neuen Medien übersetzt. Eine scheinbar simple Angelegenheit führt den Betrachter auf viele, interessante Pfade…

Ulrike Kötz

Unbeeindruckt von Nicolaides Lichtunterbrechungen leuchtete spärlich aber beständig die Installation von Ulrike Kötz, ein Überbleibsel aus der letzten Ausstellung der Push-Reihe, die sich wortwörtlich an den markanten Holzbalken des Raumes anlehnte und, sich verselbstständigend, eine Verbindung zwischen Decke und Boden vornahm.

Christiane Rasch

Weiterhin ist das geschickt platzierte Video von Hüseyin Karakaya aufgefallen, das in unmittelbarer Umgebung des und im Institut realisiert wurde. Wie für eine Art subjektiver Raumerkundung und Spurensuche näherte sich Karakaya mal in völlig abstrakten, mal in gespenstischen Nachtaufnahmen manchen visuellen Elementen des Ortes an.

Martin Steiner war mit einer Arbeit vertreten, die, trotz der kompakten Erscheinung, in einem eigentümlichen Schwebezustand stand und die Grenze zwischen Bildhauerei und Malerei, Leere und Fülle, geführter Linie und zufälliger Spur suchte. Das „Bild“ war wohl ein modifiziertes Überbleibsel aus einem früheren Werk und verhielt sich dazu wie ein Negativ oder autonom gewordener Schatten einer unsichtbaren Form.

Des weiteren waren auch Sonja Meyer, Wanda Sebastian und Christiane Rasch mit präzisen und unaufdringlichen Arbeiten vertreten – eben alle Pusher und Gepuschten der vergangenen Monate. Erstaunlicherweise gestaltete sich das Finale also zu einer klaren, aufgeräumten und harmonischen Präsentation. Manche, wie Sonja Meyer, gingen noch einmal auf architektonische Besonderheiten des Ortes ein, andere, wie Christiane Rasch, zeigten streng autonome Arbeiten.

Sonja Meyer

Und wie geht es weiter, nun da Push zu Ende ist? Die aktuellen Betreiberinnen Pe, Friederike Schardt und Eva Weinert haben für die Zukunft keine feste Reihe geplant. Das serielle Ausstellungsformat spielerisch-konfrontativer Akzente, mit dem das Institut für Skulpturelle Peripherie seit einigen Jahren gut fährt, soll nicht fortgeführt werden. Zu einnehmend wurde die regelmäßige Arbeit, die ein solches Format mit sich bringt. Stattdessen soll es künftig zu punktuellen Ausstellungen kommen, die bevorzugt in Kooperation mit anderen Projekträumen der Republik stattfinden werden. Der erste Austausch ist indes schon mit dem Kunst- und Kulturverein 2025 e.V. aus Hamburg geplant; voraussichtlich September 2013 wird das Institut dort ausstellen und Maler aus der Hansestadt zuvor empfangen. Wir halten euch auf dem Laufenden…

Christel Blömeke: Abdruck (courtesy Christel Blömeke)

 

Baustelle Schaustelle in Essen – Ein Gespräch mit Brigitte Krieger

Fotos: Stefanie Pluta

 

Emmanuel Mir: In der Regel werden Off-Räume oder Projekträume von Künstlern gegründet, seltener auch von Kunsthistorikern. Nun gehörst Du weder zu der einen noch zur anderen Kategorie. Was hat Dich bewegt, die „Baustelle Schaustelle“ zu gründen?

Brigitte Krieger: Vor der Baustelle Schaustelle hatte ich schon ca. 5 Jahre lang Ausstellungen im Amtsgericht Langenfeld kuratiert – ein in mehrerer Hinsicht sensibler Ort. Der Off-Raum in Essen ist entstanden, weil mir einerseits den Raum zur Verfügung stand und ich andererseits über eine lange Liste von interessierten KünstlerInnen verfügte, die ich gerne zeigen wollte. So kam es zur Eröffnung in 2007. Es waren die Jahre, in denen viele Kunstsammler ihre eigenen Museen aufbauten. Da hätte es auch genug Raum in der Brigittastraße gegeben. Das war mir aber nicht spannend genug. Die Bestände der Sammlung Krieger waren alle schon lange angesehen und mein Bedarf nach ihnen nicht vorhanden. Dann doch lieber Förderung junger KünstlerInnen mit immer wieder neuem Input für mich und andere.

Du besitzt also auch noch eine Sammlung?

Die „Sammlung“ Krieger haben mein Mann und ich ab den 80er Jahren zu unserem Vergnügen erworben. Wir haben nie aus kommerziell technischen Gründen eine Arbeit gekauft, sondern nur, was uns zum jeweiligen Zeitpunkt interessiert hat und für eine junge Familie erschwinglich war! Es hat sich eine ziemlich große Menge an Arbeiten angesammelt, viele Fotoarbeiten dabei, auch Malerei, Zeichnung u.a.m.. Skulptur und Installation ist weniger möglich, das Haus bietet kaum Gelegenheit dazu. Die größten Arbeiten, die uns gehören, sind an die Kanzlei ausgeliehen, in der mein Mann Seniorpartner ist. Die anderen sind auf Lager. Nur wenige befinden sich bei mir im Haus oder in der Wohnung meines Mannes.

 

Zu Deiner Person: Welche Hintergründe hast Du? Wie bist Du auf die Kunst gekommen?

Mein Kunstinteresse geht auf die Förderung meines Vaters zurück, der mich schon als kleines Mädchen sonntäglich mit ins Folkwang-Museum und andere Ausstellungen nahm – übrigens auch mit in Theater, Oper und Konzerte. Viele Museen im Ruhrgebiet kenne ich von daher schon lange. Bei mir hat es immer Kunst an Wänden gegeben – ich arbeite u.a. auch an Konzepten von  Beleuchtung bildender Kunst, an Lichtkonzepten überhaupt, genauso wie an Interior- und Exteriordesign.

Welche Struktur hat die Baustelle? Wie sind die Aufgaben in Deinem Team verteilt?

Wir haben uns die Arbeitsbereiche je nach zeitlichen Möglichkeiten und Interessen aufgeteilt. Stefanie und Susanne, die seit fünf Jahren im Team sind, haben meist die direkten Künstlerkontakte, Alex bearbeitet die Büroangelegenheiten und Eckhard betreut die Website. Und jeder springt bei jedem ein, alle teilen sich die Aufgaben beim Fotografieren der Ausstellungen, alle reden bei den Ausstellungs- und Kunstpreiskonzepten mit. Wir arbeiten nach einem Konsensprinzip. Und ich? Mache das Networking, bringe Nachrichten über interessante KünstlerInnen von außen in die Runde und sage auch schon mal nein! Und natürlich muss ich den Finanzrahmen betreuen. Seit März sind wir ein gemeinnütziger Verein mit neuen Möglichkeiten, aber auch vielen neuen Anforderungen.

 

Habt ihr eine konzeptuelle Linie? Werden bestimmte Medien oder Themen bevorzugt? Und: Wo kommen die Künstler her, die Du ausstellst?

Nein, wir haben uns keine Konzeptlinie gegeben und wir bevorzugen auch keine Medien oder Themen. Themenausstellungen gab es zu den drei bisherigen Kunstpreisen, sonst nie. Es zeigt sich allerdings, dass Installationen unter Einbeziehung des Raums weit überwiegen. Bisher mussten wir aus Sicherheitsgründen leider technische Medien in der Dauerausstellung auslassen (da werden wir aber umstellen).

Unsere Künstler bewerben sich bei uns oder werden von mir  / uns eingeladen. Sie kommen aus Düsseldorf, Essen, Münster, Berlin, Braunschweig, Karlsruhe, Köln, Frankfurt, Hamburg, aus den Niederlanden, Italien, Dänemark, eigentlich aus ganz Europa. Einige kommen sogar aus Lateinamerika oder aus Israel…

Luca Vanello

Warum? Befürchtest Du, dass eingebrochen wird?

Wir haben bisher technische Medien nur einbezogen, wenn sie durch die Künstler nach der Eröffnung wieder abgebaut und gesichert werden konnten.
Einige haben dann ein Substitut an die Stelle gebracht (Tine Bay Lührsen, die den Beamer zur Projektion ihres Besens – Teil der Installation –  wieder abgebaute und an Stelle dessen einen realen Besen an die Wand lehnte. Wir konnten und können keine Verantwortung für Arbeiten und Geräte übernehmen. Und Leute, die auch für einen kleinen Ertrag die Scheibe einschlagen, gibt es immer mal.

Wir werden in 2013 den Kunstpreis für Videoarbeiten ausschreiben. Die Präsentationen können dann nur ein Wochenende stattfinden und wir werden alle Technik sichern.

Aussenansicht – Erika Hock: Cool Tools

Den Kunstpreis für Video? Das klingt ja interessant…

In den vergangenen Jahren haben wir regelmäßige Preisverleihungen für Nachwuchskünstler veranstaltet. Dabei legen wir jedes Mal einen neuen thematischen Schwerpunkt. Der erste Preis 2010 bezog sich auf die Region, die Stadt und den Raum. Nicolas Pelzer, Matthias Wollgast und Rimma Arslanov
wurden Laureaten. Ein Jahr später wurden Künstlerduos, also solche, die wirklich gemeinsam arbeiten, gefordert und Adrian Davila und Carolina Pinzon, sowie  die Raumzeitpiraten mit Tobias Daemgen und Moritz Ellrich bekamen den Preis. 2012 konnten sich Künstler für den Schaufensterraum, genannt „Schaustelle“, oder den hinteren Raum, den wir durch eine Wand abgetrennt hatten und als „Baustelle“ genannt haben, bewerben. Laureaten wurden diesmal Luca Vanello und Cornelia Fachinger. Und für 2013 eben ein Preis für Videokünstler.

Nathalia Stachon

Wie schätzt Du die Kunstszene in Essen ein? Wenn ich mich nicht irre, ist die Baustelle das einzige Off-Projekt der Stadt, oder? 

Die Kunstversorgung in Essen wird hauptsächlich durch das Folkwang-Museum bestimmt. Es fördert, unterstützt und fordert. Leider ist in den vergangenen Jahrzehnten einiges versäumt oder auch unnötig vernachlässigt worden. Die Szene, die ich bei meinem Umzug nach Düsseldorf im Jahr 1983 verlassen habe, war lebendig. Die, die ich 2007 wieder vorgefunden habe, konnte und kann immer noch starke Förderung brauchen. Seit einiger Zeit  kommt die Kunst wieder aus ihren Winkeln hervor, ganz langsam.

Leider hat 2010 (gemeint ist die Ernennung von Essen und dem Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt Europas, Anm. d. Red.) für die zeitgenössische Kunst nicht den Anstoß gegeben, den das Ruhrgebiet hätte aufnehmen können. Dann gibt es immer wieder temporäre Ausstellungssituationen von Gruppen, verstreut über die ganze Stadt. Auf Zeche Carl hat sich wieder eine Gruppe zusammengefunden, die auch KünstlerInnen aus Düsseldorf u.a. einladen. Diese Gruppe war vorher direkt bei uns in der Nähe – das war klasse, weil die Eröffnungen zum gleichen Zeitpunkt stattfanden und viel Publikum zogen.

Brigitte Krieger

 
Und zum Schluss: Was steht in den kommenden Wochen für euch an ?

Wir werden im Januar eine Künstlerin vom Goldsmith College London ausstellen und direkt anfang februar im großen parallelraum zwei künstler, die mit digitalen medien arbeiten. heisses thema, s. heuteige FAZ Sonntag. es bleibt lebendig bei uns.

Die Kölner Boutique zu Gast in der Tanzschule München

Maximilian Erbacher, Yvonne Klasen und André Sauer betreiben in Köln die BOUTIQUE – RAUM FÜR TEMPORÄRE KUNST (wir haben berichtet). Der Raum ist durch seine Örtlichkeit wie auch in der konzeptuellen Ausrichtung in Köln einzigartig. Unweit des Kölner Hauptbahnhofes, am Verkehrsknotenpunkt Ebertplatz gelegen, eröffneten die Drei im April 2011 in der unwirtlichen Betonumgebung einen alternativen, nicht kommerziellen Projektraum.
Das Geld für ein Atelier floss seitdem in die Finanzierung des Programms. Das Ziel ist es einen „nicht-elitären“ Kunstraum in der öffentlichen Wahrnehmung zu etablieren, mit einem subversiv/zwanglosen Programm. Der Focus liegt auf konzeptuellen und ortsspezifischen Arbeiten junger KünstlerInnen und Kuratoren, die größtenteils am Anfang ihrer Laufbahn stehen. Der Raum ist Plattform und Kommunikationsort für künstlerische und kuratorische Experimente. Ein Schwerpunkt des Programmes sind orts- und raumbezogene Installationen.

Die drei Betreiber und Organisatoren der Boutique waren nun gemeinsam in München eingeladen um dort in der Tanzschule unter dem Titel ‚Aber es bleibt eine Illusion‚ eine Show zu machen. Max war so freundlich uns ein paar Bilder davon zu kommen zu lassen. Danke!

Boutique zu Gast in der Tanzschule, München, 2012

 

Versproch ist versprochen. Guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt!

Wir hatten es letzte Woche versprochen und wollen dieses Versprechen auch gerne halten. Es gibt wieder mehr Unterstützung von unserer Seite für den Start in die harte lange Arbeistwoche – oder für das Duchhalten derselben.

Diesmal zur Wochenmitte also eine kleine Erinnerung daran, dass bei allem was man tut auch immer ein bißchen Glück dazu gehört. Und es ist ein Appell daran, doch ruhig einmal wieder die gewohnten sicheren Pfade zu verlassen und sich abseits von diesen auf ein haarsträubendes, aufregendes und gar nicht ungefährliches Unterfangen einzulassen.

(via klaus kusanowsky)

Wir wünschen alles Gute! Bleiben Sie gesund und passen Sie gut auf sich auf.

Die Tagung des Kulturrats NRW zum geplanten Kulturfördergesetz im Düsseldorfer Landtag

von Florian Kuhlmann (Düsseldorf)


Vergangenen Montag tagten einige Vertreterinnen und Vertreter des nordrheinwestfälischen Kunst- und Kulturbetriebs auf Einladung des Kulturrats NRW im Düsseldorfer Landtag. Erklärtes Ziel war es eigene Wünsche und Vorgaben für ein derzeit geplantes Kulturfördergesetzt zu definieren. Das Kulturfördergesetzt soll die Finanzierung der Kulturlandschaft NRW, sowie die Verteilung der Aufgaben und Lasten zwischen Kommune und Land regeln und dem vergleichsweise kleinen Posten im Landesetat in den kommenden Jahre einen gewissen Schutz vor den zu erwartenden Einsparmaßnahmen bieten. Wir waren wie angekündigt dabei.

Diskutiert wurde auf erfreulich hohem Niveau, mit viel Wissen über und Verständnis von der Materie in jeweils 3 Foren am Vormittag und 3 weiteren Foren Nachmittags. Themen der einzelnen Foren war etwa die Frage nach den Schutzmöglichkeiten für Neues, oder ganz generell die Frage welcher Kulturbegriff das Gesetz prägen soll.
Wer sich die Redebeiträge jeglicher Couleur und aller Parteien aufmerksam anhörte, konnte sich des Verdachts nicht erwehren, dass es sich offensichtlich um ein mysteriöses Versehen handeln muss, dass der Kulturetat der kleinste und nicht der mit Abstand größte Posten im Landeshaushalt ist. Wir waren uns einig, Kultur ist wichtig und die unverzichtbare Basis für unser Zusammenleben. Nur von Systemrelevanz sprach leider niemand.

Zum geplanten Haushalt 2013

Der Kulturrat hatte aber gegenüber der Ministerin des Landes NRW Frau Ute Schäfer seine starken Bedenken gegen die Reduzierung der Kulturfördermittel im Haushaltsentwurf 2013 zum Ausdruck gebracht. Denn angesichts des minimalen Anteils der Kulturausgaben am Gesamthaushalt und am Haushalt des zuständigen Ministeriums sind zu erwartenden die Kürzungen offensichtlich unverhältnismäßig hoch. Sie betreffen in der aktuell geplanten Form wichtige Aktivitäten der Künstlerinnen und Künstler in Nordrhein-Westfalen.
Derzeitige Planung ist den Haushalt von 196 Mio. auf 180 Mio. €. zu kürzen, was in etwa einer Kürzung von 10% entspricht. Auch wenn darin Reserven enthalten sind, die im Moment nicht zur Ausgabe anstehen, so macht sich die Landesregierung in den Augen des Kulturrats allerdings doch auf den Weg zu dramatischen Kürzungen, da dieser Prozess mit dem Haushalt 2013 nicht abgeschlossen sein dürfte.
Der Kulturrat NRW fordert nun die Projektmittel in Höhe von rd. 4,5 Mio € auf keinen Fall zu kürzen und die jetzige Haushaltsmittel so zu sichern, dass in den nächsten Jahren in den Reserven nicht mehr zu Verfügung stehen weitere Einschnitte vermieden werden. Auch gegen andere Einsparvorschläge hat der Kulturrat erhebliche Bedenken.
Gemessen wird die Landesregierung an der klaren Aussage der Ministerpräsidentin in der Regierungserklärung: „Kunst und Kultur sind kein Luxus – und dürfen es grade in schwierigen Zeiten nicht sein.“
Diesem Anspruch wird der vorgelegte Kulturhaushalt allerding nicht gerecht. Deshalb soll es Anfang nächsten Jahres weitere Gespräche mit den Landtagsfraktionen und der Landesregierung geben, um zu verhindern, dass der Haushalt in der Form des Entwurfes verabschiedet wird. Der Kulturrat begrüßt in diesem Zusammenhang, dass die Kultursprecher der Landtagsfraktionen, nicht nur der Opposition sondern auch die der Regierungskoalition, den Haushalt in der vorgelegten Form kritisieren.

Kulturfördergesetz

Der Kulturrat NRW unterstützt das Projekt eines Kulturfördergesetzes NRW und verbindet damit die Hoffnung, dass Kulturpolitik aufgewertet wird. Der Kulturrat erwartet dass das Gesetz die Förderung von Kultur, Kunst und kulturelle Bildung der Förderung einen verlässlichen Rahmen gibt.
Unter anderem kommt es darauf an den Städten und Gemeinden Handlungsspielraum zu ermöglichen, sie zu motivieren Kunst und Kultur zu fördern. Zudem sollte Kulturpolitik entwickelt und verlässlich formuliert werden und damit den Künstlerinnen und Künstlern Planungssicherheit zu gewähren.

Darüber hinaus hält der Kulturrat NRW eine Entbürokratisierung des Förderwesens für unabdingbar. Wir übrigens auch.

Jenseits in der Hans Peter Zimmer Stiftung

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

Es ist eine gewagte und für den durchschnittlichen Kunstbetrieb höchst außergewöhnliche Ausstellung. Nicht, dass eine Präsentation zum Thema „Tod und darüber hinaus“ (meine Zusammenfassung) neu oder gar sensationell wäre. Aber wenn eine Institution ihre Arbeit zum ersten Mal in der Öffentlichkeit präsentiert und sich zu diesem Zweck als Neugeborene stilisiert, erwartet man üblicherweise eine zukunftsträchtige Rhetorik voll jugendlicher Kraft sowie feuerwerksartige Statements und Bilder, die blühende Landschaften und sonnige Perspektiven versprechen. Stattdessen wird uns der Tod serviert. „Jenseits – Beyond the Body“, mehr oder weniger als Eröffnungsgala der HPZ-Stiftung zu verstehen, dreht sich in der Tat um eine gerne verdrängte Thematik.

vorne: Roy Villevoye; hinten Alet Pilon

Die Auslöschung des Lebens als Auftaktveranstaltung kann entweder als makabrer Humor oder als antizyklische und widerborstige Programmankündigung bewertet werden. Und wer den Künstler Wolfgang Schäfer kennt, den führenden Kopf der Stiftung und bekennenden Christen mit starker Affinität zur offiziellen Kirche, wird für die zweite Hypothese tendieren. Denn die Auslöschung des Lebens ist ja aus religiöser Perspektive nicht alles und markiert eher einen Neuanfang als ein endgültiges Ende. Von diesen Prämissen ausgehend hat die eingeladene Kuratorin Anne Berk ihre Vernetzungen in den Niederlanden (und jenseits davon) reaktiviert und eine Ausstellung konzipiert, die wie eine Faust auf das Auge der Stiftungsräume passt.

Alet Pilon; hinten: Mark Cramer

Es ist sicherlich keine einfache Aufgabe, die großen und atmosphärischen, z.T. düsteren, z.T. bloß rohen Hallen der HPZ-Stiftung zu bespielen. Und auch wenn man die Schmuddelästhetik verlassener Industriegebäude im Kunstkontext langsam leid wird (gibt es wirklich keine andere Alternative zum White Cube?) müssen wir Berks kuratorische Arbeit loben. Sie hat sich auf Positionen der Bildhauerei, der Installation und der Videokunst konzentriert, die sparsam und ausgewogen in den unterschiedlich großen Sälen platziert wurden. Ihr facettenreicher Parcours spielt klug und ohne unnötige Effekte mit Lichtvariationen und räumlichen Hell-Dunkel-Kontrasten (eine schöne inszenatorische Metapher zum Ausstellungsthema). Während die Raumbespielung so gut wie perfekt erscheint, ist hingegen die Künstlerauswahl ungleichmäßig. Die Qualität der Werke, bzw. der Künstler schwankt so stark, dass man, aller atmosphärischen Dichte und thematischen Prägnanz zum Trotz, nicht von einer homogenen Ausstellung sprechen kann.

Jeroen Eisinga: Springtime

Der fesselndste und tiefste Beitrag der gesamten Schau stand direkt an deren Anfang. Der Film von Jeroen Eisinga wurde einsam im sog. „Backraum“ projiziert und war so stark, dass er locker den großen, dunklen Raum  füllte. Hier erlebte man in feinkörnigen Bildern, wie ein riesiger Bienenschwarm den Körper des Künstlers nach und nach bedeckte, bis der Mensch zu einer einzigen wimmelnden, organischen Masse wurde. Die Extremsituation braucht weder Ton noch andere Mittel um ihre ganze existentielle Dramatik zu entfalten und ein Minimum an Empathie reicht beim Betrachter aus, um Beklemmungsängste und Todesfurcht auszulösen. Höchst sinnlich und ätherisch zugleich, von einer mystischen Symbolik durchdrungen und trotzdem extrem körperbezogen, ist Springtime ein Film, der die paradigmatische Balance zwischen Angst und Ekstase auslotet und einen Schritt in den Tod wagt.

Jaap de Ruig: Man

An diese beeindruckend starke Arbeit kommen die meisten anderen Beiträge nicht heran – und werden nicht selten von dem genuinen Zusammenspiel mit den Räumen der Stiftung gerettet. Suffering von Jaap de Ruig ist hingegen so abgründig gemein, dass das Video sich durchaus in diesem und in jedem anderen Rahmen locker behaupten kann. Wie ein böser, ungezogener Junge spielt de Ruig mit toten Tieren und inszeniert ihr Ableben mit einer kindischen Ernsthaftigkeit, die nicht frei von Grausamkeit bleibt – wie als das kleine, süße, bereits tote Mäuschen mit dem Spielzeug-Traktor zur Mausefalle transportiert wird um dort erneut eliminiert zu werden. Ist einmal die kulturell bedingte Ekelschwelle und der oberflächliche Eindruck, vor einer perversen, krankhaften Handlung zu stehen, überwunden, dringt man in weitere, komplexere Schichten der Arbeit ein. Abseits moralisch korrekter und pietätvoller Gefühle, ist Suffering eine Metapher des menschlichen Körpers und seiner Verletzbarkeit und nimmt eine ungenierte Manipulation des Phänomens Tot vor. Ein verstörender und befreiender Tabubruch.

Célio Braga: Unveil

Der brasilianische Künstler Célio Braga hat eine sensible Installation realisiert, die sich aus dem Leiden und der Krankheit seines Freundes speist – und automatisch an manche wunderbaren Arbeiten von Felix Gonzalez-Torres erinnert. Medikamentpackungen und Beipackzettel werden in repetitiven und geduldigen Gesten verarbeitet und zu einer Kettenwand verwoben oder zu einem Turm (mit eindeutigem Brancusi-Bezug) assembliert. Bragas Herangehensweise hat etwas naiv-magisches – als ob er mit diesen obsessiven Gesten die Krankheit eines ihm teuren Menschen ausmerzen wollte.

Judith Maria Kleintjes: No title
Judith Maria Kleintjes: o.T.
Judith Maria Kleintjes: in between

Eine weitere stimmige, wenn auch im Kontext der Ausstellung fragwürdige Position, ist die von Judith Maria Kleintjes. Die seit vielen Jahren in Düsseldorf lebende Niederländerin zeigte eine Stahlwolle-Skulptur, die in mühsamer und z.T. schmerzhafter Arbeit entwirrt und in eine kokonartige Form gebracht wurde. Wie Braga, aber mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit für die inhärente Qualität ihres Materials, legt Kleintje ebenso viel Wert auf das Prozesshafte ihrer Kunst als auch auf deren fertige, skulpturale Gestalt. Die zeitintensive und geduldige Verarbeitung der Stahlwolle fließt in deren Interpretationsfeld. In einem anderen Raum lagen auf dem Boden kleinen, rötlichen Keramikobjekte, deren organische Formen, zwischen Vulva und Schmetterling oszillierend, zu sehr mit der Ästhetik  des Weiblichen kokettierten.

Mark Kramer: Tracing Out the Void
vorne: Mark Kramer; Mittelgrund: Roy Villevoye; Hointergrund: Alet Pilon

Erwähnenswert ist noch die abstrakte Installation von Mark Kramer, deren Bezug zur Ausstellung nur grenzwertig einleuchtend war (wobei ihre universelle Gültigkeit dazu führt, dass sie mit Sicherheit in allen denkbaren Kontexten passen kann). Der Körperbezug, den man in allen anderen Werken der Schau feststellen kann, hat sich nun vollständig aufgelöst. Hier kann die Leere, das Nichts, das den lebendigen Körper in dessen Tod entlastet, erfahren werden – so zumindest laut Katalog der Ausstellung. Jedenfalls war das extrem reduzierte Spiel mit Licht und Schatten, das reflexartig Platos Höhlengleichnis evoziert, ansprechend.

Alet Pilon: Not Me
Alet Pilon: Wish I Had

Brele Scholz: Study in Motion 3

Obwohl sie sich mit einem unsagbaren Phänomen auseinandersetzt, ist Jenseits eine erstaunlich gegenständlich geprägte Ausstellung, die teilweise auf konventionell-symbolischen Werken beruht. Die Skulpturen und Installationen von Alet Pilon, Esther Bruggink, Brele Scholz oder Jan Thomas operieren beispielsweise mit mehr oder weniger eindeutigen Bildern und Zeichen. Ohne sie in eine einzige, einheitliche Schublade aufräumen zu wollen, erkennt man formelle Verwandtschaften in all diesen Werken. Sie gehen auf den Tod ein und visualisieren das Phänomen wirksam und direkt – manchmal aber eben ein wenig zu direkt.

Erzebeth Baefeldt: Pieta
Esther Bruggink: Rusalka
Ida van der Lee: Allerzielen Alom
Ida van der Lee

Auch das von Anne Berk konstatierte „religiöse Defizit“ unserer einigermaßen säkularisierten Gesellschaft wird nicht wirklich aufgegriffen. Mehr als das Eindringen ins Jenseits, wird hier vor allem das Ende des leiblichen Lebens registriert und durchdekliniert. Transzendentale Elemente findet man nur mit angestrengtem, gutem Willen in der einen oder anderen Installation. Diese Tatsache ist von mir jedoch nicht als Kritik gedacht – denn eine abgeklärte Ausstellung zum Leben nach dem Leben hätte mir, gerade in dieser engelüberladenen vorweihnachtlichen Zeit, gar nicht geschmeckt.

Jan Thomas: Black Master
Martin uit den Bogarth: Painting and Singin‘ Finger
Jenseits – Beyond the Body
Weltkunstzimmer in der Hans Peter Zimmer Stiftung
Ronsdorfer Straße 77a
28.10-30.11.2012
 

Netz, Kultur, Spenden und Fördern – Wie organisieren wir die digitale Allmende?

von Florian Kuhlmann (Düsseldorf)


Sprechen wir über Kultur

Der Kulturrat NRW lädt kommenden Montag zur Parlamentarischen Begegnung Kultur und Politik in Nordrhein-Westfalen in den Düsseldorfer Landtag ein. Zusammen mit Dr. Lars Henrik Gass von den Oberhausener Kurzfilmtagen werde ich dort über Sinn- und Unsinn kultur- und kreativwirtschaftlichen Förderinstrumente in einem Kulturfördergesetz diskutieren. Ob in Zeiten der globalen Haushaltskonsolidierung aber all zu viel für die freie Szene rauszuholen ist, wage ich zu bezweifeln (mal ganz abgesehen davon, dass ich natürlich weiß, dass man hier bestenfalls einen minimalen Impuls liefern, und nicht das große Rad drehen kann).
Und dennoch freue ich mich auf die Einladung, immerhin bietet die Veranstaltung Anlass sich Gedanken über das Thema zu machen, das ein oder andere Gespräch zu führen und sich die Zeit zu nehmen, eigene Ideen zu den Fragestellungen zu entwickeln. In unserem speziellen Fall bedeutet das einmal über die aktuelle Fördersituation für unkommerzielle Onlineprojekte nachzudenken.

Ein Datennetz als Kulturraum?

Die Innovationskraft des Netzes ist mittlerweile unumstritten, an vielen Stellen unseres privaten Alltags und unseres sozialen Miteinanders hat diese Technologie ihre Spuren hinterlassen und wir befinden uns inmitten eines Veränderungsprozesses, der noch nicht abgeschlossen ist. Somit ist es nicht weiter verwunderlich, dass das Netz auch im Bereich des kulturellen Schaffens tiefgreifende Veränderungen hervorruft. Denn was online geschieht, was dort veröffentlicht, erdacht und produziert wird, ist zu einem wichtigen Element unserer Kultur geworden. Blogs, Podcasts, Netlabels, Onlinegaming, aber auch Foren, Wikis, Mailinglisten und Soziale Netzwerke zur Bürgerbeteiligung gewinnen in unserer modernen Gesellschaft zunehmend an Bedeutung. Auf medialer Ebene entsteht so an manchen Stellen eine neue Form der „Commons“ – oder der Gemeingüter, was in etwa dem entspricht was man früher in Dorfgemeinschaften die Allmende nannte.

Wie aber wollen wir die Gemeingüter organisieren?

Überlassen wir Google, Facebook und den noch zu gründenden Start-Ups das Feld und vertrauen auf die Organisationskraft von Unternehmen oder ist es eventuell doch notwendig zumindest parallel dazu auch andere Modelle zu etablieren? Thorsten Wiesmann schreibt dazu in einem aktuellen Artikel „Um die Politik der Zukunft gestalten zu können, braucht es Pioniere, die sich lokal und international gegen die weitere Privatisierung und Kommerzialisierung von Natur, Wissen, öffentlichem Raum und für eine andere Form der institutionellen Organisation einsetzen. Dabei geht es vor allem auch immer um die Frage, wie die Gemeingüter durch die Stärkung vertrauensvoller und fairer sozialer Beziehungen geschützt und weiterentwickelt werden können.
Und es geht um die Frage wie die Pioniere, die diese Politik mitgestalten in das bestehende, arbeitsteilig organisierte Gesellschaftsmodell eingebunden werden. Wirklich lohnend ist in diesem Zusammenhang übrigens das Interview mit dem New Yorker Journalisten Stephen Engelberg (ProPublica – New York), der erfolgreich eine gemeinnützige Nachrichtenredaktion auf Spendenbasis aufbaut.

Als weiteres Praxisbeispiel gilt aber natürlich auch das Feld der Künste und die dort angesiedelte freie Szene. Denn Künstler haben schon immer kollaborative Formen der Zusammenarbeit ohne Kapitalflüsse entwickelt. Zugegeben: der traditionelle Begriff des Kulturschaffenden, Autors oder Künstlers ist nicht eins zu eins aufs Netz übertragbar. Zu oft zerfließen die Grenzen zwischen Publikation und Autorschaft, an vielen Stellen laufen kreative Prozesse auf einer kollaborativen Ebene ab, selbst die Trennung zwischen Autor und Publikum löst sich in der Commons auf, die stark auf Copy-And-Paste und Remix basiert. Am Ende ist nicht immer klar ersichtlich, wer in dem Prozess federführend war, was die Situation in der ersten Betrachtung unüberschaubar macht. Unbestritten ist allerdings, dass alle diejenigen, die im Netz mit viel Einsatz von Zeit, Wissen und Ressourcen an Öffentlichkeit und Kultur mitwirken, auch wertvolle und wichtige Impulse geben.
Während es aber in vielen Bereichen, wie etwa Theater, Musik oder auch der Bildendenden Künste, mittlerweile kommunale, regionale und landesweite Förderungen gibt, ist im Bereich der Onlinemedien insbesondere im Bezug auf das Netz noch sehr wenig vergleichbare Unterstützung vorhanden.

Allan Kaprow “Eighteen Happenings in Six Parts.”

Die Menschen denken, nicht die Institutionen.

Hier besteht Diskussionsbedarf, und für ein Land wie Nordrhein Westfalen, das sich wie wenig andere der Idee eines Kulturwandels durch breite Förderung von Kultur und Kreativwirtschaft verschrieben hat, eine große Chance sich als Vorreiter zu positionieren.
Es existieren mittlerweile zahlreiche Projekte, die vor allem durch den hohen Zeiteinsatz einzelner Personen mit viel Engagement vorangetrieben werden, oftmals aber auch verschwinden wenn die persönlichen Ressourcen nicht mehr vorhanden sind, etwa weil die beruflichen Anforderungen steigen oder sich die familiäre Situation wandelt. Eine innovative Förderpolitik könnte hier Unterstützung bieten, die Arbeit erleichtern, den Fortbestand von Projekten sichern und überregionales Vorbild sein. Kultur, Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit, Kreativität und Ideenreichtum würden auf diese Weise unterstützt und gefördert werden. Politisches Engagement, Bürgerbeteiligung und die Kulturregion NRW würden langfristig davon profitieren, indem neue Ideen leichter entwickelt werden und darüber hinaus engagierte Köpfe besser im Land gehalten werden könnten.

Wichtig ist dabei aber, dass die Förderung eben nicht wie in der derzeit bevorzugten Praxis vor allem Institutionen und teuren Leuchtturmprojekten zu Gute kommt, sondern dass es ein Umdenken gibt. Denn insbesondere in der freien Szene und aber auch im Bereich der onlinebasierten Projekte – in denen Infrastruktur oft zum kleinsten Kostenfaktor wird – sind es meist kleine Teams und vor allem eben die Köpfe welche die kreative Arbeit leisten. Diese müssen unterstützt und gestützt werden wenn wir die Organisation der entstehende Commons nicht gänzlich dem E-Business überantworten wollen.

The white male complex bei SAVVY Contemporary

von Stefanie Ippendorf (Berlin)

„Macho, weiß, von gestern” titelte DIE ZEIT und machte damit Barack Obamas Wiederwahl sowie die „Bedrohung“ der „Männer des Westens“ durch „Frauen, Migranten“ und „den Rest der Welt“ zum Thema.  „Die Wiederwahl von Obama“, so das gemischtgeschlechtliche Autorenteam „markiert eine historische Wende, die Jahre selbstverständlicher männlicher, weißer Dominanz gehen zu Ende …“.

Ähnlicher Meinung dürfte auch der Künstlerkurator Thomas Eller sein. Für den Berliner Kunst- und Projektraum SAVVY Contemporary hat er die Ausstellung The white male complex konzipiert, in der stichprobenartig untersucht werden soll, was es unter heutigen Voraussetzungen bedeutet, weiß und männlich zu sein. SAVVY Contemporary versteht ich als „Laboratorium der Formgedanken“ und  ist, so die Homepage-Selbstdarstellung, “ein gemeinnütziger Kunstraum, der durch Ausstellungen, Performances, Lectures und Talks den Austausch zwischen Westkunst und Nicht-Westkunst fördert“.

links: Adib Fricke: Seven Ties Version1 with 7 suits_
(1991); rechts: Thomas Eller: THE selbst (sans…) (2011)

Bei der Themenfindung zur aktuellen Ausstellung hat sich Eller durch eine kritische Betrachtung der amerikanischen „Whiteness Studies“ sowie vom Gedankengut des Germanisten Klaus Theweleits inspirieren lassen, der 1977 mit seinen „Männerphantasien“ Furore machte: einem doppelbändigem Buch, in dem er die Entstehung der faschistischen Gewalt untersuchte und danach fragte, wie diese in den Körpern der (männlichen) Soldaten verankert war. Laut Eller haben Theweleits „Beschreibungsweise von nicht zu Ende geborener Männlichkeit und Körperpanzern aller Art, bis hin zu Superheldenhalluzinationen ein brauchbares Instrumentarium zur Verfügung“ gestellt. Resultat ist eine Ausstellung mit zwölf, durchweg von Männerhand erschaffenen Werken und einem Comicheft.

DETEX: VI4GRA [SPAM] (2012)

Was also sind die Komplexe des weißen Mannes? Thema: Phallus, Thema: Potenz! Mit der VI4GRA [SPAM] betitelten Arbeit, die am Anfang der Ausstellung zu sehen und hören ist, geht die Künstlergruppe DETEXT in Zusammenarbeit mit der spanischen Band Mendetz direkt in die Vollen. „life is unjust and cruel if you have a tiny tool”, „you can be a real macho”, „be proud of your masculinity, much longer than it used to be” tönt es hier aus den kleinen Boxen – alles Textzeilen von per Spam-Mail empfangenen Viagra-Werbungen, die zu einem tanzbaren Synthie-Pop-Song mit schicken Visuals verarbeitet wurden (leider ein Ohrwurm! hier nachzuhören http://www.detext.es/).

Thomas Eller: THE selbst (endgame)(2012)

Thomas Eller lässt die Hosen runter. In seinen Arbeiten macht sich der Künstler immer wieder selbst zum Thema und bevölkert die Welt mit Stellvertreter-Aufstellfiguren in unterschiedlichen Größendimensionen. Als THE selbst (sans…) zeigt er sich dandyhaft  im schwarzen Anzug mit Krawatte, doch ohne Beinkleid und geschrumpft. Auf THE selbst (endgame) gibt er sich gar die komplette Blöße und sitzt mit erigiertem Penis beim Schachspiel gegen das eigene, bekleidete Konterfei. Mit der 2012 entstandenen Arbeit verweist Eller auf Marcel Duchamp, der sich 1963 mit der nackten Studentin Eve Babitz beim Schachspielen im Museum fotografieren ließ, um das Ende seiner künstlerischen Tätigkeit anzukündigen.

Markus Voit: ME (2005)
Markus Voit: Ohne Titel (2011)

Für das Selbstportrait ME lies auch Markus Voit die Hüllen fallen. Mit bravem Seitenscheitel und freundlichem Blick präsentiert er uns seinen schmalen, jugendlichen Körper. Doch was ist das? Statt roter Brustwarzen, wachsen zwei Fellbüschel auf der sonst haarlosen Brust. Seinen damals ebenfalls noch jugendlichen Körper inszeniert Bruce Naumann in Walk with Contraposto. Mit ordentlich viel Hüftschwung durchschreitet er einen langen, schmalen Korridor und erkundet dabei die Möglichkeit,  den auf Standbein und Spielbein basierenden, in der klassischen Bildhauerei genutzten Kontrapost in Bewegung zu setzen.

Clemens Wilhelm: Read me (2011)

„Was die Zukunft wohl bringen mag?“ fragte sich Clemens Wilhelm und konsultierte während eines Residency-Aufenthalts im chinesischen Chongqing vier Wahrsager, die ihm aus der Hand lasen und ihm über seine künftigen Erfolge, den Reichtum, das Liebesleben und die Gesundheit Auskunft gaben. Im Video ist die überlebensgroß auf einen Tisch projizierte Hand zu sehen. Als Untertitel läuft die englische Übersetzung der aus dem Off erschallenden chinesischen Zukunftsvorhersagen. Erstaunlicherweise sind sich die unabhängig voneinander befragten Wahrsager in den Kernaussagen einig. Man erfährt u.a., dass Wilhelm wohl nicht so früh heiraten wird (bzw. nicht so früh heiraten sollte), er aber einige Affären haben wird, er  jemand ist, dessen Arbeit auf dem Intellekt fußt und nicht körperlicher Art ist und dass er eine ausgeprägte Analysefähigkeiten besitzt. Mit Read me gewährt Wilhelms Einblicke in eine normalerweise sehr private Erfahrung und vermittelt dabei eine chinesische Blickweise auf seine Person.

Mike Kelley: Superman Recites Selections from `The Bell Jar`and other works by Sylvia Plath (1999)

In seinem Spätwerk hat sich der leider Anfang des Jahres verstorbene Mike Kelley mit der Vita von Superman und somit dem Paradebeispiel des heldenhaften, weißen Mannes, befasst. Ausgangspunkt für das Projekt Kandor-Con 2000 ist die Stadt Kandor: eine Stadt, die in den Comics als letztes Überbleibsel des zerstörten Heimatplanten Krypton auftaucht. Kandor wurde von einem Bösewicht auf Miniaturformat geschrumpft und gelangte in Supermanns Besitz, der die Stadt unter einer Glasglocke aufbewahrt – Superman nicht als Held sondern als durch die Vergangenheit, den Verlust der Heimat bzw. durch ein „entfremdetes Verhältnis zu dem jetzt von ihm bewohnten Planeten“ traumatisiert.  Mit dem Video Superman Recites Selections from ‚The Bell Jar‘ and Other Works by Sylvia Plath ist in der Ausstellung leider nur ein minimaler Teil von Kelleys umfassendem Projekt zu sehen. Hier rezitiert ein Schauspieler im Supermann-Kostüm Textteile aus Sylvia Plaths Roman Die Glasglocke (1963).

Irgendwie unnötig, dass neben Kelleys Arbeit eine Kopie des Comics Superman: Für den Mann, der alles hat (1968) hängt, in dem Batman, Robin und Wonder Woman dem Superhelden eigentlich einen Geburtstagsbesuch in seiner „Festung der Einsamkeit“ abstatten wollen, diesen jedoch starr, geistesabwesend und von einer Art Pflanze befallen vorfinden…

Walter Robinson: untitled (Penthouse) (2010)

Wie sang einst Herbert Grönemeyer? „Männer haben Muskeln, Männer sind furchtbar stark, Männer können alles, Männer kriegen ´nen Herzinfarkt, Männer sind einsame Streiter, müssen durch jede Wand, müssen immer weiter…“

 

The white male complex
Thomas Eller, DETEXT, Adib Fricke, Mike Kelley, Bruce Nauman, Walter Robinson,
Felix Schneeweiss, Superman, Markus Voit, Clemens Wilhelm
4.11. – 4.12.2012
Do- So, 16.00-20.00 Uhr
SAVVY Contemporary
Richardstr.43/44
12055 Berlin
www.savvy-contemporary.com

 

Guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt!

Liebe Leserinnen und Leser,

wir haben es in den letzten Wochen etwas vernachlässigt Euch und Sie mit einem fröhlichen und positiv gestimmten ‚Guten Morgen‘ in die neue Woche zu entlassen. Dafür möchten wir uns entschuldigen und Besserung geloben. Eventuell verzeihen Sie uns aber, wenn Sie erfahren, dass es keine fahrlässige Unachtsamkeit oder mangelnde Wertschätzung Ihnen gegenüber war, wir sie natürlich nicht vergessen haben, sondern dass es auch bei uns lediglich der ganz profane Grund des Zeitmangels ist wenn Wichtiges liegen bleibt.
Denn die Subsistenz muss auch hier gesichert werden. Nicht nur die des Bloggers selber, sondern eben auch die der Menschen in seinem nächsten Umfeld. Und das bedeutet für uns das Gleiche was es auch für Sie und alle Anderen bedeutet: Arbeiten, mitmachen, Geld ranschaffen.
Tröstlich zumindest, dass der Grund diesbezüglich ein oder zwei Gänge hochzuschalten der Beste, Einzig legitime und Schönste ist.

Unabhängig von der privaten Entwicklung gilt aber auch ganz allgemein, die Zeiten werden mit Blick auf die Sicherung der eigenen Existenzen für die allermeisten von uns nicht einfacher. Der außergewöhnlich rasante Wandel der Welt überrolt uns immer mehr, lässt uns Staunen, Schaudern und zuweilen Schwindelig werden.
Und zeitgleich mit dem Eintreffen des grauen rheinischen Winterherbst, dämmert uns auch langsam wieder, was über die Sommerzeit so erfolgreich verdrängt wurde, nämlich dass die Wachstumsgrenzen auch virtuell nicht beliebig verschiebbar sind und die damit verbundenen ökonomischen Verwerfungen nicht spurlos an uns vorüber gehen werden.
Es gilt umso mehr, was schon lange gesagt ist: Die fetten Jahre sind vorbei.

Aber liebe Leserinnen und Leser, solange zu Zeiten wie diesen Soundtracks wie der nachfolgende erdacht und gemacht werden ist natürlich nicht Alles verloren. Stillstand gibt es bekanntlich nicht, und weiter geht es sowieso von ganz alleine. Immer.
Bereiten Sie sich also so gut es eben geht vor, behalten Sie einen klaren Kopf, Ihre Liebsten im Auge und vergessen Sie nicht diesen Moment der extremen Bewegung auch zu genießen.
Bleiben Sie uns bitte auch darüber hinaus gewogen und halten Sie Augen und Ohren offen, sowie letztere auch steif.
Wir wünschen guten Morgen Düsseldorf, guten Morgen Welt!

(video via aisthesis | inspiration via rebellmarkt)