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Der anarchistische Geruch von Pappe – ein Gespräch mit Rob Voerman

Rob Voerman

Emmanuel Mir: Wenn man deine Arbeit betrachtet, merkt man sofort die Affinität zur Architektur oder zum Urbanismus. Deine großen begehbaren Skulpturen sind funktionale Behausungen, die durchaus benutzt werden können. Hast du Architektur studiert?

Rob Voerman: Nein, ich komme ausschließlich aus den Bildenden Künsten. Ich habe Kunst in Kampen, einer kleinen niederländischen Stadt, studiert und schon damals war ich sehr an Architektur interessiert. Ich hatte während der Studienzeit einen Schwerpunkt in Bildhauerei, aber das Bauen war für mich wichtiger, spannender. Seit Ende der 1990er Jahren habe ich mich mit Architekturtheorie intensiv auseinandergesetzt und für mich ging es – und geht es immer noch – darum, zu  verstehen, wie eine Stadt funktioniert, wie sie benutzt wird, was für funktionelle Räume entstehen.

Tarnung #2 (2008), Holz, Glas, Plexiglas u.d.M.. 600 x 600 x 300cm
Pressure, 2012, Silkscreen, pencil and soot on paper, 118 x 198cm

Wie kamst du dazu?

Es hat sich langsam entwickelt. Neben Installationen oder Skulpturen habe ich auch viel mit Druckgrafik gearbeitet und meine erste Arbeit stellte ein Schrebergartenhäuschen als Raumschiff dar. Die Schrebergartensbude ist ein ganz besonderer Bautypus für mich. Gerade in einem Land wie in den Niederlanden, wo alles reguliert, normiert oder durchgestylt und designed ist, bildet das Schrebergartenhäuschen ein letztes sichtbares Exemplar von spontaner und freier Architektur. Es ist eine individuelle, nicht-professionelle, grassroots-Architektur, die anarchistische Züge hat. Das ist bis heute ein wichtiges Aspekt meiner Arbeit: Wie kann man sich Architektur aneignen, was für individuelle Gestaltungsmöglichkeiten sind gegeben?  Von dieser Fragen ausgehend, habe ich viel gezeichnet. Viel drehte sich um Gebäude, die zum Teil realistisch und zum Teil fantastisch waren.

Belief, 2008 Watercolour and pencil on paper 90 x 63cm, collection Achmea

Wenn man deine großformatigen Linoldrucke oder Radierungen anschaut, ist aber der realistische Aspekt, bzw. die Realisierbarkeit dieser Gebäude nicht evident. Sie wirken eher wie völlig freie Entwürfe, die jenseits aller Machbarkeitsstudien gesponnen werden und könnten einer utopischen Vision entnommen sein. Sind die Blätter, in der Tradition der utopischen Werke, als politische Kommentare zur Ist-Situation zu verstehen?

Ja, schon. Es geht um eine Alternative zur vorhandenen Architektur. Es geht um eine Kritik des einfallslosen Urbanismus. Das sind aber vor allem Bilder, die eine poetische Kraft entwickeln – ich möchte da die politische Relevanz dieser Arbeiten nicht überbewerten…

Kommen wir nun zu deinen Installationen. Die Zellen, die du aus Pappe, Holzlatten und Plexiglas baust, erinnern an diese prekäre Behausungen, die sich Obdachlose errichten, oder an die mehr oder weniger dauerhafte Parallelarchitektur der Favelas. Warum zitierst du diese Gebäude?

Es ist klar, dass man bei diesem Material direkt auf Favela-Assoziationen kommt, aber ehrlich gesagt geht es mir nicht in erster Linie um eine soziale Kritik der Misere in dieser Welt. Das ist schon ein Aspekt, aber er ist nicht vordergründig. Die Zellen sind eher Fluchtorte, sie ermöglichen den Rückzug und schaffen die Bedingungen für ein einfaches Leben außerhalb der Welt. Mir geht es darum, Räume zu kreieren, die geschützt und autonom sind, in denen das Individuum sich verborgen fühlt und einen eigenen Freiraum erhält – und nicht um das Anprangern von sozialen Missständen. Meine Referenz ist eh mehr Thoreau als Mutter Theresa.

Aber der Gebrauch von Pappen, die grob gerissen und mit braunem Klebeband montiert werden, evozieren mehr das homeless shelter des Opfers einer wirtschaftlichen Krise als das romantische Waldrefugium von Thoreau. Warum arbeitest du mit diesem Material?

Ganz einfach weil es leicht, billig, bzw. kostenlos ist und sich bestens verarbeiten lässt. Jeder Mensch kann mit Karton und Klebeband umgehen und sich damit ein primitives Haus basteln. Es benötigt keine besondere Fertigkeit. Wenn du deinen Aufenthaltsort rasch verlassen muss, kannst du die Pappe zusammenfalten und woandershin aufbauen. Ich mag diese Spontanität und diese Flexibilität. Und ich mag die Vorstellung, dass man sich damit schnell und unkompliziert einen Raum aneignen kann, dass man sich auf verbotenen Terrain ausbreiten und wieder verschwinden kann. Das hat eine subversive Seite, es riecht nach Anarchie.

 

Damit teilst du also das Materialverständnis eines Thomas Hirschhorn?

Man sieht in meiner Arbeit immer wieder Parallele zu den Papp-Monumenten von Hirschhorn – das ist OK, auch wenn die Bildsprache eine ganz andere ist. Die zwei Künstler, die im Zusammenhang mit meinen Skulpturen genannt werden, sind allerdings Kurt Schwitters, was ziemlich evident ist, und Gaudi. Dass Constant mich vielmehr als diese zwei beeinflusst hat, wird aber nie gesehen. Und was Gaudi angeht – naja, ich war nie in Barcelona, kann aber trotzdem verstehen, dass er genannt wird.

The Fifth Season (während der Aufbauarbeit) im WeltKunstZimmer, 2013

Mit der Verwendung von gefärbten Glas oder Folien, erinnern deine Zellen an Kapellen, sie haben fast etwas sakrales. Spielt die Religion eine Rolle in deine Arbeit?

Nein, an sich nicht. Durch diese Glasfenster und dem Rückgriff auf Blei entsteht schon einen klaren Bezug zur Kirche, aber wir sind nicht in eine Kapelle, wenn du das meinst. Das Spiel mit dem Licht hat keine spirituelle Bedeutung, wie das in den gotischen Kathedralen der Fall ist. Bei mir geht es um eine Idee der Fragmentierung. Ich schaffe eine kleine Innenwelt, die so komplex, verschachtelt und fragmentiert wie die große Welt da draußen. Alles steht in Beziehung zueinander und alles ist gleichzeitig voneinander getrennt. Von solchen Bildern und Ideen werde ich geleitet, nicht von religiösen Zitaten. Ich muss trotzdem zugeben, dass ich religiöse Architektur besonders mag. Ich bin zwar nicht religiös, fühle aber ein Bedürfnis in solchen Räumen einzutreten und dort zu verweilen.

Warum?

Weil es da einen wohltuende Abstand zur Welt gibt. Weil man sich zwischen diesen Gemäuern geschützt fühlt. Man ist teilweise weg.

A Permeable Body of Solitude, 2012
A Permeable Body of Solitude (interior), 2012

Du hast eben Thoreau erwähnt und deine Kapseln erinnern auch ein wenig an den cellules von Absalon, in denen das Individuum sich von der Außenwelt vollständig abriegeln kann. Deine Arbeit verbindet auf eigenwillige Weise Askese und Trash. Sind deine Skulpturen eine Metapher der Flucht, des individualistischen Rückzugs?

Bis zu einem gewissen Sinn schon. Aber auch diese Leseart möchte ich relativieren. Denn meine Zellen sind auch Orte des Austausches und der Kommunikation. Man isoliert sich von der Welt, von externen Aggressionen, wird aber nicht unbedingt deshalb zu einem einsamen Einsiedler. Zum Beispiel in A Permeable Body of Solitude ist der Innenraum so angelegt, dass zwei Personen Platz nehmen und sich unterhalten können.

Auch wenn man beide Aspekte nicht auseinander nehmen kann, möchte ich wissen, ob deine Zelle sich in erster Linie auf dem Körper des Nutzers und seinen Bedürfnissen bezieht oder ob sie eher als allgemeine kulturkritische Metapher zu verstehen ist. Ob die physische Präsenz des „Nutzers“ ausschlaggebend ist, oder ob es dir mehr um soziale Entwicklungen, meinetwegen um urbanistische Fragen geht.

In den neuen Arbeiten ist der erstere Aspekt definitiv wichtiger geworden. Das Individuum ist die Referenz, nicht unbedingt das System. Ich bin ein pragmatischer Mensch, der immer nach einer Funktion, nach einer Nutzung von vorhandenen Strukturen sucht und diese Nutzung in Frage stellt oder neu erfindet. Die Zellen sind auf den Menschen zugeschnitten. Aber das impliziert auch eine Sozialkritik.

Annex #4
Annex #4

Hast du ein Problem mit der Tatsache, dass diese Zellen in einer Ausstellungshalle präsentiert werden und dadurch ihrer Funktion beraubt werden? Auch wenn man sie betreten darf, wirken sie hier wie Skulpturen mit einer bloßen metaphorischen Wirkkraft.

Ja, das stimmt. Hier ist alles geschützt. Am liebsten würde ich alle meine Skulpturen im Außenraum, im öffentlichen Raum ausstellen, und schauen, wie sie sich behaupten, wie sie in Gebrauch genommen werden, egal ob sie nach der Ausstellungszeit ramponiert oder kaputt sind. Das gelingt mir ab und zu. Ich möchte auch sehr gerne ein Projekt in Düsseldorf realisieren. Die Stadt hat diesen glatten, edlen und perfektionistischen Ruf; es könnte spannend werden, diese gute Ordnung des Außenraums zu stören…

The Fifth Season, Aufnahme des Aufbaus im Weltkunstzimmer
The Fifth Season, Aufnahme des Aufbaus im Weltkunstzimmer
The Fifth Season, Aufnahme des Aufbaus im Weltkunstzimmer

Für die Ausstellung im Weltkunstzimmer wirst du jedenfalls eine Skulptur schaffen, die wohl bewohnt werden kann.

Ja, ich arbeite gerade an einer Skulptur, die ich speziell für diesen Ort realisiere. Ihre Außenseite bezieht sich auf dem Seagram Building von Mies van der Rohe und übernimmt den Rhythmus der Fassade. Im Inneren baue ich eine funktionale Werkstatt/Wohnung, die ein wenig an die Bauhaus-Ateliers erinnert, oder zumindest ihre Ideen zitiert. Es gibt ein Bett, einen Arbeitstisch und eine Art Wohnecke. Zwei Wochen nach der Eröffnung der Ausstellung werden ein paar Gäste die obere Halle des Weltkunstzimmers bespielen. Es sind Studenten der Kunstakademie Düsseldorf und aus Breda, die ich ausgewählt und eingeladen habe, und die ihre eigene Arbeit als work in progress aufbauen werden. Wenn sie wollen, können sie meine Skulptur nutzen und hier schlafen.

Die Architektur der Moderne mit ihren totalitärischen Ansprüchen ist bis heute ziemlich in Verruf geraten. Wie stehst du dazu?

Ich gebe zu, dass ich eine Hass-Liebe-Beziehung zur Moderne unterhalte. Ich finde es schon gefährlich oder zumindest bedenklich, wenn eine ganze Stadt auf dem Reißbrett geplant wird und man über die Köpfe der Menschen baut. Aber anderseits halte ich es immer noch für wichtig, globale Ideen und Lösungen für globale Probleme zu finden. Die Vorstellung, eine klare Vorstellung, eine eindeutige Perspektive zu besitzen und diese auch durchzusetzen – und zwar lösungsorientiert – ist für mich sehr anziehend. Die utopische Komponente der Moderne übt eine Faszination auf mich aus. Außerdem mag ich einfach die kühle, klare Ästhetik von Le Corbusier. Irgendwie baue ich immer mehr Elemente der Architektur der Moderne in meine Arbeiten ein.

 

Rob Voerman: Tarnung. Biomorphe Skulpturen und Zeichnungen
Weltkunstzimmer
7. September bis 19. Oktober 2013
Ronsdorferstr. 77a, Düsseldorf
Eröffnung: Freitag, 6. September 2013, 19.00 Uhr
Öffnungszeiten: Do. – So. 14.00 – 18.00 Uhr
Eintritt frei.
Innerhalb der Ausstellung findet ein mehrtägiger Workshop mit Studenten der Kunstakademie Düsseldorf, Den Bosch/ Breda und der ArtEZ (Arnheim) statt.
www.robvoerman.nl