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Politik der Langsamkeit – Beat Wyss im Gespräch mit Anja Martick

Das Gespräch zwischen Beat Wyss und Anja Martick über das Verhältnis von Kunst und Medien wurde ursprünglich auf der Webseite der Universität Duisburg-Essen publiziert. Freund Alec machte mich gestern darauf  aufmerksam – Danke!
Und da wir im Text lernen, dass der Tanz um das Original sowieso ein recht neuer Splin der Kunst ist, verlinken wir, danken wir und kopieren es hier her.

Politik der Langsamkeit

Beat Wyss im Gespräch mit Anja Martick,
Weimar, 18. Juni 1998

Herr Wyss, könnten Sie kurz Ihren persönlichen Werdegang schildern, und wo Sie jetzt tätig sind?

Ich unterrichte Kunstgeschichte an der Universität Stuttgart und war zuvor an der Universität Bochum für das selbe. Ich komme eigentlich aus der Schweiz aber ich machte viele Wanderjahre nach den Vereinigten Staaten. In der Schweiz habe ich auch unterrichtet an der Eidgenössischen Technischen Hochschule.

Warum sind Sie von der Schweiz nach Deutschland gekommen?

Das sind Zufälle und zum Teil auch Absichten, ich habe in Deutschland studiert, in Berlin, und von daher hat es mich auch immer schon interessiert, hier zu leben und durch die Diskurse hier- ich find? das einfach ein bißchen lebhafter als in der behäbigen Schweiz.

Ihre ersten beiden Hauptwerke, also einmal „Der Wille zur Kunst“ und die „Trauer der Vollendung“, werden in die Kunstgeschichte eingeordnet, und das letzte Buch „Die Welt als T-Shirt“ ist eine Geschichte und Ästhetik der Medien. Wie sind Sie von der Kunst zu den Medien gekommen?

Für mich ist das eigentlich das selbe. Kunst ist ein Medium, ich finde ohnehin, es wäre eigentlich wichtig, gerade auch für Medienleute, daß sie begreifen, daß z.B. die modernen, die digitalen, die technischen Medien eigentlich nur ein Aspekt der Medien sind. Eine Kathedrale ist ein Medium, ein Buch ist ein Medium, ich fasse eigentlich das Medium als einen Filter zur Welt auf, den wir brauchen um sie zur verstehen.

Also ein Medium als Mittel?

Mittel, das Medium ist das Mittel die Welt anzuschauen, weil wir ohne ein Medium die Welt nicht verstehen.

Sehen Sie die Medienwissenschaft als eine Wissenschaft für sich, oder anders gesagt gibt es eine eigene Wissenschaft der Medien?

Ich glaube das ist eine sehr schwierige Frage, die Sie stellen. Natürlich hat jedes Fach seine eigene Geschichte, seine eigenen Begriffe, seine eigenen Diskurse, aber ich glaube heute ist es sehr wichtig, daß wir zu einem Punkt kommen, wo wir uns begegnen: Die Schnittmenge zwischen Literaturwissenschaft, Soziologie, neuen Medien und klassischer Kunstgeschichte. Sofern es eine Humanwissenschaft ist, das visuelle Erbe und auch die visuelle Zukunft, als visuelle Kommunikation zu verstehen versuchen, darin sollten wir uns annähern quasi Medienwissenschaften und Kunstwissenschaften.

Also beide Wissenschaften gemeinsam betrachten?

Ich glaube das wäre ein bißchen, vielleicht gar nicht so günstig, denn wir haben natürlich wirklich Dinge, die wir, die Kunsthistoriker, selber machen müssen, also wo sie vielleicht dann sagen, das interessiert uns nicht mehr, z.B. Sammlungsbestände im Weimarer Schloß oder Architekturgeschichte und Denkmalpflege. Das sind natürlich Dinge, die auch Mediencharakter haben. Aber ich denke, da wo Kunstgeschichte Kommunikations-wissenschaft ist, da müssen wir zusammen kommen. Sie haben ja vielleicht auch Gebiete wo ich als Kunsthistoriker nichts mehr verstehe. Es gibt da, denke ich, eine Schnittmenge wo es wichtig ist, daß wir zusammen arbeiten. Vor allem ist es wichtig für die Kunstgeschichte, weil sie ein bißchen zu Recht im Verdacht steht, sich um die Gegenwart nicht sich zu kümmern.

Sie beachtet die Technik nicht?

Ja, und die Technik. Im Moment ist das wirklich sehr wichtig, in einem Zeitalter, das derart durch die Dominanz des Visuellen geprägt ist, daß wir da eigentlich auch unser traditionelles Wissen einbringen.

Was ich an dem Mediendiskurs manchmal ein bißchen moniere ist, daß er meint, das sei alles so neu, das Fernsehen, der Computer und all die Sachen. Es wäre interessant rückwärts zuschauen, in die Geschichte zu sehen, um die Gegenwart besser zu verstehen. Inwiefern war z.B. eine gotische Kathedrale ein Medium eben als Erklärererin der Welt, eine Art Simulationsmaschine in religiös- magischer Art, die dieselbe Funktion hatte wie das Fernsehen. Ich glaube, wenn man diese Langzeitbetrachtungen in die Gegenwart mit einbringt, kann man auch das Medienverständnis für die neue technische, die neue digitale Welt vertiefen.

Und was ist für Sie Medienkunst (Videokunst, Videoinstallationen)?

Das ist für mich eine einfach normale Fortentwicklung im Zeitalter der digitalen Medien. So wie, als der Buchdruck erfunden wurde, hatte man eben Grafiken gemacht. Jetzt ist der Computer erfunden worden, also macht man Kunst mit dem Computer. Die Kunst hält in dem Sinne immer Schritt mit der technischen Innovation, versucht dieses technische Medium ästhetisch intelligent zu machen, daß es nicht nur operiert. Computer wurden eigentlich erfunden für den Krieg oder das ist wirklich die Aufgabe von Kunst, solche technischen Geräte intelligent zu machen, zu supremieren.

In Ihrem Buch haben Sie geschrieben, daß durch die digitale Kunst das Original verloren geht, und die digitale Kunst beliebig oft reproduzierbar ist. Ist da nicht der Kunstanspruch aufgehoben?

Nein, ich glaube nicht. Der Begriff des Originals ist sowieso ein relativer neuer Begriff, für lange Zeiten galt dieser Begriff nicht. Typischerweise kam dieser Begriff erst auf mit den neuen Medien, also erst als es die Fotografie gab, wurde das Original zu einem Problem. Sagen wir im 16./17. Jahrhundert hat man Grafiken noch nicht numeriert, man hat einfach viele gemacht. Ein singuläres Objekt wurde erst da aufgewertet, wo wir es technisch reproduzieren konnten. Also von daher hat eigentlich der Begriff des Originals mit dem Kunstwerk nicht soviel zu tun.

Warum wird die Fotografie von der Kunstgeschichte wenig beachtet?

Das muß ich jetzt ein bißchen korrigieren. In den letzten Jahren wurde natürlich sehr groß aufgerüstet, aber sie haben Recht, in der deutschen Kunstgeschichte ist es noch nicht so weit. Es waren vor allem die Amerikaner, welche die Fotogeschichte aufgearbeitet haben und wir sollten hier ein bißchen nachbessern.

Ist Kunst für sie elitär?

Ich glaub das hat sich schon längst verabschiedet, das Elitäre, und zwar in den 60er Jahren mit Pop- Art, wo endgültig das elitäre Element verschwunden ist aus der Kunst. Man kann das heute gar nicht mehr so sehen, sowenig wie es ein Bildungsbürgertum noch gibt. Kunst ist eigentlich aus diesem Bereich des Explosiven völlig verschwunden.

Oder meinen Sie, die Kunst müßte das leisten, daß sie sich an alle richtet? Man könnte es ja auch so sehen, es sammeln ja auch nicht alle Menschen Briefmarken, es gibt Leute die das langweilig und blöd finden, und andere finden es gut. Ich glaube ich sehe das eher so, heutzutage in der Kunst. Das ist einfach eine Art, ich glaube nicht mehr, daß es eine gesellschaftspezifisch abgrenzende, eben elitäre Veranstaltung ist, sondern ein Hobby unter anderen.

Sie spricht wesentlich mehr Massen an als früher. Das sehen sie auch schon bei Museumsbesuchen heute, wenn ich mich erinnere an meine Jugendzeit. Auch Alte Kunst interessiert heute vielmehr. Ich konnte in den 60er Jahren noch in den Louvre gehen, und da war kein Mensch oder in die Uffizien in Florenz, da konnte man einfach reinspazieren, heute warten sie anderthalb Stunden in der Schlange. Es ist eigentlich so, und das wollte ich damit sagen, daß dieses elitäre Moment vorbei ist, und wenn einfach gewisse Leute trotzdem kein Interesse haben, dann ist es einfach nicht, weil es sie ausgrenzt, sondern weil sie sich nicht darum kümmern. Eben so hobbymäßig gehen sie lieber Schnorcheln oder weiß ich was.

Und was denken Sie über Weimar 99, daß Weimar jetzt Kulturhauptstadt wird?

Ich kenne das Programm zu wenig, aber ich finde das natürlich gut. Ich war kurz nach der Wende zum ersten Mal hier und bin wirklich erstaunt, wieviel in diesen sechs, sieben Jahren passiert ist. Es ist auch schon ziemlich touristisch geworden. Ich weiß nicht, wie die jungen Menschen das sehen, ob man denen einen Gefallen tut, wenn man jetzt überall Goethe sieht. Das ist wahrscheinlich fast ein bißchen zu viel des Guten. Aber ich finde es generell sehr gut, weil solche Anlässe den Städten ein Gesicht geben, ein Profil, eine Individualität und das ist sicher gut, auch für die Stadt, im Sinne einer Identitätsfindung. Gerade Weimar, das man mit einer prekären Geschichte konnotiert. Die Weimarer Republik, ihr Scheitern, das sind Dinge von denen es gut ist, wenn quasi wieder ein neues Weimar entsteht.

Was bedeutet für Sie Zeit?

So eine schwierige philosophische Frage. Zeit ist … die Spanne, die ich jetzt geschwiegen habe. Und es ist etwas, daß wir manchmal fassen, wenn es uns langweilig ist oder manchmal vergessen, daß sie da ist, also als gelebte Momente. Ich versuche jetzt zu raten, was Sie, weil Sie sich das Medium als ein Zeit, als eine Kunst der Zeit verstehen?

Das Medium als Kunst der Zeit? Die Zeit wird schneller, es kommt einem vor, als ob die Geschwindigkeit im Leben zunimmt durch die Verschnellerung der Medien.

Ich denke, es gibt natürlich diese Beschleunigung bis hin zum Stillstand in der Beschleunigung, also quasi Lichtgeschwindigkeit, in Lichtgeschwindigkeit Informationen wahrnehmen, melden können. Auf der anderen Seite stecken wir in diesen alten Körpern als analoge Wesen, die eigentlich auch eine gewisse Zeit brauchen, um das zu verarbeiten. Die medial mögliche Beschleunigung hat natürlich ihre Grenze an unserer eigenen sinnlichen Perzeption. Das finde ich ein interessantes Thema, diese Ungleichzeitigkeit technischer Möglichkeiten und unserer leiblichen Kapazitäten.

Wir lesen heute Reisebericht von Menschen, die 1840 in der Eisenbahn saßen und ohnmächtig wurden, weil 40 km/h gefahren wurden und heute halten wir doppelte Schallgeschwindigkeit aus. Aber in der Verarbeitung sind wir erstaunlich langsam. Und unsere Bedürfnisse sind doch erstaunlich altmodisch, wir sind verliebt, wir haben Hunger, es sind sehr altmodische Dinge und die brechen natürlich diese Geschwindigkeit, so bleiben wir eigentlich immer noch in einer alten Zeit und ich glaube, das muß die Medienkunst auch reflektieren. Das heißt jetzt nicht, daß man zurückkehrt zur Langsamkeit, aber daß wir eine gewisse Kultur der Langsamkeit nicht außer acht lassen dürfen.

Ich möchte Ihnen eine kurze Zwischenfrage stellen, haben Sie Musikwünsche?

Da möchte ich etwas von John Gage und zwar 4min 33 silence. Und das gerade zum Thema Zeit.

Noch einmal eine ganz andere Frage. Unterrichten Sie in Stuttgart ausschließlich Kunstgeschichte oder gibt es auch eine Medienfakultät an der Stuttgarter Universität?

Nein, es gibt keine, und das ist eben schade, weil ich auch zeitgenössische Kunst unterrichte, da fehlt es mir manchmal an Möglichkeiten. Wir haben jetzt keinen Beamer, ich muß den immer ausleihen, wenn ich Videos zeige von Performances oder solchen Sachen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich in Stuttgart das Fraunhofer-Institut, und die sind unglaublich hochgerüstet was Computertechnik betrifft. Ich arbeite mit den Informatikern zusammen, und ich möchte ein Projekt entwickeln über Stadtbaugeschichte im Internet. Eine Art Hypertext Kunstgeschichte machen, also eine Art virtuelle Stadt. Die historischen Daten, als Modell könnte man Stuttgart nehmen, eben so speichern, aber auch mit virtuellen Umsetzungen, daß ich z.B. durch die Königsstraße um 1500 gehen kann. Eine Rekonstruktionen machen, daß einen Hypertext der Ton, Bild und dreidimensionale Simulation erstellt. Das kostet einfach wahnsinnig Geld. Aber es gibt auch ein Interesse das zu machen und es dann auch zu vernetzen mit Partnerstädten, und vielleicht können wir ja Weimar noch dazu gewinnen.

Meinen Sie, daß Medienkunst museal bleibt?

Das Problem ging schon los mit Fluxus. Die Fluxuskünstler haben ursprünglich, also in den frühen 60er Jahren, sich gewehrt gegen das Werk. Ihre ganze Anstrengung war eigentlich das Kunstwerk zu verabschieden, indem sie zeitlich begrenzte, vergängliche Aktionen gemacht haben.

Aber trotzdem wurden sie aufgenommen.

Dann wurden zufällig Fotografien oder Videos davon gemacht, also die Videokamera wurde, glaube ich, 1968 erfunden. Da hat man vielleicht eine Beuys-Performance gefilmt und plötzlich merkte man es, was machen wir jetzt mit dem Markt. Natürlich, in der ersten Stunde haben die das sich nicht getraut zu sagen, weil das reaktionär gewesen wäre. Aber diese Künstler wurden auch älter und haben sich daran erinnert, wir haben noch die Fotos, und da wurden diese Medien unter der Hand zu Kunstwerken oder diese Videodokumente oder fotografischen Dokumente wurden zu Autografen und quasi Kunstwerken. Und erst in den 80er Jahren wurde dem Künstler das bewußt, eben die Frage, wo ist eigentlich das Kunstwerk in einer Performance. Ich glaube, es ist nicht vielen Künstlern immer ganz klar. Ist es jetzt diese Aktion, die da passiert, 10 min lang und nachher weg ist, oder ist es das, was auf dem Videoband ist. Ist das das Kunstwerk? Das muß man zunächst fragen. Ist diese Aufzeichnung nur ein Dokument oder ist es das Resultat. Ich glaube, man muß wirklich die einzelnen Künstlerintentionen kennen, sag wir mal Joe Marie La Fontaine, da kann man sagen, da ist es, die Installation, das Video, das dann in einer Art Kunstarchitektur läuft oder June Paik, da ist es gewissermaßen das Objekt, da ist es der Monitor und alles drum herum.

Und gerade diese Kunst die wird doch wirklich museal bleiben.

Die wird museal bleiben, ich glaube, für den privaten Markt wird natürlich eine Tendenz zum konservativen Festhalten, am Werk bleiben. Man will etwas aufhängen in der Stube. Eine andere Möglichkeit sehe ich natürlich in den Banken, daß die Installationen in ihre Räume integrieren. Da gibt es gerade in Stuttgart verschiedene Beispiele, daß Künstler eingeladen werden, Räume zu verfremden in dem sie Installationen machen. Ich glaube, daß im Moment sowieso eine Tendenz festzustellen ist gegen das Museum. Museumskunst ist out für ihre Generation, nehme ich an Man kann hier auch einen Generationenschnitt, einen Epochenschritt feststellen. Ende der 70er/80ger Jahre, das ist Museumskunst: rechteckig, heftig gemalt und so, zum aufhängen, käuflich für Zahnärzte, Yuppies. Das war die Museumskunst, welche die vorherige Konzeptkunst (60/70er Jahre) abgelöst hat. Das war so eine Art konservative Umschwung der späten 70/80.er Jahre und in Ihrer Generation hat es sich jetzt wieder gedreht, man will ja nicht Museumskunst machen, sondern Kunst, die Kommentare zum Alltag bietet, indem die Kunst einen Kommentar auf eine Alltagssituation macht und diese verfremdet. Da gibt’s wirklich witzige Sachen. Aber das Museum wird so schnell nicht abdanken, das bleibt. Das Museum ist die Kirche unserer Zeit, also das sind die Kathedralen der Kunstreligion.

Also heute trifft sich im Museum die Öffentlichkeit.

Das Museum ist das Substitut für öffentlichen Raum, den es immer weniger gibt in der Stadt. Das ist ja nicht nur, weil es hier in Weimar so viele Bauplätze gibt. Es ist ein tendenzieller Abbau öffentlichen Raums, und das Museum ist quasi eine Art Ersatz oder eine Insel von Öffentlichkeit, in dem wir uns treffen können, in dem auch alte Öffentlichkeit, quasi liquidierte Öffentlichkeit nachgestellt wird.

Und vor allem in Amerika gibt es diese Entwicklung der Computer-Kaffee-Shops, die eine ganz eigene Öffentlichkeit haben, eine Institution wo man sich trifft. Man geht zwar ins Internet zusammen, aber man trifft sich an einem bestimmten Ort, hat verschiedene Terminals, es gibt eine neue Kultur, die durchaus eine analoge Kultur ist, eine Geselligkeit und auch eine Ethik, die hatten aber einen bestimmten Touch, die hatten eine gute Stimmung. Das wird durchaus kommunikativ gesellig ausgetragen. Man muß ja auch unterscheiden zwischen den Medien Fernsehen und Computer. Das Fernsehen, denken wir mal, ist ein auslaufendes Modell. Ich bin noch ohne Fernsehen aufgewachsen, ich hab es nie gehabt und jetzt geht’s wieder weg.

Was sagen Sie zu Beuys, der als der Nachkriegskünstler Deutschlands gilt?

Der Beuys ist der letzte Moderne nach der Moderne, ich bin sehr ambivalent gegenüber Beuys. Er ist natürlich ein unglaublich charismatischer Künstler. Ich glaube, der ist einfach der Künstler, den Deutschland verdient hat. Aber wenn man ihn vergleicht mit seinem gleichaltrigen Kollegen Andy Wahrhol, da sind natürlich Welten. Ich glaube, mit Beuys hat Deutschland in der Nachkriegszeit noch einmal die Moderne durchgespielt, zu einer Zeit wo das eigentlich nicht mehr Thema war, sie hat vom Pop abgelenkt durch Beuys. Ich meine, die Themen von Beuys sind alle modern, und mit modern meine ich die Zeit bis in die 40er Jahre, die klassische Moderne Ende 19. Jahrhundert bis 30er 40er Jahre unseres Jahrhundert. Es ist die Esoterik, die Anthroposophie, die war zur Zeit Kandinskys, Paul Klees, da war das das Thema, und Beuys nimmt es noch mal auf. Es war die ganze Künstlerrolle, der Künstler als Erlöser der Gesellschaft, als Messias. Das sind alles moderne Themen, von denen sich die Popkunst völlig verabschiedet hat. In dem Sinn ist er ein Anachronismus, der Beuys. Es war aber wahrscheinlich nötig, denn Deutschland mußte künstlerisch nachsitzen.

Einen Popkünstler wie Warhol gibt’s in Deutschland gar nicht?

Es gibt natürlich den German Pop, Richter und Polke, die finde ich auch gut. Die haben natürlich einen ganz spezifischen deutschen Pop, und typischerweise sind es DDRler. Es ist überhaupt mal wichtig, das zu unterstreichen. Der größte Beitrag der deutschen Nachkriegskunst kommt von DDRlern: Baselitz, Polke, Richter. Gerade, weil die diesen fremden Blick darauf haben, auf diese Konsumkultur, die von Amerika kam.

Wie sehen Ihre Visionen für die mediale und künstlerische Zukunft aus?

Ich denke, es wird noch ein paar Neuerungen geben, und dann werden wir uns daran gewöhnen, wie wir uns an das Telefon, an die Eisenbahn gewöhnt haben. Ich denke, das wird auch ein bißchen zu nervös diskutiert. Natürlich leben wir in einem Innovationsschub. Wobei ich denke, daß meine Großmutter, die 1883 geboren wurde viel mehr erlebt hat, die zwei Weltkriege, das Auto, das Flugzeug und am Schluß noch Neil Amstrong auf dem Mond. Das wird sich bei uns ein bißchen abflachen. Es gibt natürlich noch Neuerungen. Wir müssen uns auch immer bewußt sein: Das sind die Instrumente, das sind nicht Mittel der Erlösung, und das ist immer die Tendenz, daß man technische Erneuerungen zu sehr befrachtet mit Erwartungen, daß die die Gesellschaft verbessern. Wenn jemand, dann sind wir das und nicht die Geräte. Es kommt nicht dann automatisch, weil es diese Geräte gibt und diese Mißverständnisse, die sind natürlich auch immer fatal. Da komme ich wieder zurück zum Thema, wir bleiben eigentlich die Alten, also wir bleiben diese analogen Körperwesen, und wir müssen diese Sachen für uns zu geeigneten Instrumenten machen. Wir werden nie so schnell sein wie diese Kommunikationstechniken.

Wir müssen wieder politischer werden, wir können das nicht sich selbst erledigen lassen. Das ist heute die Tendenz: Man läßt die technische Entwicklung voran gehen, und dann schauen wir mal was passiert, aber wenn man es so beibehält, dann wird es sicher schiefgehen. Ich glaube, wir brauchen wieder ethische Maßstäbe, die wir im Umgang mit diesen Geräten vorschreiben.

Man sagt einerseits Massenmedien und anderseits neue Medien ist da ein Unterschied oder ist das ein neuer Begriff?

Ich glaube Massenmedien ist ein veralteter Begriff, denn man früher brauchte, vor allem für das Fernsehen, aber ich glaube schon damals war der Begriff nicht zutreffend. Ich glaube Massen, das ist noch ein Begriff aus der Moderne. Die Aufmarschachse, das sind so die Fließbänder von Fords Autofabriken, das ist „Modern Times“ von Charlie Chaplin. Diese Organisierung der Massen durch industrielle Arbeit oder durch politische Großereignisse, durch Hitlers Propagandamaschinerie, da werden Menschenmassen entweder in die Produktion geschickt oder in den Krieg. Natürlich wird das massenhafte breiter, aber es ist ja nicht mehr die Erfahrung der Masse. Jeder hockt in seinen eigenen vier Wänden und guckt sich das an. Das vielleicht letzte Massenmedium war der Film, weil man sich da in den großen Kinoräumen versammelt hat. Es ist auch kein Zufall, daß diese riesigen Lichtspieltheater, nach dem zweiten Weltkrieg alle geschlossen wurden, weil man wollte keine Masse mehr sein. In dem Sinn war der Film das letzte Massenmedium, das trifft eigentlich ab dem Fernseher nicht mehr zu.

Sie haben in Ihrem Buch „Die Welt als T-Shirt“ geschrieben, daß die Fotografie mit 1789 zu spät kam. Wieso setzen Sie gerade dieses Datum?

Ich habe in dem Buch einen Begriff der Geschichtsphilosophie von Hegel erwähnt, die Menschheit bedurfte des Schießpulvers und somit war es da. Die Fortschrittsphilosphie, die davon ausgeht, daß jede technische Entwicklung parallel läuft mit der politischen und gesellschaftlichen. Es gibt solche Dinge, wo eine technische Entwicklung und quasi ein politisch- gesellschaftliches Bedürfnis gleichzeitig einschlagen. Das war zum Beispiel so bei Buchdruck und Reformation. Aber bei der Fotografie war das nicht der Fall. Wo war die Entdeckung der Massen bei der französischen Revolution „L’evée en masse“. Der Beginn totalitärer Politik, die mußte noch auf den Krücken veralteter Medien herum- hinken. Es wäre natürlich für Napoleon ideal gewesen, wenn er den Film gehabt hätte, und er hatte nicht viel anderes als Ludwig XIV., der hatte auch nur Stiche und den Buchdruck. Es gab keine entsprechende technische Beschleunigung zu den politisch- gesellschaftlichen Beschleunigungen. Ich meinte damit, das es nicht immer garantiert ist, daß der technische Fortschritt mit den gesellschaftlichen immer gleichzeitig läuft.

Ich danke Ihnen für das Gespräch.

 

Politik der Langsamkeit
Beat Wyss im Gespräch mit Anja Martick,
Weimar, 18. Juni 1998

http://www.uni-due.de/~bj0063/archiv/interview/i-wyss.html