Werde Teil des kritischen Kapitalismus:
Support your local artist, investiere in die Avantgarde & stütze damit den Diskurs!


Wechat mit Verena Issel

Verena Issel habe ich im Februar diesen Jahres in Nürnberg kennen gelernt. Während wir mit den Aufbauten und Vorbereitungen zu unserer Showkooperation mit dem Institut für Moderne Kunst beschäftigt waren, baute sie im gleichen Gebäude in den Räumlichkeiten der Oechsner Galerie ihre Show ‚WeChat‚ (läuft noch bis 14. April) auf. Wir kamen ins Gespräch, tranken das ein oder andere Bier zusammen und stellten dabei fest, dass wir mit ähnlichem Blick auf Welt und Kunst schauen.
Und weil WeChat auch mit dem zu tun hat was hier im Blog immer wieder Thema ist, haben wir uns dann später noch mal zusammen getextet und dieses Gespräch geführt.

fk: WeChat’ um was geht?

Verena Issel: Meine Ausstellung in der Oechsner Galerie in Nürnberg heißt so, sie läuft noch bis zum 19.04.

WeChat (chi­ne­sisch „klei­ne Nach­richt“) war ur­sprüng­lich ein chi­ne­si­scher Chat-Dienst für Smart­pho­nes, der in­zwi­schen um vie­le Funk­tio­nen er­wei­tert wur­de. Nut­zer kön­nen ne­ben dem rei­nen In­stant Mes­sa­ging mit der App Au­dio­nach­rich­ten ver­sen­den, Vi­deo­te­le­fo­na­te durch­füh­ren, Fo­tos, Vi­de­os oder ih­ren Auf­ent­halts­ort tei­len, Ta­xis, Le­bens­mit­tel oder Es­sen be­stel­len, Re­stau­rant- und Strom­rech­nun­gen be­zah­len, Sti­cker kau­fen, Jobs oder Leu­te in der Nä­he su­chen, Arzt­ter­mi­ne bu­chen, Vi­sa für die USA be­an­tra­gen, Spie­le spie­len und ei­ge­ne Mo­bi­le-Stores be­trei­ben.

Die App hat ei­nen ei­ge­nen App-Store so­wie ei­nen Nach­rich­ten­stream na­mens „Mo­ments“. Fast nie­mand mehr in Chi­na be­zahlt mit Bar­geld, al­le nut­zen das Mo­bi­le-Pay­ment-Sys­tem WeChat Pay.
Seit Sep­tem­ber 2017 ist die Wei­ter­ga­be na­he­zu al­ler In­for­ma­tio­nen an die chi­ne­si­schen Be­hör­den Teil der of­fi­zi­el­len Da­ten­schutz­er­klä­rung von WeChat. Da WeChat ein um­fas­sen­des Sys­tem ist, weiß der Staat fast al­les über sei­ne Bür­ger: wie sie le­ben, mit wem sie spre­chen, was sie es­sen, was sie kau­fen, was sie den­ken…

Die chi­ne­si­sche ID-Kar­te wird künf­tig mit dem WeChat-Kon­to ver­knüpft wer­den. Ab 2020 sol­len die chi­ne­si­schen Bür­ger mit Hil­fe von WeChat gänz­lich über­wacht wer­den und so­ge­nann­te So­ci­al Credit Points er­hal­ten. Al­le Bür­ger star­ten mit ei­nem gu­ten So­zi­al­punk­te­stand, bei ei­nem „schlech­ten“ Kauf­ver­hal­ten, Ver­kehrs­re­gel-Über­tre­tun­gen, an­stö­ßi­gen Bil­dern, sys­tem­kri­ti­schen Äu­ße­run­gen etc. gibt es je­weils Punk­te­ab­zug. Es ist noch in der Dis­kus­si­on, ob ein ge­rin­ger Punk­te­stand zum Bei­spiel zum Aus­schluss von der So­zi­al­ver­si­che­rung führt und ob wo­mög­lich Kin­der von El­tern mit ge­rin­gen Punk­te­stand noch auf die staat­li­che Schu­le zu­ge­las­sen wer­den. Als ers­ter Schritt zu dem So­ci­al Credit Sys­tem wur­de nun im Fe­bru­ar 2018 die Nut­zung von VPNs – Pro­gram­men, mit de­ren Hil­fe man sich der Über­wa­chung durch das In­ter­net ent­zie­hen kann – mit Ge­fäng­nis­stra­fen be­legt.

In meiner für die Oechs­ner Ga­le­rie ent­wi­ckel­ten Raum­in­stal­la­ti­on baue ich ein in sich ge­schlos­se­nes Sys­tem, in dem ein­zeln ste­hen­de Bil­der mit­ein­an­der ver­bun­den sind durch Wand­ma­le­rei, Plas­ti­k­roh­re und Chat­sym­bo­le.
Die um­fas­sen­de Kon­trol­le durch das Pro­gramm WeChat wird in sei­ner po­si­ti­ven Freund­lich­keit ka­ri­kiert, der schein­bar nai­ve Zu­griff auf und durch die App wird durch die Ver­grö­ße­run­gen an­de­rer sys­te­mi­scher Tei­le des über­wa­chen­den Un­trneh­mens zu­rück­ge­holt in die ding­li­che Welt: die auf den Ma­le­rei­en ab­ge­bil­de­ten „Tu­bes“ (engl.: Roh­re) sind der U-Bahn (auf engl. auch: „Tu­be“) Shang­hais ent­nom­me­ne röh­ren­för­mi­ge Hal­te­grif­fe (**Man ver­bringt durch­schnitt­lich zwei Stun­den pro Tag in der U-Bahn in Shang­hai – und man wird da­bei selbst­ver­ständ­lich ge­filmt). Die­se ver­wei­sen auf das Da­ten­netz und per­si­flie­ren es gleich­zei­tig.

 

fk: china arbeitet gerade an einem social-scoring-system, also favs und likes für alles und jeden eng mit wechat verzahnt. Ist das unsere Zukunft?

Verena Issel: Ich fürchte leider ja — auch hier wird man ja schon ständig dazu erzogen, alles und jedes irgendwie mit Sternchen, Herzchen oder Totenköpfen zu bewerten. Bei Facebook fing es an, das geht nun schon dazu über, dass man in manchen Service-Bereichen die Mitarbeiter persönlich bewerten soll. Da ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zum Sozialkreditpunkt.

fk: Mal angenommen, es wäre die Zukunft: wäre das (natürlich tendentiell) eher sehr geil oder eher sehr scheisse?

Verena Issel: Ich gehe stark davon aus, dass so etwas auch unsere Zukunft sein wird, die wirtschaftliche Macht Chinas wächst und damit sicherlich auch der Einfluss auf die Politik und die gesellschaftlichen Systeme, im Pazifik ist es schon so; und ganz abgesehen davon sind auch unsere angeblich demokratischen, sicheren westlichen Staaten sehr daran interessiert, dass die Bürger sich freiwillig selbst kontrollieren und kontrollieren lassen.
Und hey: Das ist so GEIEL, dass man es kaum glauben kann! (Hallo Angie! Smile! Daumen hoch)

fk: Apropos geil, Kurt prödel fragt im videoclip welcome to paradise ‘wie geil kann alles sein, aber vor allem wie geil kann es noch werden?’ was meinst du?

In dem Video gibt es eine Stelle, da sieht man so ein paar aufrechte Stehlen. Das erinnert mich total an das Lightning Field. Und das ist doch in mehrerlei Hinsicht eine schöne Metapher dafür…

fk: Nun eine optionale Frage: Warum sieht deine kunst so aus wie sie aussieht?

Meine Kunst sieht Scheiße aus, schlechte Qualität und schlecht gemacht. Und das soll auch so sein, gute Produkte machen Firmen wie Gucci oder meinetwegen auch Tchibo (einer meiner Favoriten übrigens).
Ich sehe diese ortsspezifischen schäbigen Rauminstallationen durchaus als Kommentar zu unserer kapitalistischen Welt.

 

fk: Auf fb sah ich bisschen was aktuelles von dir in der volksbühne, es sah nach ruinen aus. warum holt uns das theme ruine gerade so ab?

Verena Issel: Naja bei der Volksbühne war es auch durchaus ein kleiner Seitenhieb auf die Situation da. Aber ansonsten muss man sich ja nur mal kurz umgucken in der Welt…

Die Ruine als Pilgerstätte ist ja nicht nur Symbol für Zerstörung, sondern ihre Betrachtung ist immer auch irgendwie die Sehnsucht nach einer alten, schönen Zeit, die unwiederbringlich vorbei ist.
Ich sehe die Parallele zum Niedergang des römischen Reichs hier auch ganz krass, deswegen habe ich mich für römische Ruinen entschieden… und vorher geht’s ab, hinten brennt die Hütte und davor spielt Nero oder so.

fk: Stichwort Volksbühne, laut Internet und allem was man so liest ist der neue Intendant Chris Dercon eine waschechte neoliberale Drecksau. Hat das internet recht?

Verena Issel: Das kann ich so nicht kompetenter beantworten als andere, denn ich weiß auch nicht mehr als das Internet, ich habe ihm nur einmal kurz die Hand gegeben. Elodie Evers hat das Projekt initiiert und betreut und sie ist ein Schätzchen. Vermutlich bin ich aber selber partiell auch eine neoliberale Drecksau und du auch. Das ist das krass deprimierende an der Geschichte, die Feindbilder verschwimmen. Irgendwie hoffe ich noch so hippiemäßig dass Liebe uns alle heilen wird. Oder Drinks. Also naja, vermutlich halt nicht.

fk: Kunst 2018 bekanntlich maximales egoabfeiern und totale ausbeutung. mal so generell gedacht, kann man das eigentlich mit gutem Gewissen überhaupt noch (mit)machen?

Veren Issel: Ich finde man muss Kunst machen und Kunstmarkt total trennen in der ersten Instanz.
Die Kunst muss absolut frei sein.
dann muss man vielleicht nur mit Pech wie ich nebenbei tote Sprachen unterrichten.
Guten Gewissens mitmachen kann man bei irgend einem Markt nicht leicht.
Jetzt habe ich mal kurz ein Bild verkauft und dann wurde es weiterverkauft und schwuppi, hängt es in der Filiale einer als böse indizierten Bank. Tja und nun? Fuck!

Gehe ich aber auch trotzdem noch wieder unterrichten oder ich arbeite als Tresenschl…auch oder Putzkraft in der Fischfabrik. Alles kein Witz.

Das gibt mir die Freiheit absolut unabhängig Kunst zu machen, und zwar radikal das, worauf ich Lust hab. Aber als Belohnung beute ich mich selber aus, arbeite um arbeiten zu können.
Das ist schon megahart. Und das wollte ich jetzt gerne mal öffentlich sagen, es ist ja heute eher der gute Ton, sein Prekariat zu verheimlichen oder das geerbte Geld als durch Kunstverkäufe oder Mäzene verdientermaßen und selbst erworbenes darzustellen. Beides zum Kotzen.
Noch mal kurz zum Thema neoliberale Schweine, siehe oben. Da spielen nämlich alle Künstler gerne mit.
Grunz.

fk: Zum abschluss Metamoderne. (wieder tendentiell eher) Brauchbarer Begriff oder theoretisch verkopfter Dünnschiss?

Verena Issel: Also ich als Altphilologin habe da Sachen dran auszusetzen. Wir könnten bei der Synonymik von Meta anfangen. Aber ich bin das schon gewohnt, keiner liest meine Aufsätze. Insofern fange ich hier nicht an deinen Blogg zuzumüllen und möchte dich ermuntern, unbedingt weiter zu machen, die Welt braucht Crazy Shit !!!!
Alle anderen mit zu viel Zeit dürfen meine Aufsätze bei Teubner lesen.

fk: Liebe Verena vielen Dank für das Gespräch und galiegrue