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NFTs – Technologiebasierte Einzigartigkeiten als Antikunst

Mit dem Phänomen der Nonfungible Tokens, kurz NFTs, entsteht neben dem etablierten Sozialsystem Kunst eine neue, technologische Infrastruktur, welche in der Lage ist zentrale Aufgaben des Kunstsystems anonym und effizient zu organisieren: Zum einen die fälschungssichere Beglaubigung von Original, Einzigartigkeit und den Besitzverhältnissen von Kunst und zum anderen darüber hinaus die Generierung der Aura des original Kunstwerks im digitalen Raum des Internets.

Kennen sie diesen Mann hier? Vor etwas mehr als 20 Jahren wurde er von der Mehrheit der damals etablierten Händler für seine merkwürdige Idee belächelt Bücher über das Internet verkaufen zu wollen. Nun 2021 da der Einzelhandel darbt und die Innenstädte veröden, ist den allermeisten seiner damaligen Spötter das Lächeln vergangen, während sein Unternehmen vor Kraft kaum laufen kann weil die Gewinne nur so sprudeln. Der Rest ist Geschichte, die sich zwar nicht eins zu eins wiederholt, aus der man aber dennoch lernen kann, wenn man denn möchte. Und ich bin der Meinung die aktuellen NFT-Spötter unter den Künstlern und in den Institutionen des Kunstsystems, die mit dem Festhalten an Aura, Original und Unikat lange Zeit erfolgreich ihre Bastionen gegenüber den Disruptitionskräften der kapitalistischen Digitalisierung verteidigen konnten, sollten dies tun. Zumindest aber, so glaube ich, sollte man sich dort einmal mit der Frage beschäftigen, ob man sich in ein paar Jahren nicht vielleicht doch auch in einer ähnlichen Situation befinden könnten, wie es etwa der lokale Einzelhandel in Bezug auf dem Ecommerce heute ist.

Mit dem Erscheinen von NFTs auf der digitalen Bühne ist neben den etablierten Händlern, Messen und Museen nun ein ganz neuer Player erschienen, der nicht nur den Kunsthandel revolutionieren, sondern auch die etablierten Mechanismen der Kunstwerdung und Setzung nachhaltig umgestalten könnte. Denn NFTs sind mehr als Bezahl- und Verwaltungssystem, die Idee dahinter verfügt über eine im Kapitalismus herausragende Macht, die offiziell den Künstlern, in Realität aber dem komplexen sozialen System der Kunst vorbehalten war: NFTs sind in der Lage im Zusammenspiel aus Kryptogeld, Blockchain und Publikumsnachfrage einzigartige Entitäten, sprich Originale, zu beglaubigen. Das auch noch ausgerechnet dort, wo bis vor Kurzem nur die unendliche verlustfreie Reproduzierbarkeit vorherrschte, im Netz. NFTs erschaffen blockchainbasierte Einzigartigkeiten und definieren neu was echt und was falsch ist, vor allem aber wem das gehört.

Damit ist relativ unbemerkt neben dem sozialen Kunstsystem ein weiteres technosoziales System entstanden welches in der Lage ist distinkte, unveränderliche und darüber hinaus fälschungssichere Zustände aus der Masse der gleichen Dinge heraus zu erschaffen. Und während es zu Beginn der industriellen Revolution noch die Künstler waren die sich dieses Privileg durch geschickte Schachzüge sicherten, definiert dies nun der Mark in seiner reinsten Form, in dem dieser sich in Form von fälschungssicheren Unikate im wahrsten Sinne des Wortes in die Blockchain einschreibt.


https://the-alpha-and-the-omega.com, Florian Kuhlmann, 2016

Die Frage die sich nun stellt, ist wie sich das neue System in das Bestehende einfügt, ob es sich überhaupt einfügt, ob es eine Koexistenz geben kann oder ob es nicht doch, wie aktuell im Einzelhandel zu beobachten, zu einer brutalen Verdrängung kommen wird.
All denen die nun müde lächelnd meinen das könne ganz sicher niemals passieren, weil Kunst ja etwas ganz eigenes mit besonderen und sehr speziellen Regeln sei, dem möchte ich noch einmal kurz diesen Herrn in Erinnerung rufen, hier auf diesem Bild zu sehen vor seiner Zeitung, der altehrwürdigen Washington Post die er aus der Amazon Portokasse zum Gegenwert von schlappen 3,67 ‚BEEPLE – THE FIRST 5000 DAYS‘ erworben hatte.

Und auch wenn der aktuelle NFT-Hype den Weg aller Hypes und damit sicherlich noch Mal zurückgehen wird, so wird das Thema dann im zweiten Schub mit voller Kraft zurück kehren. Ich wage die These, dass es auch hier mit der Digitalisierung genauso laufen wird, wie es mit allen Digitalisierungsschüben der letzten 30 Jahre lief: das Bestehende wird zumindest teifgreifend transformiert, nicht selten aber auch verdrängt.
Spätestens seit diesem Jahr 2021 hat die Sache massive an Fahrt aufgenommen und wird wohl – so ist zumindest meine und die allgemeine Einschätzung in meiner Bubble – bleiben. Die Blockchain Technologie und damit die darauf basierenden NFTs haben sich aus einem Nischendasein in das breite Bewusstsein hinein entwickelt, vorangetrieben natürlich durch die extreme Wertsteigerungen des Bitcoin, befeuert durch darauf basierende unglaubliche Spekulationsgewinne mit Cryptowährungen, sowie einem gleichzeitig erodierenden Vertrauen in die Verlässlichkeit und Handlungsfähigkeit von Staaten, Zentralbanken und den zugehörigen Institutionen. Und dieser Vertrauensverlust in Politik und Institutionen, kombiniert mit der steten Lust an der schöpferischen Zerstörung und darauf basierender Gewinne wird die Suche nach Alternativen auch in den kommenden Jahren weiter vorantreiben.
Gleichzeitig wird die Blockchain Technologie in Verbindung mit Internetprojekten wie Elon Musks Starlink vor allem in Dritte Welt Staaten und Schwellenländern ihre Kraft entfalten, in dem dort auf einmal die Möglichkeit entsteht Eigentumsverhältnisse zu organisieren wo dies vorher nicht möglich gewesen ist.
So haben nach Angaben der Weltbank mindestens 50 Prozent der lateinamerikanischen Bevölkerung kein Bankkonto und damit keine Möglichkeit, ihr Geld zu schützen. Gleichzeitig verfügen nur etwa über 113 Millionen Menschen über eine Bankkarte. Im Vergleich zum Internet, mit dem 387,2 Millionen Menschen täglich verbunden sind. In solchen Konstellationen macht Blockchain und Fintec nämlich durchaus Sinne und erfährt damit natürlich auch die notwendige Akzeptanz.
Während der Kapitalismus in den Hochtechnologienationen in den kommenden Jahren wohl eher einer kollektivistischen Transformation unterliegt, werden die Regionen der Schwellenländer weiter ihr Glück in Wirtschaftswachstum und einer prosperierenden Ökonomie suchen. Nicht auszuschließen ist dabei, das Projekte wie Dekolonialisierung von Kunst im Zusammenhang mit der Blockchain die nächste Generation von NFT-Künstler in Äthiopien, Bangladesch oder im Amazonas Urwald heranreifen lässt, während die klassische westliche Kunst mit dem verschwindenden Einfluss des Bürgertums in Europa und USA eher ein Nischendasein fristen wird bzw sich immer stärker mit dem Feld des politischen Aktivismus vermengt und eventuell darin auflöst, so wie Wolfgang Ullrich das bereits in seinem Essay zu einem möglichen Schisma der Kunst treffend beschrieben hatte.

Mit der Entwicklung der NFTs etablieren sich nun Strukturen, die Abseits und unabhängig vom Kunstsystem mit seinen komplexen sozialen und politischen Regeln in der Lage sind, Unikate zu beglaubigen und damit zu erzeugen. Natürlich ist die damit verbundene Vorstellung einer angeblichen Demokratisierung von Kunst propagandistischer Unsinn, wird damit nicht jeder zum Künstler und nicht alles zur Kunst (das hatten wir ja schon). Aber jeder Internet User mit ausreichend sozialem Kapital, Followerpower und Reichweite, wird nun zum potentiellen Erzeuger von digitalen Originalen und zwar ganz ohne sich dem elitären Dünkel, den komplizierten Netzwerken der Kunstwelt andienen zu müssen – (hello again Autonomieversprechen). Museumsdirektoren, Kuratoren, Galeristen und andere Gatekeeper des Kunstbetriebs haben aktuell keinen oder wenn dann nur wenig EInfluss auf die Wertschöpfungs- und Werdungsprozesse der NFT-Welt, es wird sich zeigen wem es gelingt hier einen Fuß in die Tür zu bekommen, so wie es etwa der Galerist Johann König zusammen mit der Kuratorin und Kritikerin Anika Meier aktuell versucht hat.

Es bleibt abzuwarten wie sich all das weiter entwickelt und wer in diesem Spiel in Zukunft die Regeln gestalten kann, und natürlich werden sich auch hier neue Machtstrukturen herausbilden die definieren wollen was gut und was schlecht ist. Die entscheidende Frage für die Protagonisten des etablierten Kuntssystems ist aber ob es zu einer Synthese aus dem Etablierten und dem neuen digitalen Sytem kommen wird, oder ob es auf einen Wett- und Verdrängungswettbewerb hinaus läuft.
Denn es ist nicht auszuschliessen, dass sich der ästhetische Wert der NFT-gehandelten Werke auch aus der Ablehnung von Seiten des etablierten Kunstsystems speist, dass Kyptowerke also gerade deshalb so erfolgreich sind, weil sie nicht Kunst sein wollen. Neu wäre es nicht, die Kunstgeschichte ist voll von diesen Brüchen zwischen Kunst und Antikunst.

Dem Wesen der Kunst selber ist all das natürlich erstmal gleich, es wird in irgendeiner ästhetischen Form überdauern, sich anpassen und sich auch in Zukunft immer wieder dahingehend neu erfinden, in dem Kunst eben die Formen annimmt die den Umständen und Anforderungen der Zeitgenossen entsprechen. Dem aktuellen Kunstsystem, den Institutionen und den darin agierenden Protagonisten die zur Subsistenzsicherung auch in Zukunft auf die bestehenden etablierten Machtstrukturen angewiesen sind, kann all das aber vielleicht doch nicht ganz so gleichgültig sein, sie müssen sich wahrscheinlich in irgendeiner Form mit diesem Wandel auseindersetzen wenn sie überleben wollen.

Vielleicht werden sich Sehgewohnheiten in ganz banaler Weise ändern und nur das noch ästhetisch, visuell reizvoll erscheinen was vom Licht der Displays erleuchtet wird, oder vielleicht wird bald nur das noch einen Wert haben was inhaltlich die Narrative und Kontexte der Netz, Krypto und Gamingkultur reflektiert, weil eben das die Kontexte sind in denen sich unser hybrider Alltag nun abspielt.

ART LOOK MUCH BETTER ON, Florian Kuhlmann im Museum der bildenden Künste, Leipzig, „Link In Bio“, 20219


Sollte eine Koexistenz der beiden Systeme nicht funktionieren, scheint das technologiebasierte NFT-System aktuell im Vorteil, benötigt es doch nicht die komplexen sozialen Interaktionen der Kunstwerdung um Originale zu erzeugen, sondern schafft diese eben direkt global zugänglich im Netz, dort wo der Markt sie von überall aus annehmen kann.

Abschließen bleibt anzumerken, dass Kunst und Kunstmarkt natürlich nicht immer gleich zu setzen sind, dass es durchaus interessante, wichtige künstlerische Werke, Ästhetiken, Programme und Prozesse gibt, die nicht vom Markt erschlossen sind, sich ich auch nicht erschließen lassen, und dass wie hier eben nicht über das bereits so oft angekündigte Ende der Kunst sprechen. Auch über die ästhetische Bewertung inklusive der zugehörigen Narrative und Kontexte der NFT-gehandelten Werke, inklusive der Frage ob diese Kunst sind – Spoiler: ja sie sind es weil sie als solche von Menschen anerkannt werden – ist natürlich separat zu diskutieren.
Wenn es aber darum geht zu definieren welche zeitgenössische Kunst die wertvolle und damit eben doch in den allermeisten Fällen die gemeinhin relevante ist, kommen wir um den Markt mit seinen besonderen Regeln nicht umhin. Und diese Regeln basieren maßgeblich auf dem Faktor der Einzigartigkeit und der Idees der Aura des Originals, die nirgends so ausgeprägt war wie in der Kunst, was wiederum kontrollierte Knappheit garantierte, den etablierten Gatekeepern die Macht sicherte und zu exorbitanten Preisen führte. Dieses Privileg der Verknappung von Unikaten, garantiert durch das einzigartige Wesen des sozialen Systems der Kunst steht nun aber zumindest zur Disposition.

fk im juni 2021