VEIT LOERS ZU KUNSTVEREIN KIPPENBERGER FRIDERICIANUM, KASSEL, 1993

Ich habe den Kippenberger quasi zwangsmäßig kennengelernt, denn er wollte mich kennenlernen. Ich hatte immer Angst vor dem. Und zwar Angst in dem Sinne, nicht, dass er was von mir will, sondern, dass er irgendetwas Gemeines macht. Das war aber völlig unbegründet. Zuerst, war wohl während der documenta von Jan Hoet, kam er mit dieser Idee, eine Ausstellung seiner Sammlung im Fridericianum zu machen, nur das untere Stockwerk – nachdem die documenta zu Ende sei , aber alles mit den Wänden der documenta“. Ich dachte mir schon, dass er ein Fake dessen erstellen wollte, das hätte richtig Ärger gegeben, fand aber die Idee toll. Jedoch wäre der Abbau der Wände danach wahnsinnig teuer geworden und von meinem Budget zu tragen. Also konnte man es nicht machen. Da war aber schon mal der Kontakt da und seine Arbeiten gefielen mir besser als zuvor.
Kurze Zeit darauf haben Sie mir dann einen Teil weggenommen vom Fridericianum und haben ihn dem Kunstverein gegeben – unten links. Damit war die ganze Symmetrie gestört. Ich hatte mich tierisch aufgeregt. Ich war absolut dagegen. Und in der Zeit habe ich den Kippenberger dann besser kennengelernt, da er ja auch noch einen Lehrauftrag in Kassel hatte. Ich habe mich dann entschlossen, den Flügel, der nicht in der Symmetrie war, lahmzulegen – als „Museum auf Zeit“ um Geld zu sparen. Meine Idee war, dass Franz West einen Raum bekommt, Kippenberger einen Raum bekommt, Förg einen Raum bekommt, weiter Cady Noland und der Meuser.

Und dann habe ich deswegen mit dem Kippenberger geredet und der Martin hat gesagt: „Naja, ich will aber keine Werke ausstellen. Das finde ich nicht gut. Das ist blöd. Aber ich könnte mir vorstellen, dort meine Sammlung zu zeigen und vielleicht ein paar Freunde. Darauf habe ich geantwortet: „Gut Martin, die Idee ist, dass alles frei bleibt. Jeder kann mit Verantwortung machen was er will. Und wenn das Dein Wunsch ist, dann machst Du da drin eben Ausstellungen. Aber ich habe kein Budget dafür.“
Ich sehe uns noch da stehen und da habe ich gesagt: „Es ist ja eh schon Wurst, wenn Du da
Ausstellungen machst. Da drüben auf der anderen Seite ist jetzt der Kunstverein gelandet. Dann bist Du jetzt halt der Kippenberger Kunstverein!“ „Richtig!“, meinte Kippenberger. So kam es also zu den Worten. Den Inhalt und die Idee, wo er überhaupt etwas ausstellen soll, hat dann alles er gemacht. Die erste Ausstellung waren Albert Oehlen Zeichnungen, dann Cosima von Bonin, und auch seine Assistenten wie Johannes Wohnseifer und andere. Die beste Ausstellung aus seiner Sammlung, die hat mich wirklich umgehauen. Da hat er alles auf einer Achse gehängt, nach oben, nach unten, auf so einer erhöhten Achse. Und die hieß irgendetwas mit „Erotik“. Aber das war überhaupt nicht erotisch. Höchstens über drei Ecken. Das war wirklich zum Kaputtlachen. Und dann ist er immer gekommen und meinte: „Wir haben heute Ausstellungseröffnung! Wirst uns ja wohl ein paar Einladungskarten bezahlen können!“ So ging es dann schon. Aber ich muss sagen, er war jetzt nicht unangenehm. Er hat dann auch ein Plakat gemacht, auf dem „Fridericianum“ falsch geschrieben war. Aber im Nachhinein glaube ich, das hat er so gewollt. Das wusste man ja nie so genau bei ihm… .
Und dann ist uns irgendwann das Geld ausgegangen. Ich hatte wirklich gar nichts mehr. Und dann hat der Martin gesagt: „Ach komm, ist ja nicht mehr so wichtig. Wir haben jetzt doch ein paar Jahre was gezeigt. Dann lassen wir es einfach einschlafen.“ Er war also nicht böse. 

Aber wie gesagt, die Erotik-Ausstellung war der Hammer. Und die Leute haben meistens gar nicht verstanden, was da eigentlich passiert, aber es kam immer seine Truppe, die Studenten aus Frankfurt und natürlich die Assistenten.

Der Live Bericht wurde 2015 in Köln aufgezeichnet.
Zur Person: Dr. Veit Loers (*1942 in Schaidt) ist ein deutscher Kunsthistoriker und Kurator. Von 1987 bis 1995 war er als Direktor der Kunsthalle Fridericianum in Kassel tätig.Anschließend leitete er u.a. das Museum Abteiberg in Mönchengladbach und betreute als Bundeskurator die Sammlung für zeitgenössische Kunst der Bundesrepublik Deutschland.

Veröffentlichung mit bestem Dank an Ben Kaufmann vom Neuen Aachener Kunstverein.

Modell Kunstverein – im Gespräch mit Ben Kaufmann vom Neuen Aachener Kunstverein

Vor knapp 5 Jahren haben die großen Kunstvereine des Rheinlands unter dem Titel „DIE LETZTEN IHRER ART – Eine Reise zu den Dinosauriern des Kunstbetriebs“ die Bedeutung und mögliche Rolle der Kunstvereine im aktuellen Kunstsystem hinterfragt und öffentlich thematisiert.
Ben Kaufmann, Direktor des Neuen Aachener Kunstverein, knüpft zwar thematisch mit dem aktuellen Programm ‚Modell Kunstverein‘ ( 18.01. – 08.03.2015 im NAK) an diese Reihe an, führt den Diskurs aber an anderer Stelle fort in dem er etwa die Institutionskritik in den Fordergrund stellt. Historisch geht Kaufmann noch ein paar Jahrzehnte zurück und greift die Show „Eine Gesellschaft des Geschmacks“ im Jahr 1993 im Münchner Kunstverein auf.

Dieses Setting bildet den perfekten Anlass sich auch hier einmal kurz mit Ben Kaufmann zum Status Quo Kunstverein zu unterhalten, um dann darüber hinaus auf die den Vortrag “Ich wollt nur sagen, so ganz harmlos sollten wir das nicht sehen.” von Michael Franz und die daran anschliessende Diskussionsrunde am kommenden Samstag den 28.02.2015 im NAK hinzuweisen.

Um 18 Uhr spricht Michael Franz zur Ausstellung “Eine Gesellschaft des Geschmacks” von Andrea Fraser, die 1993 am Kunstverein München stattfand. Und ab 19 Uhr werden Sandra Dichtl (Künstlerische Leiterin Dortmunder Kunstverein), Hans-Jürgen Hafner (Direktor Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf), Lars Heller (Agentur Heller & C), Dr. Renate Puvogel (Kritikerin) und Dr. Holger Kube Ventura (Direktor Frankfurter Kunstverein, 2009-2014) unter der Moderation von Dr. Astrid Mania über das Modell Kunstverein diskutieren.

Das Unterview haben Ben Kaufmann und ich per E-Mail geführt. Die Fotos zeigen die aktuell laufende Ausstellung im Kunstverein, auf die ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen will, und statt dessen wieder einmal gerne auf Magdalena Kröners Besprechung im Artblogcologne hinweise. Klicken lohnt sich!

Wir werden das Thema auch die nächsten Tage hier noch mit 2 weiteren Beiträgen verfolgen. Es folgt dann eine Transkription der Soundfiles von Veit Loers zu KUNSTVEREIN KIPPENBERGER und FRIDERICIANUM, KASSEL, 1993 sowie ein historisches Video zur 93’er Ausstellung in München.

Ihr bleibt bitte dran, das Thema ist und bleibt ja relevant.

NAK_Entropie_MichaelFranz_NadimVardag_72 Continue reading „Modell Kunstverein – im Gespräch mit Ben Kaufmann vom Neuen Aachener Kunstverein“