Heiligenhäuschen: Becker-Schmitz und Frank Thon

Der Fotograf Frank Thon hat in den vergangenen Monaten mehr als 120 Heiligenhäuschen in den Kreisen Kleve und Wesel aufgesucht. Becker Schmitz hat einzelne Orte medial bespielt. Das Ergebnis dieser Ausflüge ist auf der Webseite das-heiligenhaus.de zu sehen und war die Basis für unser Gespräch über die Verbindung von alten und neuen sowie digitalen und analogen Glaubenssystemen.

fk: Wie findet ihr die Heiligenhäuschen?

ftbs: Zu Beginn war das eher eine Art bewußt machen und verinnerlichen. Dass sie so weit verbreitet sind wurde erst mit der Zeit klar. In erster Linie hat es dazu geführt, erst einmal die Heiligenhäuschen zu rekapitulieren, die Frank kannte. Er hat diese Recherchearbeit sowie die Suche der Orte auf eigene Faust durchgeführt. Durch das Aufsuchen und Dokumentieren der Orte entstanden immer wieder Begegnungen mit Menschen, die auf weitere Standorte verwiesen haben. Zusätzlich gibt es seit Februar die Möglichkeit via Mail Kontakt auf zu nehmen. So wurden uns zahlreiche neue Standorte übermittelt. Überhaupt ist die Resonanz und Wertschätzung, die dieser Arbeit entgegengebracht wird, enorm. Am meisten überrascht und gefreut hat uns ein unaufgeforderter Dankesbrief, des Weihbischofs Lohmann aus Xanten.

fk: Welche Projekte sind aktuell geplant? Gibt es Kooperationen?

ftbs: Seit März arbeiten wir an einer musealen Ausstellungskonzeption. Wir wollen hier sowohl die kulturhistorischen Bezüge aufzeigen als auch unsere künstlerische Konzeption in ein Museum bringen. Es gibt erste Gespräche aber es ist noch zu früh, um einen konkreten Ort und eine Zeit zu benennen.

Auch eine Publikation ist in Arbeit. Im Kern soll es ein Bildband werden, der sich den Fotografien von Frank widmet und die Heiligenhäuser im Stil der neuen deutschen Sachlichkeit dokumentiert. Er soll aber auch einen Blick auf Erbauer und die Geschichten, die hinter den Heiligenhäuschen stehen, aufzeigen. Ein kunsttheoretischer Essay, soll das Phänomen Heiligenhaus diskutieren und neue Betrachtungsweisen befördern.

Hl. Brigitta von Schweden, Foto: Frank Thon
9 von 120 dokumentierten Heiligenhäuschen, Fotos: Frank Thon

fk: Kann man sich für eine Kooperation bewerben?

ftbs: Selbstverständlich! Wir haben erst kürzlich eine Installation in Kranenburg realisiert, die sich mit dem regionalen Bürgerverein ergeben hat. Wir stehen Kooperationen und Ausstellungsorten offen gegenüber und freuen uns auch über neue Impulse und Künstler, die mit uns in Resonanz gehen wollen.

Audioreactive Mapping on Random Woodbars And Matt Mottels is Playing them in Berlin
Audioreactive Mapping On Oilpainting

fk: Kunst, Digitalität und Religion sind drei große Glaubenssysteme. In den von euch bespielten Heiligenhäuschen kommen alle zusammen. Wie geht ihr mit den Ebenen um, welche Bedeutung haben sie für euch?

ftbs: Indem wir Dogmen ablegen und unsere Neugier, Toleranz und Offenheit für alle „Glaubenssysteme“ als Einstieg in ein Erfahren und Erleben für die Sache nutzen. Für Frank und mich ist es ein Prozess der Erweiterung, ohne die Einzelnen „Systeme“ als gut oder schlecht zu verstehen. Nicht nur im Neuen kann etwas Fremdes liegen, auch alte Brauchtümer wie Heiligenhäuschen können uns fremd und seltsam vorkommen. Es geht im wesentlichen darum, sich dem Fremden zu stellen und den Blick zu weiten. Das gilt natürlich auch für neue Technologien, die Becker für die Kunst erprobt und für die langen Wanderungen, die Frank unternimmt, um die Heiligenhäuschen aufzusuchen.

Mapping on Woodbars Kranenburg

fk: Unter anderem schreibt ihr, ihr wollt einen Dialog zwischen jung und alt, fremd und verwurzelt eröffnen. Warum ist euch das wichtig? Wieso seht ihr hier Bedarf?

ftbs: Das klingt erstmal so, als würden wir uns auf diese Punkte beschränken. Vielmehr ist es aber eine Haltung der Offenheit, die wir in dieser Arbeit praktisch erfahrbar machen. Frank als Fotograf und Becker als bildender Künstler gehen hier in eine Art Wechselwirkung miteinander und natürlich mit dem Motiv. Wir leben oft in einer begrenzten „Bubble“ , die uns als Referenz für Wirklichkeit und Wahrheit dient. Diesen Horizont zu erweitern und zu entgrenzen bedarf einer gewissen Motivation und Bereitschaft. So werden die religiösen Kleinstbauwerke zum Anlass für einen Prozess, den man als Dialog zwischen all diesen Komponenten verstehen kann.

An dieser Stelle müssen sich die Leser folgende Situation vorstellen. Schon allein während des Aufbaus kommt man relativ zwanglos mit fremden Menschen ins Gespräch. Plötzlich ergibt sich eine Situation, in der man beobachtet wird wie man einem Ort mit großer Wertschätzung begegnet, der für das Gegenüber eine besondere Bedeutung hat. Das ist dann eine Basis für Dialog, die wir befördern wollen und für die wir tatsächlich auch einen Bedarf sehen. Dem gegenüber stehen ideologischen Grabenkämpfe, die insbesondere auf Internetplattformen wie Facebook etc. stattfinden und überwunden werden müssen. Deshalb ist es wichtig statt hinter der Tastatur das trennende zu forcieren, vor der Haustüre das verbindende zu Suchen.

Random Rectangles Oberhausen

fk: In eurem Text auf der Website beschäftigt ihr euch mit den Widersprüchen unserer Gegenwart die sich unter anderem in lokal und global, digital und analog, Zukunft und Vergangenheit manifestieren. Wie nehmt ihr diese gesellschaftlichen Strömungen derzeit wahr?

ftbs: Es gibt nicht nur die Menschen, die eine posthumanistische KI-Welt postulieren und darauf hinarbeiten. Es gibt auch die, die diese neue Wirklichkeit erkennen und leben, aber auch in ihrem frisch restaurierten Oldtimer um die Ecke kommen und einen Schrank voller Schallplatten zu Hause haben. Die Welt ist und bleibt im Fluss und voller sinnlicher Eindrücke, die wir verarbeiten. Dies war nur ein Beispiel von vielen und die Geschichte zeigt uns in zahlreichen Facetten, dass es eine Form der ästhetische Renaissance gibt. Vielleicht entspringt das einer Romantik und einem Begehren, die scheinbar tief in uns verankert sind. Wobei es ein Blick in die Glaskugel ist, welche ästhetische Strömung sich als nächstes herausstellt. Das ist die Ästhetische Komponente.

Insbesondere für Frank ist auch die soziale Komponente dieser Arbeit wichtig. Hier zeigt sich ein ländlich traditionell geprägtes Motiv, dass sich dem Zeitgeist entzieht und somit zeitlos ist. Die Heiligenhäuschen sind auch Zeugnis für eine Verflachung von Hierarchie, weil die Gläubigen die Heiligenhäuschen aus einem inneren Antrieb heraus bauen. Dies geschieht ohne Weisung von oben. Dennoch finden die Heiligenhäuschen in der Liturgie statt wie zum Beispiel bei einer Prozession die durch die Kirche selbst durchgeführt wird.

Künstlerisch zeigt sich die Faszination für Traditionelles und Neues auch in den Arbeiten von Becker. Die Installationen werden real gebaut und als Scan in einen Datensatz transformiert, der dann als Grafik für eine Licht oder AR-Projektion auf der Installation selbst stattfindet. Jeder Arbeitsschritt ist von Bedeutung und wird zur Bedingung für das finale Werk. Ebenso gilt das für die Fotografie von Frank, der hier ein auf handwerkliches Know-how und eine künstlerische Tradition zurückgreift, wenn er Lichtmessung durchführt und den Bildraum festlegt, bevor er auf den Auslöser drückt.

fk: Was reizt euch an der Verbindung zwischen analoger und digitaler Ästhetik, lässt sich das überhaupt definieren?

ftbs: Bezogen auf die Heiligenhäuschen ist es sogar mehr als das. Hier erleben wir die Verbindung von zwei Menschen die völlig unterschiedliche Ansätze verfolgen und bereit sind, sich aufeinander ein zu lassen. Generell und bezogen auf die Arbeit von Becker lässt es sich wie folgt beschreiben: es gibt einen Rahmen für Präsentationsformen, die eine Rezeptionsästhetik vermitteln können und in diesem speziellen Fall an ein technisches Gerät wie unser Smartphonedisplay oder einem Projektor gebunden sind. Diese Rezeptionsästhetik wird dann ein wichtiger Parameter für die Verwendung und Konzeption in einem Kunstwerk. Aber das ist eine grundsätzliche Angelegenheit, über die wir uns als Kunstschaffende bewusst werden müssen. Jeder Display, ob Leinwand, Plasma oder die Oberfläche einer Skulptur ist immer ein immanenter Bestandteil des Kunstwerks selbst, dass mit uns kommuniziert. Es ist also eine Sichtweise auf die Rezeptionsästhetik und die Bewusstmachung von Materialität, die alles zum Kunstwerk machen kann. Analog wie digital.

RGB-Mapping on Painting and Space Becker Schmitz Studio

fk: Becker Schmitz, du kommst wenn ich das richtig sehe, aus der Malerei, woher stammt die zunehmende Begeisterung fürs Digitale und seit wann geht es bei dir verstärkt in die Richtung?

bs: Ja, ich komme aus der Malerei. Habe aber schon immer interdisziplinäre Projekte verfolgt. Zudem sehe ich mich nicht als Künstler, der digitale Medien oder Digitalisierung selbst zum Inhalt macht.

Ich stelle mich vielmehr einer Wirklichkeit, die mich neugierig macht und frage mich, ob ich eine Sache für die Kunst urbar machen kann. Diese Haltung und Neugier ist also Antrieb, mich mit großer Skepsis und Freude in etwas neues vorzuwagen. Das ich genau in diese Zeit hineingeboren wurde, ist schlichtweg Zufall. Auch in der Malerei habe ich mich stets für Maltechnik und Maltechnologie interessiert und habe einen sehr wissenschaftlichen Blick auf Arbeitsprozesse.

fk: Becker Schmitz, du arbeitest aktuell an einem Projekt für das Lehmbruckmuseum, wie ich auf facebook gesehen habe. Was machst du da und was hat es mit ‚me and my machine’ auf sich?

bs: Me and My Machine ist der Titel für eine Gruppenausstellung, die im Lehbruckmuseum stattfindet. Hier zeigen Künstlerinnen und Künstler eine Ausstellung, die neue digitale Wege in der Kunst erprobt und als eine Bedingung für Skulptur erfahrbar macht.
Ich habe hierfür eine Augmented Reality Projektion mit realen Skulpturen kombiniert.

Installationsansicht Lehmbruckmuseum „me and my machine“

fk: Becker Schmitz, die Farben deiner Bilder näheren sich RGB Farben an. Du experimentierst und arbeitest mit Augmented Reality and Projektionen. Ist Kunst, die nicht leuchtet, überhaupt noch zeitgemäß?

bs: Was zeitgemäß ist, lässt sich immer erst im Nachgang verorten, viel wichtiger ist doch, dass ein Kunstwerk zeitlos ist. Die RGB Farben sind ein Abbild der Gegenwart und fließen auch in meine Malerei ein, weil sie einer Farbästhetik unser Gegenwart entsprechen. Sie sind aber auch ein begrenzter Rahmen, den es zu entgrenzen gilt. Ein direkter Zugang in unsere gegenwärtige Farbwahrnehmung, die sich über digitale Displays etabliert hat aber durch die Malerei und Kunst neu gedacht werden kann. Meine Malerei ist also eine Form des visualisierten Denkens und ich resümiere und entgrenze sie, um aus der platonischen Höhle herauszutreten.

fk: @beckerschmitz und @frankthon: Hypethema NFT. seit ihr dran? Wie steht ihr dazu?

ftbs: Das ist ein Hypethema, ja. Vordergründig sollen so digitale Originale authenifiziert werden. Bei genauerem Blick stellt sich heraus, dass dies eher ein Hebel für den gegenwärtigen Kunstmarkt ist.
Vorerst komme ich zu dem Schluss, dass die NFT Kunst eine begrenzte Kunst ist und nicht dem Erkenntnisgewinn dient, sondern dem Markt.
Nichts desto trotz widme ich mich zur Zeit auch den NFTs und Cryptoprojekten, um diese Kunstform neu zu denken. Ein Kunstprojekt aus Frankfurt finde ich besonders herausragend. Es nennt sich „Dadacoin“, ein Projekt von René Schohe und Il-Jin Atem Choi. Schaut einfach mal vorbei!

fk: Danke Euch vielmals für das Gespräch und die Zeit. Weiterhin viel Erfolg!

Instagram: Becker Schmitz und Frank Thon

Ruhrkunstszene

Bei Magdalena Kröner im Blog gibts einen Auszug aus dem Eassy-Katalogtext “Ruhrkunstszene”, erschienen September 2014.

Kaum etwas scheint so untrennbar zum Ruhrgebiet zu gehören wie der längst historisch gewordene Mythos von Montan- und Schwerindustrie, von Dreck und Ruß. An dieser Stelle soll das Ruhrgebiet einmal abseits des krisenhaft erzwungenen Strukturwandels und der neuen Phantasien einer vom Kohlestaub befreiten, datenbeschleunigten und dienstleistungsbelebten Region und der Realität leerer Kassen betrachtet werden als künstlerisches Minenfeld: als dicht gedrängtes Gebiet der Ideen, ein Ort voller Halden und Krater und Bilder und Phantasie, als Mondlandschaft; als Ruhr. Kunst. Gebiet.

Klickst Du hier.

Belle Air – ein neuer Projektraum in Essen


Und wir dachten schon, Essen sei eine Wüste des Off. Bisher hat sich die Stadt im Ruhrgebiet nicht gerade durch ihre freie Szene ausgezeichnet; dabei beherbergt sie mit der Folkwang Universität zahlreiche Studenten aus den verschiedensten Kunstsparten. Von diesen kamen aber bis vor kurzem kaum sichtbare Impulse. Nun ist der von Folkwang-Studierenden und Alumni betriebene artist run space Belle Air vor drei Wochen eröffnet worden. Wir stellen vor.

BelleAir_InsidePGround_Essen-3(FotoGalleryFist) Continue reading „Belle Air – ein neuer Projektraum in Essen“

Insane Urban Cowboys

Für mein Geschmack, bisschen viel Klavier, bisschen viel Slowmotion und bisschen viel Pathos. Aber, das hier ist eben auch nicht Tokyo, London oder New York, sondern eine Stadt mit etwas anderem Profil, Gelsenkirchen nämlich.
Im Zuge des problematischen Strukturwandels des Ruhrgebiets, hat sich der südliche Gelsenkirchener Stadtteil Ückendorf teilweise zum „sozialen Brennpunkt“ entwickelt. Doch relativ unbemerkt von dieser negativen, öffentlichen Wahrnehmung haben sich dort neue Möglichkeiten aufgetan und verschiedenste Künstler und Kreative haben sich in Ückendorf angesiedelt. Seit knapp einem Jahr wirken auch die Insane Urban Cowboys im Stadtteil und wollen abseits des etablierten Mainstreams neue Wege gehen.

Und wiel wir Gelsenkirchen sonst gar nicht auf dem Schirm haben, sagen wir Danke für die Infos und stellen den Imagefilm hier ein.

via E-Mail

Baustelle Schaustelle in Essen – Ein Gespräch mit Brigitte Krieger

Fotos: Stefanie Pluta

 

Emmanuel Mir: In der Regel werden Off-Räume oder Projekträume von Künstlern gegründet, seltener auch von Kunsthistorikern. Nun gehörst Du weder zu der einen noch zur anderen Kategorie. Was hat Dich bewegt, die „Baustelle Schaustelle“ zu gründen?

Brigitte Krieger: Vor der Baustelle Schaustelle hatte ich schon ca. 5 Jahre lang Ausstellungen im Amtsgericht Langenfeld kuratiert – ein in mehrerer Hinsicht sensibler Ort. Der Off-Raum in Essen ist entstanden, weil mir einerseits den Raum zur Verfügung stand und ich andererseits über eine lange Liste von interessierten KünstlerInnen verfügte, die ich gerne zeigen wollte. So kam es zur Eröffnung in 2007. Es waren die Jahre, in denen viele Kunstsammler ihre eigenen Museen aufbauten. Da hätte es auch genug Raum in der Brigittastraße gegeben. Das war mir aber nicht spannend genug. Die Bestände der Sammlung Krieger waren alle schon lange angesehen und mein Bedarf nach ihnen nicht vorhanden. Dann doch lieber Förderung junger KünstlerInnen mit immer wieder neuem Input für mich und andere.

Du besitzt also auch noch eine Sammlung?

Die „Sammlung“ Krieger haben mein Mann und ich ab den 80er Jahren zu unserem Vergnügen erworben. Wir haben nie aus kommerziell technischen Gründen eine Arbeit gekauft, sondern nur, was uns zum jeweiligen Zeitpunkt interessiert hat und für eine junge Familie erschwinglich war! Es hat sich eine ziemlich große Menge an Arbeiten angesammelt, viele Fotoarbeiten dabei, auch Malerei, Zeichnung u.a.m.. Skulptur und Installation ist weniger möglich, das Haus bietet kaum Gelegenheit dazu. Die größten Arbeiten, die uns gehören, sind an die Kanzlei ausgeliehen, in der mein Mann Seniorpartner ist. Die anderen sind auf Lager. Nur wenige befinden sich bei mir im Haus oder in der Wohnung meines Mannes.

 

Zu Deiner Person: Welche Hintergründe hast Du? Wie bist Du auf die Kunst gekommen?

Mein Kunstinteresse geht auf die Förderung meines Vaters zurück, der mich schon als kleines Mädchen sonntäglich mit ins Folkwang-Museum und andere Ausstellungen nahm – übrigens auch mit in Theater, Oper und Konzerte. Viele Museen im Ruhrgebiet kenne ich von daher schon lange. Bei mir hat es immer Kunst an Wänden gegeben – ich arbeite u.a. auch an Konzepten von  Beleuchtung bildender Kunst, an Lichtkonzepten überhaupt, genauso wie an Interior- und Exteriordesign.

Welche Struktur hat die Baustelle? Wie sind die Aufgaben in Deinem Team verteilt?

Wir haben uns die Arbeitsbereiche je nach zeitlichen Möglichkeiten und Interessen aufgeteilt. Stefanie und Susanne, die seit fünf Jahren im Team sind, haben meist die direkten Künstlerkontakte, Alex bearbeitet die Büroangelegenheiten und Eckhard betreut die Website. Und jeder springt bei jedem ein, alle teilen sich die Aufgaben beim Fotografieren der Ausstellungen, alle reden bei den Ausstellungs- und Kunstpreiskonzepten mit. Wir arbeiten nach einem Konsensprinzip. Und ich? Mache das Networking, bringe Nachrichten über interessante KünstlerInnen von außen in die Runde und sage auch schon mal nein! Und natürlich muss ich den Finanzrahmen betreuen. Seit März sind wir ein gemeinnütziger Verein mit neuen Möglichkeiten, aber auch vielen neuen Anforderungen.

 

Habt ihr eine konzeptuelle Linie? Werden bestimmte Medien oder Themen bevorzugt? Und: Wo kommen die Künstler her, die Du ausstellst?

Nein, wir haben uns keine Konzeptlinie gegeben und wir bevorzugen auch keine Medien oder Themen. Themenausstellungen gab es zu den drei bisherigen Kunstpreisen, sonst nie. Es zeigt sich allerdings, dass Installationen unter Einbeziehung des Raums weit überwiegen. Bisher mussten wir aus Sicherheitsgründen leider technische Medien in der Dauerausstellung auslassen (da werden wir aber umstellen).

Unsere Künstler bewerben sich bei uns oder werden von mir  / uns eingeladen. Sie kommen aus Düsseldorf, Essen, Münster, Berlin, Braunschweig, Karlsruhe, Köln, Frankfurt, Hamburg, aus den Niederlanden, Italien, Dänemark, eigentlich aus ganz Europa. Einige kommen sogar aus Lateinamerika oder aus Israel…

Luca Vanello

Warum? Befürchtest Du, dass eingebrochen wird?

Wir haben bisher technische Medien nur einbezogen, wenn sie durch die Künstler nach der Eröffnung wieder abgebaut und gesichert werden konnten.
Einige haben dann ein Substitut an die Stelle gebracht (Tine Bay Lührsen, die den Beamer zur Projektion ihres Besens – Teil der Installation –  wieder abgebaute und an Stelle dessen einen realen Besen an die Wand lehnte. Wir konnten und können keine Verantwortung für Arbeiten und Geräte übernehmen. Und Leute, die auch für einen kleinen Ertrag die Scheibe einschlagen, gibt es immer mal.

Wir werden in 2013 den Kunstpreis für Videoarbeiten ausschreiben. Die Präsentationen können dann nur ein Wochenende stattfinden und wir werden alle Technik sichern.

Aussenansicht – Erika Hock: Cool Tools

Den Kunstpreis für Video? Das klingt ja interessant…

In den vergangenen Jahren haben wir regelmäßige Preisverleihungen für Nachwuchskünstler veranstaltet. Dabei legen wir jedes Mal einen neuen thematischen Schwerpunkt. Der erste Preis 2010 bezog sich auf die Region, die Stadt und den Raum. Nicolas Pelzer, Matthias Wollgast und Rimma Arslanov
wurden Laureaten. Ein Jahr später wurden Künstlerduos, also solche, die wirklich gemeinsam arbeiten, gefordert und Adrian Davila und Carolina Pinzon, sowie  die Raumzeitpiraten mit Tobias Daemgen und Moritz Ellrich bekamen den Preis. 2012 konnten sich Künstler für den Schaufensterraum, genannt „Schaustelle“, oder den hinteren Raum, den wir durch eine Wand abgetrennt hatten und als „Baustelle“ genannt haben, bewerben. Laureaten wurden diesmal Luca Vanello und Cornelia Fachinger. Und für 2013 eben ein Preis für Videokünstler.

Nathalia Stachon

Wie schätzt Du die Kunstszene in Essen ein? Wenn ich mich nicht irre, ist die Baustelle das einzige Off-Projekt der Stadt, oder? 

Die Kunstversorgung in Essen wird hauptsächlich durch das Folkwang-Museum bestimmt. Es fördert, unterstützt und fordert. Leider ist in den vergangenen Jahrzehnten einiges versäumt oder auch unnötig vernachlässigt worden. Die Szene, die ich bei meinem Umzug nach Düsseldorf im Jahr 1983 verlassen habe, war lebendig. Die, die ich 2007 wieder vorgefunden habe, konnte und kann immer noch starke Förderung brauchen. Seit einiger Zeit  kommt die Kunst wieder aus ihren Winkeln hervor, ganz langsam.

Leider hat 2010 (gemeint ist die Ernennung von Essen und dem Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt Europas, Anm. d. Red.) für die zeitgenössische Kunst nicht den Anstoß gegeben, den das Ruhrgebiet hätte aufnehmen können. Dann gibt es immer wieder temporäre Ausstellungssituationen von Gruppen, verstreut über die ganze Stadt. Auf Zeche Carl hat sich wieder eine Gruppe zusammengefunden, die auch KünstlerInnen aus Düsseldorf u.a. einladen. Diese Gruppe war vorher direkt bei uns in der Nähe – das war klasse, weil die Eröffnungen zum gleichen Zeitpunkt stattfanden und viel Publikum zogen.

Brigitte Krieger

 
Und zum Schluss: Was steht in den kommenden Wochen für euch an ?

Wir werden im Januar eine Künstlerin vom Goldsmith College London ausstellen und direkt anfang februar im großen parallelraum zwei künstler, die mit digitalen medien arbeiten. heisses thema, s. heuteige FAZ Sonntag. es bleibt lebendig bei uns.

brink – Ereignis zwischen Kunst und Wissenschaft

brink ist ein Hybrid aus Magazin und Ereignis zwischen Kunst und Wissenschaft. Das ambitionierte Projekt kommt aus dem Umfeld der Universitäten, ist aber über den Status eines studentischen Experiments hinaus. Das Laoyut ist professionell und der formulierte Anspruch hoch.
Thema und Titel von brink #2 ist Sprung. Ein Thema in vielen Beiträgen von jungen und renommierten Künstler_innen, Studierenden, Nachwuchswissenschaftler_innen und etablierten Professor_innen aus allen Wissenschaften und Persönlichkeiten aus Medien und Kultur. Kunst und Wissenschaft sollen sich bei brink in lebendiger Form begegnen und einen dichten und angeregten Austausch ermöglichen.

Und weil die Pressemitteilung von brink so schön ist, übernehmen wir diese hier einfach.

brink hat seine Wurzeln im Schweigen an den Universitäten, der Unmöglichkeit selbst sehen und sprechen zu dürfen und den fehlenden oder gescheiterten Dialogen zwischen Kunst und Wissenschaft. Es ist ein Projekt von Studierenden, die einen neuen Ort der Rede und der Sichtbarkeit erschaffen wollten und mit brink ein Magazin zwischen Kunst und Wissenschaft eröffnet haben.

Modularisierte Studiengänge, straffe Stundenpläne und durchstrukturierte Lehrveranstaltungen, die weniger Interesse als pure Anwesenheit fordern, lassen den Studierenden nur wenig Raum für die Beschäftigung mit selbst gewählten Forschungsfeldern. Das Bestreben, neue Diskurse zu öffnen und bestehende Diskurse zu erweitern unterliegt Zeitdruck und Effizienzdenken.

brink will hier Alternativen schaffen, in denen sich ein Miteinander und Nebeneinander in der Differenz zeigt. Zwischen Kunst und Wissenschaft – das heißt, neue Räume zu öffnen, Randgänge, Schwellenerfahrungen, Grenzsetzungen und Grenzüberschreitungen in der Begegnung mit dem Anderen. Die Begegnung nicht nur der wissenschaftlichen Disziplinen, sondern auch von Bild und Text als gleichwertige Positionen. Zudem vollzieht sich eine Öffnung zu Leser_innen, Betrachter_innen, und Besucher_innen: brink ist immer in der Bewegung zum Anderen – im ›anderen sehen‹ und im ›Sprung‹.

Am 22. Juni 2012 ging das Projekt mit der zweiten Ausgabe und dem zugehörigem Ausstellungsparcours in Wuppertal in die nächste Runde. Wir waren mit dem Fotoapparat vor Ort und haben das Projekt dokumentiert.

Projektraum Hebebühne

Ruth Weigand - Hinter einigen Tannengipfeln

Projekt UTOPIASTADT

Projekt UTOPIASTADT Innen

Jennis Li Cheng Tien - Counterforce bei UTOPIASTADT

Kunst und, oder Kunst vs Fussball? - UTOPIASTADT

Altes Tanzstudio

Bernd Härpfer & Pascal Fendrich im Alten Tanzstudio

Jan Verbeek im Alten Tanzstudio

Tom-Oliver Schneider im Alten Tanzstudio

Ana und Henrique Pereira da Silva

Julius Schmiedel und Michael Schmitt im Alten Tanzstudio

Raumzeitpiraten in der Postkutscherei

Kunstblogger mit Baby am Mann beim Erklimmen einer Arbeit von Anton Studer & Balz Isler in der Postkutscherei

Videoinstallation von Judith Rautenberg in der Postkutscherei

Weitere Informationen im Netz unter
www.brinkmagazin.de
twitter.com/brinkmagazin

facebook.com/pages/brink-Magazin-zwischen-Kunst-und-Wissenschaft/

Inventur im Kunstraum Unten in Bochum

von Florian Kuhlmann (Düsseldorf)

 

Im April haben wir den ersten Blick nach Bochum gewagt. Anlass war der Besuch im Projektraum Rottstr. 5 und ein Gespräch mit dem dortigen Kurator Georg Mallitz. Bei der nachfolgenden Recherche im Netz war uns dann auch schon mal der Kunstraum Unten aufgefallen – der erste Kontakt kam, wenn mich die Erinnerung nicht täuscht, wie mittlerweile so oft über Facebook zu stande.

Vergangenen Freitag (01.06.) Abend waren dort die beiden Düsseldorfer Künstler Daniel Dwyer und Matthias Danberg zu Gast. Matthias Danberg, geboren 1981 in Bochum, begann 2002 das Studium der Kunst und Philosophie an der Universität Dortmund und wechselte 2003 an die Kunstakademie Münster wo er dann 2007 Meisterschüler bei Michael von Ofen wurde.
Der etwas jüngere Daniel Dwyer wurde 1984 in Essen geboren. Ab 2005 studierte er „Freie Kunst“ an der Kunstakademie Münster und wurde 2010 Meisterschüler bei Klaus Merkel. Seit 2011 studiert er an der Kunstakademie Düsseldorf bei Marcel Odenbach.

Unter dem Titel „Inventur“ zeigen die beiden aktuelle Arbeiten, in denen sie nach eigenen Aussagen „in medialer und inhaltlicher Symmetrie, aber künstlerischer Individualität, in Videos und Drucken die Gültigkeit der Mythen einer postmodernen Generation, die mit der digitalen Revolution groß geworden ist“ untersuchen. Anstatt sich dabei ausschliesslich auf die klassischen Medien der Malerei, Skulptur und Graphik zu verlassen, beziehen Dwyer und Danberg die neuen digitalen Medien als Mittel ihres künstlerischen Ausdrucks in ihre Arbeit ein.

Beide nutzen als bildgenerierende Verfahren 3D-Modeling-Software, die üblicherweise von Architekten, Ingenieuren, Designern oder Filmemachern eingesetzt wird. Mit Hilfe dieser Werkzeuge erstellen sie ihre Charakter und Lokationen virtuell am Computer und animieren sie schließlich, um dann aus einigen tausend gerenderten Einzelbildern – vergleichbar einem klassischen Zeichentrickfilm- ihre Kunstfilme entstehen zu lassen.

Die Ästhetik der schwarzweissen, computergenerierten Bilder lässt sowohl Assoziationen zu Fritz Langs Metropolis, als auch zu zeitgenössischen Produktionen wie etwa Walt Disneys Kitschproduktion Tron zu, und stellt somit eine direkte Verlinkung zwischen den bildgewaltigen Hollywoodproduktionen unserer Tage und den Anfängen der Trick-Filmgeschichte her.

Dabei gelingt es durchaus eine Bildsprache zu entwickeln, die eigenständig funktioniert und die sich von der visuellen Dominanz der Computertechnolgie zu emanzipieren weiß. Die Kombination aus Graphikeditionen und ausgewählten Videostills können Überzeugen, der Blick auf die feinen Umrißzeichungen wirkt wie der Blick hinter die Kulissen der naturgemäß antiseptischen, künstlich reinen 3D-Renderings.

Eventuell einziger Wehrmutstropfen der Ausstellung ist der Rückgriff auf das klassische Medium der Fotografie und die finale Präsentation der Bilder als gerahmte Drucke. Auf diese Weise kommt die ganze Ausstellung trotz des avancierten Ansatzes der beiden Künstler, dann doch vergleichsweise klassisch daher. Denn beim Blick auf die Präsentation wird sofort deutlich, diese Arbeit will trotz allem Experimentierens mit den neuen Medien Kunst sein, und vor allem will sie sich als solche klar zu Erkennen geben. Dabei handelt es sich im übrigen um ein durchaus legitimes Anliegen, untersuchen beide Künstler in ihren Videos und Drucken doch eben primär „die Gültigkeit der Mythen einer postmodernen Generation, die mit der digitalen Revolution groß geworden ist“ und nicht die Probleme und Chancen der Künste mit den digitalen Medien.
Dennoch verweist das Projekt als Ganzes eben auch auf das brisante und hochaktuelle Grundproblem der Vermittlung von künstlerischen Projekten, die sich mit den Möglichkeiten der digitalen Werkzeuge auseinander setzen. Denn die latent mitschwingende Frage lautet auch hier, wie sollen nun Künstler und Publikum mit den verlustfrei reproduzierbaren Artefakten des digitalen Zeitalters umgehen?

Alle Bilder Matthias Dannberg & Kunstraum Unten

Matthias Danberg, Daniel P. Dwyer
Inventur – Grafik und Videoanimationen

Ausstellungsdauer
01. Juni – 30. Juni 2012

Öffnungszeiten
Do und Fr  15:00 – 18:00 Uhr
und nach Vereinbarung

Weitere Informationen
www.kunstraum-unten.de

Projektraum Rottstr. 5 in Bochum

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

 

 

Mit ihren herunter gekommenen Gebäuden, ihren Sex-Shops und ihren zwielichtigen Kneipen ist die Rottstraße für die bürgerliche Bevölkerung von Bochum das Synonym des Anrüchigen schlechthin. Für die Akteure der hiesigen Kulturszene ist dieselbe Straße jedoch ein wichtiger Treffpunkt geworden, wo, jenseits aller Halbwelt-Romantik, ein unabhängiger Raum des Austauschs und der Vermittlung entsteht. Gerade auf der Nummer 5 verdichtet sich die Off-Szene. Angetrieben von einigen initiativreichen Produzenten und Vermittlern, organisiert sich hier der Widerstand gegen eine zentrale Lenkung des kulturellen Angebots. Nach den bitteren Erfahrungen von 2010, als Essen und das Ruhrgebiet zur Kulturhauptstadt Europa erklärt wurden und spektakulären Mainstream-Großprojekten die Arbeit der altansässigen Kulturproduzenten in den Schatten stellten (in Bochum wäre der Platz des Europäischen Versprechens von Jochen Gerz zu nennen), will man sich auf seine Stärke zurückbesinnen: lokale Relevanz.

 

Eine lokale Relevanz findet man allemal auf der Rottstraße 5. Auf halben Weg zwischen Innenstadt und Jahrhunderthalle, mitten im Bochumer Westend, entwickelt sich etwas, was manche Medien gerne als „Kreativviertel“ bezeichnen. Die unter einer S-Bahn-Brücke gewonnenen Resträume, die lange als Produktionsstätte eines Fensterherstellers dienten, beherbergen seit ein paar Jahren ein kleines Theater, dessen unorthodoxes Programm von der Kritik gefeiert wird. Nebenan wurde 2005 eine Projektgalerie für Experimente aller Arten geöffnet. Federführend für einen Großteil des Programms ist nun Georg Mallitz, ein diplomierter Geologe, Philosoph und langjähriger Kunstvermittler, der, zusammen mit Christiane Conradt und im Auftrag des Hauptmieters des Ortes, Manfred Duch, den Raum animiert. Anstatt auf hippe Internationalität zu setzen, aktiviert Mallitz die lokale, bzw. regionale Szene und verstärkt damit ein lebhaftes Bochumer Künstler-Netzwerk.

 

Gewiss ist der Raum an sich nicht gerade einfach zu bespielen. Die dominanten Tonnengewölbe verbieten eine gescheite Präsentation von Malerei oder Grafikarbeiten; der Schwerpunkt liegt demnach auf Bildhauerei, Installation oder Performance. Die gute Akustik inspiriert auch Klangkünstler; bis vor kurzem war eine Klanginstallation von Robert Rosshoff in dem leeren Halbzylinder zu erleben. Die Galerie ist ziemlich das Gegenteil eines White Cube und bleibt eine Herausforderung: In ihrer Auseinandersetzung mit dem ungewöhnlichen Volumen des Raumes, sind die Künstler gezwungen, die üblichen Inszenierungsmodi ihrer Arbeit zu revidieren und auf neue Lösungen zu kommen.

Ansicht der Ausstellung Angst vor Licht

Auch wenn sie sich in einem Innenhof versteckt, ist die Rottstraße 5 keineswegs als kulturelle Enklave aufzufassen. Punktuelle Projekte, die die hiesige Bevölkerung einbeziehen und die umliegenden Läden als Präsentationsplattform nutzen, werden immer wieder realisiert – wie für das Großprojekt Angst vor Licht, das am Ende letzten Jahres stattfand. Demnächst soll eine riesig lange Wand in der Verlängerung der S-Bahn-Brücke als Ausstellungsfläche benutzt werden, so dass  der öffentliche Raum stärker bespielt wird.

Georg Mallitz, Kurator

Apropos Brücke: Auch wenn die Bochumer Szene einen besonders starken Zusammenhalt aufweist und Mallitz an weiteren Projekten mit lokalen Produzenten tüftelt, werden Brücken zu Münster, Essen und Düsseldorf geschlagen. Der redselige und Ruhr-verliebte Kurator sucht die Verbindung zu den dortigen Kunstakademien, bzw. Kunstschulen und hat eine kühne Vision entwickelt: Er will seine Heimatstadt als Auffangbecken verschiedener Strömungen in der Rhein-Ruhr-Münsterland-Region profilieren und gerade auf der Rottstraße eine Konvergenz der Medien bewirken. Es ist ambitioniert und leicht größenwahnsinnig – und deshalb gefällt es uns besonders.

 

Eine sehr gute Nachricht haben wir noch: Trotz seines gut gefüllten Terminkalenders wird Georg Mallitz künftig für perisphere schreiben und aus dem Ruhrgebiet berichten. Größenwahnsinnige Typen – wenn sie gut sind – sind bei uns immer gut aufgehoben. Schließlich wollen wir die Welt mit diesem Blog erobern.

Das Freie Kunst Territorium in Bochum

von Emmanuel Mir (Düsseldorf)

Wenn es prinzipiell stimmt, dass eine unabhängige Kunstszene sich vor allem in großen, reichen Städten entfalten kann und von einem vorhandenen Angebot an kommerziellen Galerien, Kunsthochschulen oder Museen besonders profitiert, gibt es jedoch genug Ausnahmen, die diese Regel bestätigen. Bochum ist beispielsweise nicht gerade prädestiniert, ein solche Kunstszene zu beherbergen. Aber die Stadt besitzt eine wichtige Voraussetzung um Kunstschaffenden anzulocken: Preiswerte bis sehr preiswerte Mieträume in zentraler Lage.

Diese Tatsache hat Uwe Siemens dazu bewegt, die besser gestellte Stadt Essen zu verlassen und sich in ein verwaistes Gebäude von Thyssen-Krupp im Zentrum von Bochum anzusiedeln. Zusammen mit Christoph Gruse, Cristóbal Márquez, Dorothee Schäfer, Gabi Moll und Joanna Zadora-Gruse hat Siemens 2009 das Freie Kunst Territorium (FKT) gegründet, eine Ateliergemeinschaft, die die fantastischen räumlichen Möglichkeiten ihres Standortes ausschöpfen möchte.

En Teil der FKT-Truppe: Uwe Siemens, Christof Gruse, Gabi Moll, Dorothee Schäfer und Zorro

Die Zentrale des FKT befindet sich einem langgestreckten, bungalowartigen Gebäude, in dem lungenkranke oder verletzte Angestellte von Thyssen-Krupp sich bis vor ein paar Jahren behandeln ließen. Mit der strukturellen Umwandlung der Firma hätte das in den 1950er Jahren errichtete Mini-Sanatorium eigentlich abgerissen werden müssen. Aber während die umliegenden Hallen verschwanden, wurde das Haus aufgrund seiner industriekulturellen Relevanz – sowie mancher interessanten architektonischen Details – unter Denkmalschutz gestellt und blieb erhalten.

Bild: T. Bocian

Bild: T. Bocian

Ein Glücksfall  für Künstler und Kreative: Hier gibt es extrem preiswerte Quadratmeter und jede Menge Raum. Thyssen-Krupp kann sich übrigens glücklich schätzen: Das FKT, sowie die anderen Nutzer des Hauses, pflegen und hüten das Objekt und garantieren es vor einem sicheren Verfall. Der Schwerpunkt des FKT an diesem Standort liegt auf die Atelierarbeit. Die Künstler haben sich in den relativ niedrigen Räumen eingerichtet und, neben der Fortführung ihrer eigenen Produktion, veranstalten immer wieder Workshops und Kurse in Malerei, Bildhauerei oder Aktzeichen für ein Laienpublikum.

Christof Gruse im Atelier

Atelier Gabi Moll

Atelier Dorothee Schäfer

Diese Öffnung der Gemeinschaft zur Öffentlichkeit wird noch deutlich verstärkt durch die zahlreichen Ausstellungen, die in den Kellern des Hauses stattfinden. Dort sind keine riesigen Hallen zu erwarten, aber es ist immerhin genug Platz, um kompakte Präsentationen in guten Bedingungen zu ermöglichen. In unregelmäßigen Abständen werden hier lokale bis regionale Künstler präsentiert; monumentale Projekte sind eher ausgeschlossen.

Zu dieser Ausstellungstätigkeit kommen noch diverse interdisziplinäre Projekte, die die Schnittstelle zu Literatur, Theater und Musik suchen. Die passend betitelte Masala-Reihe bringt beispielsweise Künstler aller Sparten in dem Haus zusammen und, mit diversen Programmpunkten, schafft eine Festivalstimmung auf kleinstem Raum.

Sibylle Pieper - Performance während Masala 2011. Bild: © Cristóbal Márquez

Anja Schreiber - Performance während Masala 2011. Bild: © Cristóbal Márquez

Mia Sellmann - Performance während Masala 2011. Bild: © Cristóbal Márquez

Lesung von Witek Danielczok während Masala 2011. Bild: © Cristóbal Márquez

Apropos Raum: Das Gelände um die FKT-Zentrale steht der Gruppe auch zur Verfügung und wirkt zunächst unendlich groß. Die denkmalgeschützte Lage hält Investoren fern und, außer den üblichen halbwilden Tieren, haben die Künstler keine Nachbarn, die sich über Lärm beschweren können. Von solchen räumlichen Zuständen träumt die Künstlerschaft der großen Städte. Der Bochumer postindustrielle Garten wird immer wieder in Anspruch genommen, um Kunst im Freien auszustellen oder außergewöhnliche Aktionen zu realisieren. Im Mai startet eine poetische Performance-Nacht, in der Gedichte beim Vollmond und an unterschiedlichen Stellen des Gelände vorgelesen werden. Auch bei dem kommenden Natur-Festival wird eine Brachfläche bespielt.

Diese besondere räumliche Großzügigkeit, gepaart mit der Erreichbarkeit des Ortes, führen zu regelmäßigen externen Anfragen – die Lage ist für Konzerte, Partys und größere Freiluft-Events so toll, dass es eigentlich nicht überrascht. Die Gemeinschaft lässt aber nicht jeden zu und überlegt sich genau, wer rein kommt und wer draussen bleibt. Nicht-kommerzielle Projekte, die eine gewisse Geistesverwandtschaft zu den Grundsätzen des FKT aufweisen und trotzdem ein anderes Publikum generieren können, bekommen meistens den Zuschlag. Demnächst wird hier z.B. das Forum Freies Theater aus Düsseldorf eine Produktion realisieren.

Selten genug um unterstrichen zu werden: Das FKT ist übrigens kein e.V. und hat auch keine Ambition, ein solcher zu werden. Trotz des möglichen finanziellen Vorteils dieser Rechtsform, hat keiner Künstler wirklich Lust, Vereinsarbeit zu leisten und Zeit an administrativen Angelegenheiten zu verlieren. Das „Freie“ des Freien Kunst Territoriums ist wohl ernst gemeint…