Der Raum für Zweckfreiheit ist genau ein solcher. Er wandelt nach Bedarf seine Funktion: Neben Ausstellungen finden Filmvorführungen statt, ebenso transformiert er sich zur Werkstatt, in der gearbeitet wird und Besprechungen erfolgen. Den Raum für Zweckfreiheit als Off-Kunstraum gibt es seit Ende 2007. Bisher haben 13 Projekte stattgefunden, für die Jan Ketz verantwortlich war. Mit dem neuesten Projekt hat Wolfgang Oelze den Titel der Ausstellung mit Bravour verteidigt.
von Julia Wirxel (Berlin)
Die aktuelle Präsentation ist etwas Besonderes. Der Künstler Wolfgang Oelze hat die Auswahl der Positionen getroffen. Neben eigenen Arbeiten sind Werke von John von Bergen, Goesta Diercks, Heike Mutter und Ulrich Genth, Stefan Panhans, Alexander Rischer, Oliver Ross und Andrea Winkler zu sehen. Der Titel der Ausstellung ist metaphorisch zu verstehen: Man betritt hier keine Black Boxes oder hält sich nicht an einem dunklen Ort auf, um Diaprojektionen zu betrachten. Den Betrachter auf eine ungewisse oder falsche Fährte zu locken oder die intellektuellen Ausschweifungen in der Kommunikation der Arbeiten untereinander und in Bezug zum Ausstellungstitel zuzulassen ist ein typischer Zug für den Raum. Dabei werden die Kunstwerke allerdings nicht als dröge Belege für verschwurbelte Thesen missbraucht. Fusselige, verschwommene, unscharfe dunkle Flecken sind auf eine je besondere Weise in allen ausgestellten Arbeiten zu entdecken. Wenn man sich nur lange genug mit ihnen auseinander setzt und ein wenig mehr über sie und ihren Entstehungszusammenhang erfährt, können sie auch sehr erhellend werden. Oder, wie es Jan Ketz betont, handelt es sich um in der Luft hängende „Fragezeichen“, die immer wieder in Verbindung mit den gezeigten Arbeiten entstehen.
Bei Heike Mutter und Ulrich Gerth lässt ein Bewegungsmelder ein ansonsten unbewegliches Objekt (o.T., 2010) in hoher Geschwindigkeit um sich selbst drehen, so dass ein kühlender Luftzug durch den Raum fegt. Die aus Stahl, Aluminium und Styropor bestehende Arbeit dreht sich wie ein wild gewordener Bulle und ist durch ihre so entstehende Unschärfe kaum zu fassen. Wenn man den hellen Schweif entdeckt hat, denkt man einmal mehr an ein Tier oder elektronisches Bullriding. Im Ruhezustand klingen kristalline Formen an, die an die kubistischen Züge der Tiere Franz Marcs erinnern (wenn man in die ferne Kunstgeschichte ab-schweift). Viel wichtiger ist aber das Material Styropor; ein banales Baumarktmaterial, das sich immer noch ein wenig gegen die gängigen skulpturalen Werkstoffen auflehnen darf. Es handelt sich um weißes Styropor, das in seinen Einzelteilen exakt aneinandergefügt und auf einer grauen Metallkonstruktion platziert wurde. Einer weiteren Tradition sind die beiden Künstler verhaftet, wenn sie in ihren Materialangaben das Publikum nennen. Ohne sie und ihre physischen Bewegungen kann sich die Arbeit nicht entfalten, ist unfertig. So ist dem Styroporobjekt, der Maschine, der Bezug zur Performance immanent, obwohl die Künstler selbst oder eine andere Person nicht anwesend sein müssen. Sie verschwinden im Fuzzy Dark Spot.
Auch John von Bergens Arbeiten erschließen sich nicht auf den ersten Blick. Der Akkuschrauber, dessen obere Hälfte fehlt, wirkt zunächst wie eine Edelvariante aus Metall. Oder man verliest sich und leitet vom Titel „gun“ (Sentimental and Non-Sentimental Monuments to Failure (Screwgun), 2007) zunächst eine Waffe her. Der Schraubendreher ist hier selbst verdreht, so als sei er unter eine Schiffsschraube gekommen oder als eine unmenschlich kräftige Person das Arbeitsgerät genommen und in einem Wutanfall in zwei Teile zerlegt hätte. Aber es handelt sich nicht um Metall, sondern um Polymer-Gips, Glasfaser und Graphit, durch den die metallene Farbigkeit und der Glanz entstehen. Genauso gehört das recht zarte Regal zu der Arbeit. Auch hier geht man zunächst dem Künstler auf den Leim: Diese dünne Platte ist ebenfalls extra aus Gips gegossen worden.
Die anderen Arbeiten der Ausstellung, schwarz-weiße und farbige Fotografien, Rauminstallationen, Wandarbeiten und Drucke behandeln die Schärfe und Unschärfe, wie in Wolfgang Oelzes Fotografie „Wyoming #4“, in der geheimnisvoller Rauch ins seiner Vergänglichkeit festgehalten ist und an einen Spuk erinnert und dessen Herkunft vielleicht ganz profan vom Künstler aufgelöst werden kann. So ist es dem Künstler in seiner Auswahl gelungen, die Ungenauigkeit und das „Dunkle“, Ungeklärte in seiner Unschärfe exakt auf den Punkt zu bringen.
Raum für Zweckfreiheit Ausstellung vom 24. September bis 23. Oktober 2011 Adalbertstr. 71, Hinterhaus www.zweckfreiheit.de Jan Ketz 0163 1622 339 Öffnungszeiten: Donnerstag und Freitag 16.30 bis 19 Uhr und nach Vereinbarung www.fuzzydarkspot.biggerthanlife.de KINO in der Werkstatt 20 Uhr Einlass, Beginn: 20.30 Uhr Sonntag 06.11. 2011 Do You Remember Sarajevo? (BiH 1999) Sonntag 04.12. 2011 A Woman Under the Influence (USA 1974)