Eine Zeichnerin und eine Videokünstlerin kollidieren absichtlich in einem Plattenlabel. Das Ergebnis: Ein Tremor ersten Grades. Tremor, der mit „Beben“ oder „Zittern“ übersetzt werden könnte und sowohl eine konvulsionsartiges Zucken der Muskeln als auch die von einem Vulkan hervorgerufenen Vibrationen bezeichnet, ist der Titel der gemeinsamen Ausstellung von Frauke Berg und Magdalena von Rudy im Slowboy.
von Emmanuel Mir (Düsseldorf)
Frauke Berg und Magdalena von Rudy sind zwei Künstlerinnen mit distinkten Sensibilitäten. Eine gegenseitige Schätzung für ihre jeweilige Arbeit hat sie zusammengebracht, und, weil sie sich auf das Spiel dieser Ausstellung eingelassen haben, haben sie Zeichnungen ausgewählt, die eine unleugbare Verwandtschaft aufweisen.
Wer in die zwei distinkten Welten von Berg und von Rudy eintaucht, wird von unwahrscheinlichen Kreuzungen, monströsen Verwandlungen und unmöglichen Überschneidungen überrollt. Es sind Welten der stetigen Metamorphosen. Welten, in denen menschliche Figuren tierische Attribute erhalten, in denen Tiere von vegetalischen Auswüchsen befallen werden, in denen Kreaturen auf den Seziertisch gelegt werden oder in denen amöbenartige Gestalten sich in den Raum ausbreiten, als ob sie aus ihrer amorphen Struktur schlüpfen und zu Körpergliedern mutieren wollten. Es sind Welten der Mehrdeutigkeit, der unfertigen Gestalten, des offenen Raumes, der umgekippten Perspektiven, der unbekannten Folgen und der nicht absehbaren Möglichkeiten.
Berg und von Rudy machen – jede auf ihre spezifische Art – Gebrauch von einer Strategie der Windung. Das Fremde offenbart sich erst durch das Vertraute. Das Unheimliche entwickelt seine étrangeté aus seinen gewöhnlichen, ja trivialen Wurzeln. Ansätze werden selten zu Ende ausgeführt, Bewegungen vorgetäuscht und Richtungen abrupt gewechselt. Jedes Motiv hat mindestens eine klar identifizierbare (und unspektakuläre) Reminiszenz; hier ein Kind, da ein Hund, dort ein Tisch, eine Gurke oder ein Gesicht. Eine Verschiebung der räumlichen Ordnung, eine unerwartete Färbung eines Bildteils, eine Überlappung von Motiven bringen aber diese banalen Formen in einen neuen, verstörenden Zusammenhang.
Trotz ihrer Gegenständlichkeit, die surrealistische Collagen evozieren, sind weder die Zeichnungen von Frauke Berg noch die von Magdalena von Rudy narrativ angelegt. Sie verzichten meistens auf Raumangaben, auf eine natürliche Umgebung oder einen erzählerischen Rahmen. Sie fokussieren beinahe ausschließlich auf ein Motiv, das in dieser Prägnanz die sprachliche Klarheit und Eindeutigkeit des lógos erhält.Beide Ansätze nähern sich dem Seltsamen, Nebulösen und Undefinierbaren mit einer erstaunlich präzisen Akkuratesse.
Die Motive der beiden Künstlerinnen entstehen nicht aus dem Bauch oder aus einem „Gefühl“ heraus. Ihre Mal- und Zeicheninstrumente sind nicht die Seismographen der Seele oder des Herzens. Sie sind die ausführenden Organe einer rational urteilenden Instanz. Diese Zeichnungen sind nicht der Ausdruck von spontanen Visionen, authentischen Alpträumen oder erlebten Phantasmen. Auch wenn sie nicht eindeutig sind, sind sie das Produkt eines analytischen Prozesses.
Sound-Performance von Frauke Berg zum Finissage. An der Wand ein Video von Magda von Rudy (Foto: Krischan Ahlborn)
Beide Ansätze nähern sich dem Seltsamen, Nebulösen und Undefinierbaren mit einer erstaunlich präzisen Akkuratesse. Die pointierte Linie von Berg oder der klar umrissene Pinsel von von Rudy bringen genau auf den Punkt, was sie gleichzeitig verbergen und verfremden. Ambivalente Botschaften werden eindeutig formuliert. Alles in allem erzeugen sie keine Atmosphäre, sondern artikulieren eine Sprache – wie fremd und unzugänglich diese Sprache auch immer sein mag.