WESTERN GODS

13. – 14. Mai 2024,
Mitteleuropa, Rheinland,
Metamoderne

Der Künstler Dennis Rudolph im WhatsApp Chat mit dem Kybernetiker Florian Kuhlmann über ihr gemeinsames Ausstellungsprojekt WESTERN GODS in der Kölner Galerie Falko Alexander (Opening 24.5.2024)

fk: Wer oder was sind denn jetzt die GESTERN GODS? hast du da eine Idee oder Vorstellung?
dr: Gestern Gods. Auch gut.
fk: Würde auch passen, ja. Aber WESTERN GODS was ist das denn für dich?
dr: Gute Frage. Auf jeden Fall ist es etwas virtuelles, nichts reales. Ein Nachhall der westlichen Kultur als digitale Schemen. Dazu würde dann auch passen, dass die ganze technische Entwicklung von Apple, Google und Co im Silicon Valley liegt — also dem westlichsten Punkt unserer Kultur.
fk: Virtuell, nicht real. Da Hake ich kurz. Ich finde das virtuelle mittlerweile ziemlich real, du nicht?
dr: Doch. Und ich finde es faszinierend, dass die beiden Welten sich anfangen zu vermischen, also unsere und die virtuelle. Die Künstlerin Cao Fei meinte mal, während der Lockdowns, wo sie so viel in der VR unterwegs war, hätten ihre Träume in der Virtual Reality gespielt.

Dennis Rudolph – California City | Quest 2

fk: Das ist natürlich stark. Also die Träume in VR, nicht die Lockdowns. Es entsteht als gerade so eine Art Hybride Realität?
dr: Ja genau. Die Augmented Reality oder Mixed Reality ist tatsächlich ein wirklich neues Medium. Das gab es vorher noch nicht. Im Film Matrix konnte man immer nur zwischen den Realitäten wechseln, aber vermischt haben sie sich nicht. Jetzt tun Sie es. Das ist natürlich nur möglich mit einem technischen Gerät.
Also wir sind jetzt Cyborgs geworden.
Und cyborgs brauchen auch Götter. Western Gods.
fk: Warum eigentlich Götter? Der Westen kennt doch eigentlich nur einen Gott. Warum haben wir uns wohl für die westlichen Götter als Titel der Show entschieden?
Oder lass mich anders fragen weil du die Frage ja eigentlich eben beantwortet hast. Wer oder was könnten denn die Western GODS sein?
dr: Es gibt ja dieses Buch von Neil Gaiman: American Gods. Aber eigentlich kam mir der Titel von meiner Beschäftigung mit den Malern des Barock. Die hatten oft griechische Mythologie als Thema. Wegen dem Illusionsraum der Deckenfresken passt das sehr gut zum Medium der AR. Und zur westlichen Kultur würde ich auch die alten Griechen zählen.
fk: Die Griechen, sehr gut. Ja klar gehören die dazu. Wiege der Demokratie und so. Großes Thema derzeit. Ja die kamen mir auch in den Sinn.
Was ist mit den Künstlern?
Könnten das auch WESTERN GODS sein?

(es ist Mitternacht, der Chat pausiert an dieser Stelle bis zum nächsten Morgen)

dr: Sorry. Da bin ich gerade in die Traumrealität entglitten.
fk: Kein Problem
dr: Die Künstler „channeln“ die WG. »Wenn du im Land der Träume dich verweilet«,
Versetzt der Gott, »so hadre nicht mit mir.
Wo warst du denn, als man die Welt geteilet?«
»Ich war«, sprach der Poet, »bei dir.«
Mein Auge hing an deinem Angesichte,
An deines Himmels Harmonie mein Ohr –
Verzeih dem Geiste, der, von deinem Lichte
Berauscht, das Irdische verlor!«
»Was tun?« spricht Zeus, »die Welt ist weggegeben,
Der Herbst, die Jagd, der Markt ist nicht mehr mein.
Willst du in meinem Himmel mit mir leben –
So oft du kommst, er soll dir offen sein.«

Dennis Rudolph – Installationsansicht “Das Kunstwerk Der Zukunft”, 2023, Upstream Gallery.

dr: Ich könnte mir vorstellen, dass es in der Zukunft verschiedene super starke KIs gibt, um die sich ganze Völker sammeln. Zwischen diesen KIs und den Menschen muss es eine Brücke geben. Mir schwebt da so ein Tempel vor…
Über dem Eingang könnte deine textarbeit aus unserer Ausstellung prangen.
Ja! Und dann die Leute, die ihre Synapsen scannen lassen, um ihre Hirne im Quantencomputer hochladen zu lassen, der im Zentrum dieses Tempels steht. Ewiges Leben!
fk: Das gefällt mir alles sehr gut. Da steckt ja ordentlich was drin. Das muss ich jetzt Mal etwas sacken lassen, aber das interessiert mich sehr. Auch die Sache mit den Tempeln und der KI um die sich die Völker scharen.
Was mir zwischen zeitlich noch eingefallen ist zu den WESTERN GODS ist der – natürlich etwas in die Jahre gekommene – Künstler Beuys mit seiner Idee von ‚jeder Mensch ist ein Künstler‘.
Wenn man das radikal konstruktivistisch denkt dann könnte man sich vorstellen, die Welt werde durch die Menschen erzeugt. Die Menschen wären also Schöpfer ihrer eigenen Realität.
Wenn man dem folgen würde.
dr: Das wäre nichts radikal Neues. Gab es ja schon bei Platons höhlengleichnis.
fk: Sicherlich.
Künstler und Schöpfer, das gehört für mich schon irgendwie zusammen, auch aus der Kunstgeschichte heraus. Die ganze Emanzipation von der Kirche und so. Du weißt
dr: Für mich fängt die Fundamentalkrise der Kunst ja genau hier an. Beim Wegfall der Kirche als Auftraggeber der Kunst.
Also mit der französischen Revolution.
fk: Ah. Das musst du jetzt aber doch etwas ausführlicher erläutern 😁
Das ist doch mal eine Aussage! Die französische Revolution als Beginn der Krise der Kunst.
dr: Jetzt werde ich mich um Kopf und Kragen reden.
fk: Ja um den Kopf und Kragen reden ist gut!
dr: Mit dem Tod Gottes hatte die Kunst auf einmal ihr größtes Thema verloren. Danach gab es, wie ich das sehe, zwei Strömungen: Moderne und Antimoderne. Also auf der einen Seite zum Beispiel die Impressionisten und Manet und auf der anderen die Romantiker. Hier also inhaltsleere Bilder der Natur, dort der Versuch mit dem Thema der Natur den Bildern wieder einen neuen Inhalt zu geben.
Deswegen finde ich das Barock so interessant, weil es am Vorabend der französischen Revolution war. Als draußen schon die alte Realität zerbrochen ist, hat die Restauration der Kirche diese gewaltigen Innenräume hervorgebracht, in der die alte Realität künstlich am Leben erhalten wurde. Finde ich ganz ähnlich zu heute.
fk: Macht Sinn. Wo sind diese Innenräume bzw deren äquivalent heute?
dr: Diese Überproduktion der Bilder im Barock sehen wir ja auch heute wieder in unserer Bildkultur oder Image Culture. Ich bin ja ständig von Bildern umgeben, nehme die Realität eigentlich nur durch Bilder war. Instagram Werbung Nachrichten etc. Ich nehme die Realität eigentlich nur noch durch Videos und Bilder war, also durch Posts und wie wir ja alle wissen haben diese Bilder vielleicht gar nichts mehr mit der Realität zu tun.
fk: Ja, ich denke ich verstehe was du in etwa meinst
dr: Vielleicht könnte man hier einwerfen, digitale Revolution, ähnlich französische Revolution.
fk: Ja das könnte passen. Es ist in jedem Fall eine ähnlicher Demokratisierungsschub, im Guten wie im Schlechten
Zu den Bildern noch. Hast du dich mal mit Baudrillard beschäftigt? Simulacrum und so?
Ich leider nicht, irgendwie hat sich mir das nicht erschlossen als ich damit zu tun hatte. Aber ich stieß vor kurzem Mal wieder darauf und da hatte ich das Gefühl es würde mir jetzt doch was sagen.
dr: Ja, aber ich erinnere mich kaum noch da dran. Das ist irgendwie einfach so durch mich durch geflossen. Ohne dass ich das wirklich philosophisch erörtern könnte. Im Moment ist mir Hegel oder Kojeves Interpretation von Hegel viel näher. Aber um auf unsere Ausstellung zurückzukommen: dein Satz THE WEST IS DEAD LONG LIVE THE WEST würde ja prima dazu passen, zu einem Bruch in der Zeit.
fk: Ja klar. Um den Bruch der Zeit geht es, diesen deutlich machen.
Das ist mir wichtig, deswegen der ganze Aufwand.
Auch für mich und uns selber. Das ist für mich auch immer so ne Art Gehirn Yoga um mental fit zu bleiben.
Man muss das ja irgendwie realisieren um drauf schauen und drüber reden zu können, so wie jetzt. Ganz pragmatisch also eigentlich
dr: Aber so ein richtiger Bruch ist es ja dann auch nicht, weil du ja schreibst Long live the West. Also: es geht einfach weiter. Doch das Ende der Geschichte?
Ich glaube, diesmal könnten wir es wirklich schaffen, diesen Bruch also den Einbruch der Realität zu umgehen und zwar mithilfe der Technik, um dann so auf ewig die Gegenwart zu erhalten.
fk: Ja, das halte ich für nicht ausgeschlossen. Ist aber anstrengend und herausfordernd für alle, das ist klar. Für mich steckt da viel Metamoderne drin in der Vorstellung. Eine ambivalente Realität die sich mit der Technik und den darauf basierenden Medien verbindet.
Hier dazu eine ältere Arbeit von mir https://metamoderne.jetzt

Was den Satz THE WEST IS DEAD LONG LIVE THE WEST angeht, so geht das für mich definitiv weiter. Es ist ein mögliches Ende, aber mit dem verschwinden wird die Idee des Westens, die für mich – by the way die Freiheit ist – anders wirkmächtig.
Auf einer tieferen oder höheren Ebene, je nach dem wie man das sehen will.
Ich fand deine Idee auch gut, nach der, der Westen sich im virtuellen, digitalen auflöst oder dort wieder geboren wird.
Internet und Computertechnologie sind ja erstmal auch westliche Produkte und Erfindungen. Gleichwohl sich das heute über die ganze Welt ausgebreitet hat und in den verschiedenen Imperium des Erdballs unterschiedlich entwickelt wird.
KI und die strategische Entwicklung von KI sind ein Beispiel dafür. Hier werden ja in den verschiedenen Regionen ganz unterschiedliche Strategien entwickelt und verfolgt.
dr: Wie andere Kulturen mit dieser Technik umgehen wäre ein interessantes Thema. Spezifisch für die westliche Kultur wünsche ich mir, dass sie sich in die Virtual Reality verlagert. Das wäre zumindest ein Segen für die Welt.

Florian Kuhlmann, HER PROMPT WAS HOT, unique digital asset, 2024

dr: Spannend finde ich, dass die KI in verschiedenen Teilen der Erde weiter entwickelt wird, wie du sagst. In dem Buch “Untergang des Abendlandes” prognostiziert Spengler noch, dass nach der Phase der “Rache der unterdrückten Völker” die Technik in Vergessenheit geraten wird, weil sich einfach niemand mehr dafür interessiert aber im Moment sieht es ja gar nicht danach aus d.h. die Fackel wird irgendwie weitergereicht.
fk: Das digital Empire erscheint mir als globales Phänomen mit unterschiedlichen regionalen Ausprägungen. Aber das fügt sich nicht so schlecht zu deiner Idee vom Anfang, der Idee der Völker die sich jeweils um die KI scharen.
Die Realität ist ja auch ein globales Phänomen. Natürlich Auch die Hybride.
dr: Ja, vielleicht ist die Erde doch dieser Riesen Computer aus per Anhalter durch die Galaxis. Worauf ich eigentlich hinaus will, ist, wie stark unser Bestreben in der digitalen Technik zurückzuführen ist auf einen christlichen Ursprung.
fk: Aber irgendwie zieht sich dieses Technologie Thema doch zunehmend durch alle Kulturen hindurch, oder?
Aber christliche Kultur, das wäre dann aber der WESTERN GOD.
Schieß los, wo siehst du den christlichen Ursprung.
dr: Ja. Die Technik ist auf jeden Fall ein globales Problem. Vielleicht ist es das große Problem des 21. Jahrhunderts wie wir mit dieser Technik und der KI umgehen. Und, wie ich finde, ist es auch ein tolles Thema für die Kunst des 21. Jahrhunderts.
fk: In der Tat.
Aber das mit dem christlichen Ursprung, das würde mich noch Mal interessieren.
Magst du das noch Mal etwas erläutern?
dr: Ich bin dabei. Moment. Muss mal kurz überlegen.
fk: Klaro
fk: Zum von dir eingebrachten channeln der WESTERN GODS fiel mir dann eben diese relativ aktuelle Arbeit von mir noch ein, die meines Erachtens die Idee aufgreift. Bewusstsein als Interface oder eben auch gerne channel wenn man so will:

Florian Kuhlmann, CONSCIOUSNESS AS AN INTERFACE, Eberptplatz Köln, 2023

dr: Ok. Technik und Christentum. Vielleicht so: Die Cloud ist natürlich der Himmel (die heißt ja nicht zufällig so) dieses endlose Archiv, wo wir alle unsere Seelen hochladen können. Die Virtual Reality ist das Jenseits. Und jetzt können wir sogar mithilfe von Argumented Reality und irgendwann Kontaktlinsen oder Chips im Hirn diese jenseitige Welt, den Himmel auf Erden holen und endlich das heilige Jerusalem nach der Offenbarung verwirklichen. Die KI selbst wird irgendwann in ganz ferner Zukunft den Kampf mit Gott aufnehmen, um ihn zu ersetzen.
fk: Ja das ist doch mal eine Story, die man auch so stehen lassen kann.
Sollen wir diesen Chat an dieser Stelle einfach Mal beenden?
Weiter machen in irgendeiner Form können wir ja immer noch später..
dr: Ja. Sonst rede ich noch größeren Unsinn.
fk: Ich finde das alles super. Gefällt mir sehr
Schick mir gerne noch 2-3 passende Pics von deinen arbeiten, die zum Gespräch passen könnten. Dann geht das asap online
dr: Mach ich.
fk: 👌

Dennis Rudolph, Das Portal am Ende der Welt, 2018, California City, USA
Florian Kuhlmann, REALITY WAS OVERRATED, digital asset, unique piece, 2024

inside ecologies – Alles ist connected

Wie ist die Welt wenn wir die Augen schließen oder einmal ganz wo anders hinschauen? Und was hat das mit Schulbrot und Kita zu tun? (K)eine Antwort gibt’s hier.

Budhaditya Chattopadhyay, „Decomposing Landscape“
Budhaditya Chattopadhyay, „Decomposing Landscape“

Über so umfangreiche und komplexe Projekte wie das hier soll man ja – sofern man denn überhaupt was darüber sagen kann – eigentlich nur schreiben, wenn im Original gesehen. Ich falle damit also eigentlich erstmal aus, gleichwohl mich schon interessiert was da im Weltkunstzimmer derzeit aufgebaut ist. Am Trigger würde es also nicht scheitern. Nur zeitlich hat es dafür bei mir eben leider bisher einfach nicht gereicht.
Einschulung, Herbstferien, Kindergarten und eine weitere, nun aber sicher auch letzte Geburt haben unseren Alltag einmal mehr ganz schön durch einander gewirbelt.
Und so war es dann wohl eben auch mal bissi ruhiger in der Perisphere die letzten Wochen und Monate, über diesen wirklich wunderbaren, fast endlos erscheinenden Sommer weg. Der Schrebergarten war tagsüber Ort der Wahl und Nachts wollte der Windelwechsel im Halbschlaf wieder gelernt werden. Sprich der Fokus hatte sich einmal mehr verschoben die letzten Wochen und Monate. Noch weiter weg vom Streben nach der sexygeilen internationalen Kunstkarriere hinzu zum Alltag zwischen Schulbrot schmieren und Kita.

Conrad Kürzdörfer/Brian Holden, Sustainer (2018)
Conrad Kürzdörfer/Brian Holden, Sustainer (2018)

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Fragen über Fragen 1 – Dallas

(Anmerkung: Dies ist seit langem und endlich mal wieder ein Text vom Mitbegründer der perisphere Dr. Emmanuel Mir, los gehts!)

Ich bin ein Kind der 1980er. Und ich wurde teilweise von einem Fernseher großgezogen. Diese zwei Tatsachen erklären, dass ich neuerdings auf die Nachricht besonders hellhörig wurde, die Kultserie „Dallas“ feiere in diesem Jahr ihr vierzigstes Jubiläum. Außer der Erinnerung an meiner ersten persönlichen Erfahrung massenmedialer Dumpfheit sah ich eigentlich für mich wenig bis gar keinen Grund zu feiern, und doch drehte ich die Lautstärke höher.

Der Radiobeitrag erzählte vom Besucherandrang auf der Southfork Ranch, jener Hauptspielplatz der Serie, wo die Ewing-Familie ihr texanisches Intringantenstadl durchspielte. Es ist ein sehr großes und sehr häßliches Haus mitten in einer sauber durchgekämmten Wüste; man sieht es im Vor- und Abspann der Serie und immer wieder zwischendurch, in statischen und blassen Totalen. Weil sie die geographische Verankerung (fast) aller Handlungen der Serie darstellt, genießt die Ranch eine Art Kultstatus. Dorthin pilgern seit Jahren ganze Busladungen von TV-addicted, ihrer wie auch immer gearteten Sehnsucht frönend. Die Ranch ist zu einer Art Museum geworden. Zu Zeiten der ersten „Dallas“-Staffeln war sie noch landwirtschaftlich betrieben, aber die Eigentümer verstanden schnell, dass man mit den Nebenprodukten der Unterhaltungsindustrie mehr verdient als mit T-Bone-Steaks und Kuhhäuten und stiegen ins das mediale Butterfahrtgeschäft ein. Heute gibt es Führungen durch das Haus und Signierstunden mit den überlebenden Schauspieler*innen zu besonderen Anlässen.

Ich kann nur vermuten, was die Menschenmenge an diesem Ort sucht. Vielleicht will sie für eine kurze Zeit im Set und im Film sein und zum Akteur einer Episode werden, also, wie Alice, auf die andere Seite des Spiegels einsteigen und die neue Perspektive genießen. Oder sie will sich dieser Kulissen bemächtigen und der Ort eines passiven Sehvergnügens zu einem aktiven und multisensorischen Erlebnisses machen; was mir in diesem Zusammenhang zu aufgeklärt erscheint. Vielleicht will sie, viel prosaischer, die vermittelte Erinnerungen ihres Fernseherlebnisses mit der Realität vergleichen und das Original mit der Darstellung konfrontieren.

Das Problem dieser Hypothesen liegt aber daran, dass die Ranch nur für die Außenaufnahmen benutzt wurde. Alle Interieur-Aufnahmen erfolgten in der Ruhe eines kalifornischen Studios, Tausende Kilometer von Texas entfernt. Die Dallas-Pilgern besuchen also Räume, die niemals auf ihren Bildschirmen zu sehen waren. Die berühmte Blumentapete des Salons ist hier eine dunkle Holzvertäfelung; das Treppenhaus ist ganz woanders platziert und erinnert kein bisschen an das der Serie. Die Betreiber der Ranch haben sich nicht mal die Mühe gegeben, passende Sofas zu kaufen, um das Trugbild minimal aufrecht zu erhalten.

Der Fall Southfork Ranch ist merkwürdig. Da nehmen jedes Jahr Tausende von Menschen eine lange Fahrt auf sich auf, mit der Absicht, eine Kulisse zu besuchen. Schon dies ist befremdlich. Aber was sie antreffen ist nicht mal eine Kulisse, also nicht mal eine funktionale Vorrichtung zu Zwecken der Konstruktion einer Fiktion, sondern eine weitere räumliche Vorrichtung zu Zwecken… ja, zu welchen Zwecken, eigentlich? Warum besucht man Innenräume, die nominell zur Southfork Ranch gehören aber visuell und atmosphärisch nichts mit der Southfork Ranch der Serie „Dallas“ zu tun haben? Dies stört übrigens keineswegs die Besucher, die um die zweifache Entfremdung bereits wissen, wie es im Radiobericht zu hören war, und trotz des hauchdünnen Bezugs der zwei Ranchs miteinander (der realen und der fiktionalen) trotzdem nach Dallas fahren. Sie wollen einfach da sein, egal ob dieses „da“ ein gut vermarkteter Beschiss ist. Die „museal“ aufbereitete Ranch ist weder auratisch aufgeladene Kulisse (denn ja: Wir leben in Zeiten, in denen sogar Kulissen zu kultischen Orten gemacht werden), noch echte Illusion (denn ja: Wir müssen zunehmend auf den Unterschied zwischen echter und unechter Illusion achten).

Ich habe eine Frage: Zu welcher Kategorie gehört die Southfork Ranch? Ist sie das Simulakrum eines Simulakrums? Eine Heterotopie im Quadrat? Oder der materialisierte Alptraum von Jean Baudrillard? Ich weiß es nicht.

SIMULACRUM. Ein gutes Gefühl

SIMULACRUM heißt die Einzelausstellung von Johanna Reich, die noch bis zum 7. April 2018 in der Galerie PRISKA PASQUER in Köln zu sehen ist. „Als Simulacrum oder Simulakrum bezeichnet man ein wirkliches oder vorgestelltes Ding, das mit etwas oder jemand anderem verwandt ist oder ihm ähnlich ist.“ (Quelle: Wikipedia). In den Arbeiten von Johanna Reich ist damit die virtuelle und die physische Welt gemeint, wobei schnell klar wird, dass man zwischen beiden Welten keine klare Grenze ziehen kann, denn beide Welten sind Teil unserer Realität. Die bei PRISKA PASQUER gezeigten Werke bewegen sich daher zwischen diesen Welten und Johanna Reich schafft diese Verknüpfung indem sie unter anderem Fotografie, Malerei, Video und Performance klug miteinander kombiniert.

Johanna Reich, die aktuell auch im Max Ernst Museum in Brühl gezeigt wird und mit dem Frauenkulturpreis für Bildende Künste des Landschaftsverbands Rheinland ausgezeichnet wurde, kannte ich bis jetzt nicht. Ich war daher gespannt, ob die Ausstellung mit dem vielversprechend klingenden Ankündigungstext mithalten kann. Sie kann.

Wenn man die Galerie betritt, wird man mit einem charmanten Fingerzeig in die Ausstellungsräume geleitet und sieht dort ZWIRNERS WALL.

ZWIRNERS WALL, 2018, Digital C-Prints mounted on Alu Dibond, 120 x 90 cm

Die dreiteilige Arbeit zeigt die Wand der Galerie in drei unterschiedlichen Zuständen. Das Bild in der Mitte ist eine Smartphone-Fotografie der weißen Galeriewand. Auf der linken Seite sieht man ebenfalls das Foto der weißen Wand, allerdings in einem anderen Zeichensystem: als Code. Auf 43 weißen DIN A4 Blättern hat Johanna Reich den Zeichencode der digitalen Fotografie niedergeschrieben und das Foto aus der virtuellen, in die physische Welt übertragen.
Das Bild auf der rechten Seite ist entstanden, indem der handgeschriebene Code eingescannt wurde und mit Hilfe einer Schriftenerkennungssoftware zunächst in digitale Zeichen transformiert wurde. Diese digitalen Zeichen wurden dann wieder in ein Bild umgewandelt. Aus der weißen Smartphone-Fotografie ist so durch den Umweg über die physische Welt ein farbenfrohes, digitales Bild entstanden.

All das wusste ich noch nicht als ich die Arbeit zum ersten Mal gesehen hab. Doch auch ohne diese Informationen und die dadurch zusätzliche, inhaltliche Aufladung des Kunstwerks, hat mich das Nebeneinander des weißen und des bunten Bilds, sowie des beschreibenden Texts interessiert.
Vermutlich weil die Bilder für mich die Realität, die mir teilweise klar und einfach vorkommt, versinnbildlichen. Es ist als ob es nichts zu verstehen gibt und die Welt aus einem leeren weißen Raum besteht, durch den ich tagtäglich wandle. Doch im nächsten Moment wirkt die Welt auf mich wieder so komplex und vielschichtig, dass ich gar nichts erkenne außer ein diffuses, buntes, in irgendeiner Form geordnetes Durcheinander.

KASSANDRA, 2008, Video

Im Untergeschoss der Galerie läuft das Video KASSANDRA. Die Bildsprache hat mich direkt an Man Ray beziehungsweise die Dada- und Surrealisten erinnert. Sicherlich kein Zufall. In dem Video schneidet sich die Künstlerin eine Maske vom Gesicht. Die Maske ist ein Green- oder Blue-Screen und wurde durch die Videoaufnahme eines Gesichts ersetzt. Die Künstlerin schneidet während des Videos kleine Stücke aus der Maske und legt damit ihr Gesicht frei. Im Verlauf des Videos ergeben sich dadurch bizarre, surrealistische Motive. Doch obwohl der Anblick nicht einladend erscheint, hab ich mich darin wiedergefühlt, denn der eigene Charakter besteht ja auch aus mehr als dem persönlichen Antlitz.

Im Obergeschoss ist unter anderem die Arbeit HOMO LUDENS III | DIE LEERSTELLE zu sehen. Es sind zwei Videos, die jeweils auf ein Ölbild projiziert werden. Eine Projektion zeigt von oben, wie eine Hand weißes, zerrissenes Papier auf einer ebenen Fläche auslegt. Die Ölfarbe reflektiert das Licht der Projektion, so dass die dunkelblaue Bildfläche an den Stellen anfängt zu strahlen, die von weißem Papier bedeckt sind. Wobei bedeckt eigentlich nicht stimmt. Denn das Gemälde und das Video verschmelzen und bilden eine Einheit.

HOMO LUDENS III | DIE LEERSTELLE, 2018, Videoprojekion auf Öl auf Leinwand, 280 x 200 cm

Bei allen drei beschriebenen Werken arbeitet Johanna Reich mit Projektionsflächen und verleiht den Arbeiten durch die Kombination unterschiedlicher Techniken eine spannende Mehrdimensionalität. Die Werke vereint trotz ihrer inhaltlichen Komplexität eine träumerische Leichtigkeit und sie verfolgen keinen didaktischen oder belehrenden Ansatz. Johanna Reich visualisiert die „Frage nach dem Verhältnis von Realität und Abbild, Original und Kopie, Schein und Sein“ und vermittelt indirekt die Antwort. Es gibt keine.
Dennoch ist es wichtig die Frage zu stellen und sich der fehlenden Lösung bewusst zu werden. Es gibt kein schwarz oder weiß. Echt oder unecht. Richtig oder falsch. Die Antwort steckt in der Kombination gegensätzlicher Positionen zu einer Einheit. Aus der Dunkelheit wird Licht. Aus einem Gesicht werden zwei. Und aus farblos wird bunt.

Auch die weiteren Arbeiten der Ausstellung SIMULACRUM kombinieren die physische und virtuelle Welt, und damit auch das Dasein des Betrachters, auf eine spielerische, gegensätzliche und natürlich künstlerische, visuelle Art und Weise. Es hat Spaß gemacht die Arbeiten zu betrachten und mich mit dem Inhalt auseinanderzusetzen. Für mich hat es Johanna Reich geschafft, Emotionen und Gefühle so abzubilden, dass der Betrachter dabei genügend Freiheit für seine eigene Interpretationen hat, um für sich etwas aus der Ausstellung mitzunehmen. Selbst wenn es nur ein Gefühl ist. Ich geh mit einem guten Gefühl.
SIMULACRUM von Johanna Reich, ist noch bis zum 7. April 2018 in der Galerie PRISKA PASQUER in Köln zu sehen.

Virtual Reality: How To Survive The Hype. Eine Handreichung in 6 Schritten

Alle haben von den Algorithmen gehört, die uns in den sozialen Medien die Inhalte kuratieren. Wir sehen nur, was in unsere Komfortzone passt. Nun wollen Virtual Reality-Enthusiasten wahlweise die Innen- oder die Außenwelt, aber auf jeden Fall das Unbekannte erkunden. Welches Potential hat die Technologie für die Kunst, welche Utopien stecken dahinter? Und was muss man wissen, damit man den Hype um die interaktiven Welten übersteht?

Schwindelgefühlen und Übelkeit vorbeugen

Erst einmal: Wie reagieren Betrachter auf virtuellen Realität? Im Extremfall mit VR sickness. Eine ähnlich starke physische Reaktion auf Kunstwerke ist von besonders empfindsamen Betrachtern aus dem 19. Jahrhundert überliefert, die zum ersten Mal Caspar David Friedrichs “Mönch am Meer” gesehen haben. Heute eigentlich unvorstellbar. VR sick wird man, weil die körperlich empfundene Erfahrung nicht so recht mit dem Gesehenen zusammenfindet. Im Rahmen der Ausstellung ‚Perception is Reality: Über die Konstruktion von Wirklichkeit und virtuelle Welten‘ im Frankfurter Kunstverein lässt das Kollektiv Toast die Besucher derzeit Höhenangst erleben, obwohl sie fest auf dem Boden stehen. Die Gewissheit hat man, aber wenn man runterschaut, sind es 160 Meter bis zum Boden, zumindest virtuell. Auf einem schmalen Brett stehend, lässt sich in “The Plank Experience” ein erhabener Lustgrusel nacherleben. Ganz gefahrlos. Gegen die leichte Übelkeit hilft übrigens Ingwertee.

Toast-Plank_Experience-2016Toast, „Plank Experience“, 2016 Continue reading „Virtual Reality: How To Survive The Hype. Eine Handreichung in 6 Schritten“