Ein großer Stratege war ich nie, gerade in der Kunst verhielt es sich oft so, dass Dinge wenn sie mal als Idee ausformuliert und in die Umsetzung gehen sollten, eigentlich schon ihren Reiz verloren hatten. Es wurde dann Arbeit, und gleichwohl ich eigentlich gar nichts gegen Arbeit habe, wollte ich das in der Kunst eben nie. Kunst das war und ist für mich eine mäandernde Sound-, Text- und Bildspur die sich mal lauter und mal leiser durch das Leben zieht, die manches aufnimmt, vieles reflektiert und vor allem aber Energien als Artefakte externalisiert.
Die Dinge tun um sich von ihnen zu lösen und damit Raum für Neues zu schaffen, dass war immer ein Weg für mich. Das Netz ist dafür gut geeignet, die digitalen Werkzeuge sind billig, schnell aber dennoch mächtig und über das Internet gehen die Sachen zügig und einfach raus. Ich mochte das immer gerne künstlerisch so zu arbeiten, eben ohne große Planungen und wenn ich doch mal welche machte verwarf ich sie meistens, sobald das Interesse für neues Anderes geweckt wurde.
Der Fotograf Frank Thon hat in den vergangenen Monaten mehr als 120 Heiligenhäuschen in den Kreisen Kleve und Wesel aufgesucht. Becker Schmitz hat einzelne Orte medial bespielt. Das Ergebnis dieser Ausflüge ist auf der Webseite das-heiligenhaus.de zu sehen und war die Basis für unser Gespräch über die Verbindung von alten und neuen sowie digitalen und analogen Glaubenssystemen.
fk: Wie findet ihr die Heiligenhäuschen?
ftbs: Zu Beginn war das eher eine Art bewußt machen und verinnerlichen. Dass sie so weit verbreitet sind wurde erst mit der Zeit klar. In erster Linie hat es dazu geführt, erst einmal die Heiligenhäuschen zu rekapitulieren, die Frank kannte. Er hat diese Recherchearbeit sowie die Suche der Orte auf eigene Faust durchgeführt. Durch das Aufsuchen und Dokumentieren der Orte entstanden immer wieder Begegnungen mit Menschen, die auf weitere Standorte verwiesen haben. Zusätzlich gibt es seit Februar die Möglichkeit via Mail Kontakt auf zu nehmen. So wurden uns zahlreiche neue Standorte übermittelt. Überhaupt ist die Resonanz und Wertschätzung, die dieser Arbeit entgegengebracht wird, enorm. Am meisten überrascht und gefreut hat uns ein unaufgeforderter Dankesbrief, des Weihbischofs Lohmann aus Xanten.
fk: Welche Projekte sind aktuell geplant? Gibt es Kooperationen?
ftbs: Seit März arbeiten wir an einer musealen Ausstellungskonzeption. Wir wollen hier sowohl die kulturhistorischen Bezüge aufzeigen als auch unsere künstlerische Konzeption in ein Museum bringen. Es gibt erste Gespräche aber es ist noch zu früh, um einen konkreten Ort und eine Zeit zu benennen.
Auch eine Publikation ist in Arbeit. Im Kern soll es ein Bildband werden, der sich den Fotografien von Frank widmet und die Heiligenhäuser im Stil der neuen deutschen Sachlichkeit dokumentiert. Er soll aber auch einen Blick auf Erbauer und die Geschichten, die hinter den Heiligenhäuschen stehen, aufzeigen. Ein kunsttheoretischer Essay, soll das Phänomen Heiligenhaus diskutieren und neue Betrachtungsweisen befördern.
Hl. Brigitta von Schweden, Foto: Frank Thon9 von 120 dokumentierten Heiligenhäuschen, Fotos: Frank Thon
fk: Kann man sich für eine Kooperation bewerben?
ftbs: Selbstverständlich! Wir haben erst kürzlich eine Installation in Kranenburg realisiert, die sich mit dem regionalen Bürgerverein ergeben hat. Wir stehen Kooperationen und Ausstellungsorten offen gegenüber und freuen uns auch über neue Impulse und Künstler, die mit uns in Resonanz gehen wollen.
Audioreactive Mapping on Random Woodbars And Matt Mottels is Playing them in BerlinAudioreactive Mapping On Oilpainting
fk: Kunst, Digitalität und Religion sind drei große Glaubenssysteme. In den von euch bespielten Heiligenhäuschen kommen alle zusammen. Wie geht ihr mit den Ebenen um, welche Bedeutung haben sie für euch?
ftbs: Indem wir Dogmen ablegen und unsere Neugier, Toleranz und Offenheit für alle „Glaubenssysteme“ als Einstieg in ein Erfahren und Erleben für die Sache nutzen. Für Frank und mich ist es ein Prozess der Erweiterung, ohne die Einzelnen „Systeme“ als gut oder schlecht zu verstehen. Nicht nur im Neuen kann etwas Fremdes liegen, auch alte Brauchtümer wie Heiligenhäuschen können uns fremd und seltsam vorkommen. Es geht im wesentlichen darum, sich dem Fremden zu stellen und den Blick zu weiten. Das gilt natürlich auch für neue Technologien, die Becker für die Kunst erprobt und für die langen Wanderungen, die Frank unternimmt, um die Heiligenhäuschen aufzusuchen.
Mapping on Woodbars Kranenburg
fk: Unter anderem schreibt ihr, ihr wollt einen Dialog zwischen jung und alt, fremd und verwurzelt eröffnen. Warum ist euch das wichtig? Wieso seht ihr hier Bedarf?
ftbs: Das klingt erstmal so, als würden wir uns auf diese Punkte beschränken. Vielmehr ist es aber eine Haltung der Offenheit, die wir in dieser Arbeit praktisch erfahrbar machen. Frank als Fotograf und Becker als bildender Künstler gehen hier in eine Art Wechselwirkung miteinander und natürlich mit dem Motiv. Wir leben oft in einer begrenzten „Bubble“ , die uns als Referenz für Wirklichkeit und Wahrheit dient. Diesen Horizont zu erweitern und zu entgrenzen bedarf einer gewissen Motivation und Bereitschaft. So werden die religiösen Kleinstbauwerke zum Anlass für einen Prozess, den man als Dialog zwischen all diesen Komponenten verstehen kann.
An dieser Stelle müssen sich die Leser folgende Situation vorstellen. Schon allein während des Aufbaus kommt man relativ zwanglos mit fremden Menschen ins Gespräch. Plötzlich ergibt sich eine Situation, in der man beobachtet wird wie man einem Ort mit großer Wertschätzung begegnet, der für das Gegenüber eine besondere Bedeutung hat. Das ist dann eine Basis für Dialog, die wir befördern wollen und für die wir tatsächlich auch einen Bedarf sehen. Dem gegenüber stehen ideologischen Grabenkämpfe, die insbesondere auf Internetplattformen wie Facebook etc. stattfinden und überwunden werden müssen. Deshalb ist es wichtig statt hinter der Tastatur das trennende zu forcieren, vor der Haustüre das verbindende zu Suchen.
Random Rectangles Oberhausen
fk: In eurem Text auf der Website beschäftigt ihr euch mit den Widersprüchen unserer Gegenwart die sich unter anderem in lokal und global, digital und analog, Zukunft und Vergangenheit manifestieren. Wie nehmt ihr diese gesellschaftlichen Strömungen derzeit wahr?
ftbs: Es gibt nicht nur die Menschen, die eine posthumanistische KI-Welt postulieren und darauf hinarbeiten. Es gibt auch die, die diese neue Wirklichkeit erkennen und leben, aber auch in ihrem frisch restaurierten Oldtimer um die Ecke kommen und einen Schrank voller Schallplatten zu Hause haben. Die Welt ist und bleibt im Fluss und voller sinnlicher Eindrücke, die wir verarbeiten. Dies war nur ein Beispiel von vielen und die Geschichte zeigt uns in zahlreichen Facetten, dass es eine Form der ästhetische Renaissance gibt. Vielleicht entspringt das einer Romantik und einem Begehren, die scheinbar tief in uns verankert sind. Wobei es ein Blick in die Glaskugel ist, welche ästhetische Strömung sich als nächstes herausstellt. Das ist die Ästhetische Komponente.
Insbesondere für Frank ist auch die soziale Komponente dieser Arbeit wichtig. Hier zeigt sich ein ländlich traditionell geprägtes Motiv, dass sich dem Zeitgeist entzieht und somit zeitlos ist. Die Heiligenhäuschen sind auch Zeugnis für eine Verflachung von Hierarchie, weil die Gläubigen die Heiligenhäuschen aus einem inneren Antrieb heraus bauen. Dies geschieht ohne Weisung von oben. Dennoch finden die Heiligenhäuschen in der Liturgie statt wie zum Beispiel bei einer Prozession die durch die Kirche selbst durchgeführt wird.
Künstlerisch zeigt sich die Faszination für Traditionelles und Neues auch in den Arbeiten von Becker. Die Installationen werden real gebaut und als Scan in einen Datensatz transformiert, der dann als Grafik für eine Licht oder AR-Projektion auf der Installation selbst stattfindet. Jeder Arbeitsschritt ist von Bedeutung und wird zur Bedingung für das finale Werk. Ebenso gilt das für die Fotografie von Frank, der hier ein auf handwerkliches Know-how und eine künstlerische Tradition zurückgreift, wenn er Lichtmessung durchführt und den Bildraum festlegt, bevor er auf den Auslöser drückt.
fk: Was reizt euch an der Verbindung zwischen analoger und digitaler Ästhetik, lässt sich das überhaupt definieren?
ftbs: Bezogen auf die Heiligenhäuschen ist es sogar mehr als das. Hier erleben wir die Verbindung von zwei Menschen die völlig unterschiedliche Ansätze verfolgen und bereit sind, sich aufeinander ein zu lassen. Generell und bezogen auf die Arbeit von Becker lässt es sich wie folgt beschreiben: es gibt einen Rahmen für Präsentationsformen, die eine Rezeptionsästhetik vermitteln können und in diesem speziellen Fall an ein technisches Gerät wie unser Smartphonedisplay oder einem Projektor gebunden sind. Diese Rezeptionsästhetik wird dann ein wichtiger Parameter für die Verwendung und Konzeption in einem Kunstwerk. Aber das ist eine grundsätzliche Angelegenheit, über die wir uns als Kunstschaffende bewusst werden müssen. Jeder Display, ob Leinwand, Plasma oder die Oberfläche einer Skulptur ist immer ein immanenter Bestandteil des Kunstwerks selbst, dass mit uns kommuniziert. Es ist also eine Sichtweise auf die Rezeptionsästhetik und die Bewusstmachung von Materialität, die alles zum Kunstwerk machen kann. Analog wie digital.
RGB-Mapping on Painting and Space Becker Schmitz Studio
fk: Becker Schmitz, du kommst wenn ich das richtig sehe, aus der Malerei, woher stammt die zunehmende Begeisterung fürs Digitale und seit wann geht es bei dir verstärkt in die Richtung?
bs: Ja, ich komme aus der Malerei. Habe aber schon immer interdisziplinäre Projekte verfolgt. Zudem sehe ich mich nicht als Künstler, der digitale Medien oder Digitalisierung selbst zum Inhalt macht.
Ich stelle mich vielmehr einer Wirklichkeit, die mich neugierig macht und frage mich, ob ich eine Sache für die Kunst urbar machen kann. Diese Haltung und Neugier ist also Antrieb, mich mit großer Skepsis und Freude in etwas neues vorzuwagen. Das ich genau in diese Zeit hineingeboren wurde, ist schlichtweg Zufall. Auch in der Malerei habe ich mich stets für Maltechnik und Maltechnologie interessiert und habe einen sehr wissenschaftlichen Blick auf Arbeitsprozesse.
fk: Becker Schmitz, du arbeitest aktuell an einem Projekt für das Lehmbruckmuseum, wie ich auf facebook gesehen habe. Was machst du da und was hat es mit ‚me and my machine’ auf sich?
bs: Me and My Machine ist der Titel für eine Gruppenausstellung, die im Lehbruckmuseum stattfindet. Hier zeigen Künstlerinnen und Künstler eine Ausstellung, die neue digitale Wege in der Kunst erprobt und als eine Bedingung für Skulptur erfahrbar macht. Ich habe hierfür eine Augmented Reality Projektion mit realen Skulpturen kombiniert.
Installationsansicht Lehmbruckmuseum „me and my machine“
fk: Becker Schmitz, die Farben deiner Bilder näheren sich RGB Farben an. Du experimentierst und arbeitest mit Augmented Reality and Projektionen. Ist Kunst, die nicht leuchtet, überhaupt noch zeitgemäß?
bs: Was zeitgemäß ist, lässt sich immer erst im Nachgang verorten, viel wichtiger ist doch, dass ein Kunstwerk zeitlos ist. Die RGB Farben sind ein Abbild der Gegenwart und fließen auch in meine Malerei ein, weil sie einer Farbästhetik unser Gegenwart entsprechen. Sie sind aber auch ein begrenzter Rahmen, den es zu entgrenzen gilt. Ein direkter Zugang in unsere gegenwärtige Farbwahrnehmung, die sich über digitale Displays etabliert hat aber durch die Malerei und Kunst neu gedacht werden kann. Meine Malerei ist also eine Form des visualisierten Denkens und ich resümiere und entgrenze sie, um aus der platonischen Höhle herauszutreten.
fk: @beckerschmitz und @frankthon: Hypethema NFT. seit ihr dran? Wie steht ihr dazu?
ftbs: Das ist ein Hypethema, ja. Vordergründig sollen so digitale Originale authenifiziert werden. Bei genauerem Blick stellt sich heraus, dass dies eher ein Hebel für den gegenwärtigen Kunstmarkt ist. Vorerst komme ich zu dem Schluss, dass die NFT Kunst eine begrenzte Kunst ist und nicht dem Erkenntnisgewinn dient, sondern dem Markt. Nichts desto trotz widme ich mich zur Zeit auch den NFTs und Cryptoprojekten, um diese Kunstform neu zu denken. Ein Kunstprojekt aus Frankfurt finde ich besonders herausragend. Es nennt sich „Dadacoin“, ein Projekt von René Schohe und Il-Jin Atem Choi. Schaut einfach mal vorbei!
fk:Danke Euch vielmals für das Gespräch und die Zeit. Weiterhin viel Erfolg!
Mit dem Phänomen der Nonfungible Tokens, kurz NFTs, entsteht neben dem etablierten Sozialsystem Kunst eine neue, technologische Infrastruktur, welche in der Lage ist zentrale Aufgaben des Kunstsystems anonym und effizient zu organisieren: Zum einen die fälschungssichere Beglaubigung von Original, Einzigartigkeit und den Besitzverhältnissen von Kunst und zum anderen darüber hinaus die Generierung der Aura des original Kunstwerks im digitalen Raum des Internets.
Kennen sie diesen Mann hier? Vor etwas mehr als 20 Jahren wurde er von der Mehrheit der damals etablierten Händler für seine merkwürdige Idee belächelt Bücher über das Internet verkaufen zu wollen. Nun 2021 da der Einzelhandel darbt und die Innenstädte veröden, ist den allermeisten seiner damaligen Spötter das Lächeln vergangen, während sein Unternehmen vor Kraft kaum laufen kann weil die Gewinne nur so sprudeln. Der Rest ist Geschichte, die sich zwar nicht eins zu eins wiederholt, aus der man aber dennoch lernen kann, wenn man denn möchte. Und ich bin der Meinung die aktuellen NFT-Spötter unter den Künstlern und in den Institutionen des Kunstsystems, die mit dem Festhalten an Aura, Original und Unikat lange Zeit erfolgreich ihre Bastionen gegenüber den Disruptitionskräften der kapitalistischen Digitalisierung verteidigen konnten, sollten dies tun. Zumindest aber, so glaube ich, sollte man sich dort einmal mit der Frage beschäftigen, ob man sich in ein paar Jahren nicht vielleicht doch auch in einer ähnlichen Situation befinden könnten, wie es etwa der lokale Einzelhandel in Bezug auf dem Ecommerce heute ist.
Mit dem Erscheinen von NFTs auf der digitalen Bühne ist neben den etablierten Händlern, Messen und Museen nun ein ganz neuer Player erschienen, der nicht nur den Kunsthandel revolutionieren, sondern auch die etablierten Mechanismen der Kunstwerdung und Setzung nachhaltig umgestalten könnte. Denn NFTs sind mehr als Bezahl- und Verwaltungssystem, die Idee dahinter verfügt über eine im Kapitalismus herausragende Macht, die offiziell den Künstlern, in Realität aber dem komplexen sozialen System der Kunst vorbehalten war: NFTs sind in der Lage im Zusammenspiel aus Kryptogeld, Blockchain und Publikumsnachfrage einzigartige Entitäten, sprich Originale, zu beglaubigen. Das auch noch ausgerechnet dort, wo bis vor Kurzem nur die unendliche verlustfreie Reproduzierbarkeit vorherrschte, im Netz. NFTs erschaffen blockchainbasierte Einzigartigkeiten und definieren neu was echt und was falsch ist, vor allem aber wem das gehört.
Damit ist relativ unbemerkt neben dem sozialen Kunstsystem ein weiteres technosoziales System entstanden welches in der Lage ist distinkte, unveränderliche und darüber hinaus fälschungssichere Zustände aus der Masse der gleichen Dinge heraus zu erschaffen. Und während es zu Beginn der industriellen Revolution noch die Künstler waren die sich dieses Privileg durch geschickte Schachzüge sicherten, definiert dies nun der Mark in seiner reinsten Form, in dem dieser sich in Form von fälschungssicheren Unikate im wahrsten Sinne des Wortes in die Blockchain einschreibt.
Die Frage die sich nun stellt, ist wie sich das neue System in das Bestehende einfügt, ob es sich überhaupt einfügt, ob es eine Koexistenz geben kann oder ob es nicht doch, wie aktuell im Einzelhandel zu beobachten, zu einer brutalen Verdrängung kommen wird. All denen die nun müde lächelnd meinen das könne ganz sicher niemals passieren, weil Kunst ja etwas ganz eigenes mit besonderen und sehr speziellen Regeln sei, dem möchte ich noch einmal kurz diesen Herrn in Erinnerung rufen, hier auf diesem Bild zu sehen vor seiner Zeitung, der altehrwürdigen Washington Post die er aus der Amazon Portokasse zum Gegenwert von schlappen 3,67 ‚BEEPLE – THE FIRST 5000 DAYS‘ erworben hatte.
Und auch wenn der aktuelle NFT-Hype den Weg aller Hypes und damit sicherlich noch Mal zurückgehen wird, so wird das Thema dann im zweiten Schub mit voller Kraft zurück kehren. Ich wage die These, dass es auch hier mit der Digitalisierung genauso laufen wird, wie es mit allen Digitalisierungsschüben der letzten 30 Jahre lief: das Bestehende wird zumindest teifgreifend transformiert, nicht selten aber auch verdrängt. Spätestens seit diesem Jahr 2021 hat die Sache massive an Fahrt aufgenommen und wird wohl – so ist zumindest meine und die allgemeine Einschätzung in meiner Bubble – bleiben. Die Blockchain Technologie und damit die darauf basierenden NFTs haben sich aus einem Nischendasein in das breite Bewusstsein hinein entwickelt, vorangetrieben natürlich durch die extreme Wertsteigerungen des Bitcoin, befeuert durch darauf basierende unglaubliche Spekulationsgewinne mit Cryptowährungen, sowie einem gleichzeitig erodierenden Vertrauen in die Verlässlichkeit und Handlungsfähigkeit von Staaten, Zentralbanken und den zugehörigen Institutionen. Und dieser Vertrauensverlust in Politik und Institutionen, kombiniert mit der steten Lust an der schöpferischen Zerstörung und darauf basierender Gewinne wird die Suche nach Alternativen auch in den kommenden Jahren weiter vorantreiben. Gleichzeitig wird die Blockchain Technologie in Verbindung mit Internetprojekten wie Elon Musks Starlink vor allem in Dritte Welt Staaten und Schwellenländern ihre Kraft entfalten, in dem dort auf einmal die Möglichkeit entsteht Eigentumsverhältnisse zu organisieren wo dies vorher nicht möglich gewesen ist. So haben nach Angaben der Weltbank mindestens 50 Prozent der lateinamerikanischen Bevölkerung kein Bankkonto und damit keine Möglichkeit, ihr Geld zu schützen. Gleichzeitig verfügen nur etwa über 113 Millionen Menschen über eine Bankkarte. Im Vergleich zum Internet, mit dem 387,2 Millionen Menschen täglich verbunden sind. In solchen Konstellationen macht Blockchain und Fintec nämlich durchaus Sinne und erfährt damit natürlich auch die notwendige Akzeptanz. Während der Kapitalismus in den Hochtechnologienationen in den kommenden Jahren wohl eher einer kollektivistischen Transformation unterliegt, werden die Regionen der Schwellenländer weiter ihr Glück in Wirtschaftswachstum und einer prosperierenden Ökonomie suchen. Nicht auszuschließen ist dabei, das Projekte wie Dekolonialisierung von Kunst im Zusammenhang mit der Blockchain die nächste Generation von NFT-Künstler in Äthiopien, Bangladesch oder im Amazonas Urwald heranreifen lässt, während die klassische westliche Kunst mit dem verschwindenden Einfluss des Bürgertums in Europa und USA eher ein Nischendasein fristen wird bzw sich immer stärker mit dem Feld des politischen Aktivismus vermengt und eventuell darin auflöst, so wie Wolfgang Ullrich das bereits in seinem Essay zu einem möglichen Schisma der Kunst treffend beschrieben hatte.
Mit der Entwicklung der NFTs etablieren sich nun Strukturen, die Abseits und unabhängig vom Kunstsystem mit seinen komplexen sozialen und politischen Regeln in der Lage sind, Unikate zu beglaubigen und damit zu erzeugen. Natürlich ist die damit verbundene Vorstellung einer angeblichen Demokratisierung von Kunst propagandistischer Unsinn, wird damit nicht jeder zum Künstler und nicht alles zur Kunst (das hatten wir ja schon). Aber jeder Internet User mit ausreichend sozialem Kapital, Followerpower und Reichweite, wird nun zum potentiellen Erzeuger von digitalen Originalen und zwar ganz ohne sich dem elitären Dünkel, den komplizierten Netzwerken der Kunstwelt andienen zu müssen – (hello again Autonomieversprechen). Museumsdirektoren, Kuratoren, Galeristen und andere Gatekeeper des Kunstbetriebs haben aktuell keinen oder wenn dann nur wenig EInfluss auf die Wertschöpfungs- und Werdungsprozesse der NFT-Welt, es wird sich zeigen wem es gelingt hier einen Fuß in die Tür zu bekommen, so wie es etwa der Galerist Johann König zusammen mit der Kuratorin und Kritikerin Anika Meier aktuell versucht hat.
Es bleibt abzuwarten wie sich all das weiter entwickelt und wer in diesem Spiel in Zukunft die Regeln gestalten kann, und natürlich werden sich auch hier neue Machtstrukturen herausbilden die definieren wollen was gut und was schlecht ist. Die entscheidende Frage für die Protagonisten des etablierten Kuntssystems ist aber ob es zu einer Synthese aus dem Etablierten und dem neuen digitalen Sytem kommen wird, oder ob es auf einen Wett- und Verdrängungswettbewerb hinaus läuft. Denn es ist nicht auszuschliessen, dass sich der ästhetische Wert der NFT-gehandelten Werke auch aus der Ablehnung von Seiten des etablierten Kunstsystems speist, dass Kyptowerke also gerade deshalb so erfolgreich sind, weil sie nicht Kunst sein wollen. Neu wäre es nicht, die Kunstgeschichte ist voll von diesen Brüchen zwischen Kunst und Antikunst.
Dem Wesen der Kunst selber ist all das natürlich erstmal gleich, es wird in irgendeiner ästhetischen Form überdauern, sich anpassen und sich auch in Zukunft immer wieder dahingehend neu erfinden, in dem Kunst eben die Formen annimmt die den Umständen und Anforderungen der Zeitgenossen entsprechen. Dem aktuellen Kunstsystem, den Institutionen und den darin agierenden Protagonisten die zur Subsistenzsicherung auch in Zukunft auf die bestehenden etablierten Machtstrukturen angewiesen sind, kann all das aber vielleicht doch nicht ganz so gleichgültig sein, sie müssen sich wahrscheinlich in irgendeiner Form mit diesem Wandel auseindersetzen wenn sie überleben wollen.
Vielleicht werden sich Sehgewohnheiten in ganz banaler Weise ändern und nur das noch ästhetisch, visuell reizvoll erscheinen was vom Licht der Displays erleuchtet wird, oder vielleicht wird bald nur das noch einen Wert haben was inhaltlich die Narrative und Kontexte der Netz, Krypto und Gamingkultur reflektiert, weil eben das die Kontexte sind in denen sich unser hybrider Alltag nun abspielt.
ART LOOK MUCH BETTER ON, Florian Kuhlmann im Museum der bildenden Künste, Leipzig, „Link In Bio“, 20219
Sollte eine Koexistenz der beiden Systeme nicht funktionieren, scheint das technologiebasierte NFT-System aktuell im Vorteil, benötigt es doch nicht die komplexen sozialen Interaktionen der Kunstwerdung um Originale zu erzeugen, sondern schafft diese eben direkt global zugänglich im Netz, dort wo der Markt sie von überall aus annehmen kann.
Abschließen bleibt anzumerken, dass Kunst und Kunstmarkt natürlich nicht immer gleich zu setzen sind, dass es durchaus interessante, wichtige künstlerische Werke, Ästhetiken, Programme und Prozesse gibt, die nicht vom Markt erschlossen sind, sich ich auch nicht erschließen lassen, und dass wie hier eben nicht über das bereits so oft angekündigte Ende der Kunst sprechen. Auch über die ästhetische Bewertung inklusive der zugehörigen Narrative und Kontexte der NFT-gehandelten Werke, inklusive der Frage ob diese Kunst sind – Spoiler: ja sie sind es weil sie als solche von Menschen anerkannt werden – ist natürlich separat zu diskutieren. Wenn es aber darum geht zu definieren welche zeitgenössische Kunst die wertvolle und damit eben doch in den allermeisten Fällen die gemeinhin relevante ist, kommen wir um den Markt mit seinen besonderen Regeln nicht umhin. Und diese Regeln basieren maßgeblich auf dem Faktor der Einzigartigkeit und der Idees der Aura des Originals, die nirgends so ausgeprägt war wie in der Kunst, was wiederum kontrollierte Knappheit garantierte, den etablierten Gatekeepern die Macht sicherte und zu exorbitanten Preisen führte. Dieses Privileg der Verknappung von Unikaten, garantiert durch das einzigartige Wesen des sozialen Systems der Kunst steht nun aber zumindest zur Disposition.
Der Kölner Künstler und Kurator Thomas Zitzwitz sammelt und experimentiert mit NFTs. Die Verbindung zu ihm kam über das letzte Projekt Roland Schapperts bei David Behning zu stande, auf sein NFT Engagement bin ich dann allerdings erst eher zufällig via twitter aufmerksam geworden. Und da ich aktuell – wie sagt man derzeit so schön – ziemlich bullish bin was NFTs angeht, war ich neugierig und wollte mehr wissen. Dankenswerterweise hat sich Thomas die Zeit genommen mir ein paar Fragen zu beantworten.
Pupila Dilatada Flyer – PSYCHEDELIC CRYPTOART SHOW MARCH 25 2021
fk: via twitter habe ich gesehen, dass du dich mit NFTs beschäftigst, sowohl als sammler als auch als produzent. ist das richtig und was interessiert dich generell am thema NFTs?
tz: Der Hype um NFTs hat bestimmt viel mit der Corona Pandemie zu tun. Zur Zeit ist es nur sehr eingeschränkt möglich, originale Kunst zu sehen. Es bleiben Online Viewing Rooms der Galerien, Messen, Museen, Instagram und Co. und eine schier endlose Anzahl von PDFs, die täglich ins Email-Postfach flattern. Sehr schnell ermüdet man auch als hartgesottener Kunstbegeisterter, sei es als Sammler*in oder als Künstler*in.
Als Künstler interessierten mich schon immer die aktuellen Strömungen in der zeitgenössischen Kunst. Ich habe 1992 an der Hochschule für Gestaltung im Gründungssemester mit dem Studium der Medienkunst begonnen. Früh habe ich mich für neue Formen in der Kunst interessiert, als Künstler insbesondere für die Video- und Klanginstallation und eine neue Form, die ich Situation mit Geruch genannt habe.
Wenn ich mir Kunstwerke anschaue, die auf den Plattformen hicetnunc.xyz, foundation.app, makersplace.com oder superrare.co gezeigt werden (um nur einige „Ausstellungsorte“ zu nennen), so sind diese in einer Blockchain als NFTs per Zertifikat hinterlegt. Ich schaue mir also das originale Kunstwerk auf meinem Computerbildschirm an, auch wenn ich in Zeiten von Corona während der Ausgangssperre auf meinem eigenen Sofa sitze und nicht in die Museen, Galerien und Kunstvereine gehen kann. Das hat für mich einen besonderen Reiz, denn ich schaue mir ja nicht die Kopie, das Foto oder die Dokumentation einer Malerei, Skulptur, Installation oder eines Filmes an, sondern das Original.
Dabei möchte ich nicht verschweigen, dass mich nur sehr wenige NFT-Kunstwerke ansprechen oder begeistern. Aber es gibt diese durchaus, und das Entdecken eines solchen Werkes ist es manchmal wert, dass ich mich durch Hunderte, ja Tausende von Arbeiten in rasendem Tempo geklickt habe. Ich denke aber auch, dass wenn die Pandemie überwunden ist, und ich wieder Ausstellungen, Biennalen und Messen besuchen kann, der Reiz von NFT-Kunstwerken abnehmen wird. Ganz verschwinden wird er aber bestimmt nicht.
tz: Die Kritik kann ich verstehen, da auf dem Gebiet der NFTs sehr viel Spekulation im Spiel ist. Auch die aberwitzigen Kursschwankungen der Kryptowährungen verstärken diese. Andererseits gibt es aber auch in der sogenannten traditionellen Kunstwelt viel Spekulation, ich erinnere nur an die nach Jerry Saltz benannte Blase des Zombie Formalismus in der abstrakten Malerei.
Ich persönlich habe bisher nur sehr wenig teure als NFT hinterlegte Kunstwerke gefunden, die mich wirklich interessieren. Eigentlich gar keine. Momentan sind die Arbeiten, für die ich mich als Sammler interessiere im Vergleich zum Durchschnittspreis der auf einer Art Basel gehandelten Werke geradezu absurd preiswert. Dies kann sich natürlich auch schnell ändern. Wir Künstler*innen haben darauf meist keinen Einfluss und sind oft die Leidtragenden dieser Spekulationsblasen. Hier sehe ich aber keinen Unterschied zwischen NFT- und herkömmlicher Kunstszene, nur dass die erstere noch in den Kinderschuhen und wahrscheinlich in einer Art anfänglichem Hype steckt.
Kritik an NFT-Kunst sehe ich vor allem bezüglich des Umweltschutzes als gerechtfertigt an. So verbraucht das Herstellen eines einzigen NFTs auf der Etherum Blockchain sehr viel Energie. Es gibt aber Konzepte, die diesen Energieverbrauch auf ein Minimum reduzieren, so das „Minten“ auf der Tezos Blockchain für die Hicetnunc.xyz Plattform.
fk: welches sind deine derzeitigen lieblingsstücke und von wem?
tz: Mich interessieren zum einen vor allem künstlerische Arbeiten, die den spezifischen Möglichkeiten von NFT-Kunst gerecht werden. Dies sind Werke, die bisher der Medien-, Netz- Videokunst zugeordnet wurden. Arbeiten, die ich am Bildschirm wirklich als Originale erfahren kann. Hier sind die Möglichkeiten noch nicht erschöpft, und ich entdecke jeden Tag neue Arbeiten und Konzepte, die diese Möglichkeiten ausloten. Auch spannende interaktive Konzepte. Zum anderen interessieren mich digitale Kunstwerke aus den letzten 20-30 Jahren, die auf den aktuellen Plattformen auftauchen, die aber in der Vergangenheit schwer zu rezipieren waren, weil die Foren hierfür fehlten oder ein Schattendasein führten.
INFINITE LAND – infinite land of thousands and thousands and thousands of digital dreams. for the 552 × 736 2021 by @renatachebel. #OBJKT4OBJKT #cleanNFT #NFTart #NFTartist #womenoftech #tezos $xtz
fk: wie findest du reizvolle neue NFTs und wo?
tz: Zunächst musste ich mich eine ganze Weile lang im Dschungel der verschiedenen Blockchains und Plattformen zurechtfinden und war enttäuscht, nichts Interessantes zu finden. Erst nach und nach habe ich Künstler*innen gefunden, die in dieser Szene aktiv sind und die mich wirklich begeistern. Meist sammeln wir Künstler*innen auch selbst die Arbeiten der anderen, und so konnte ich mich von einem zum nächsten Hangeln und habe so schnell Einblick in spannende Welten gefunden. Während dieses Prozesses habe ich auch Einblick in Bereiche gefunden, die ich in den Museen und Galerien eher selten gesehen habe, Bereiche aus der Illustration oder animierte GIF-Kunstwerke, Stop Motion, Glitch Art, Kunst die auf Videospielen basiert, you name it… auch Werke von Künstler*innen aus Gegenden dieser Welt, die in unserem westlichen Kunstkanon nur ganz selten auftauchen.
fk: du produzierst auch selber NFTs, welches sind deine aktuellen Arbeiten?
tz: Während der Pandemie habe ich zunächst eine Passion für das Malen von Aquarellen entwickelt. Viele meiner geplanten Ausstellungen und Messebeteiligungen waren abgesagt worden, und so machte es mir wenig Sinn, große Arbeiten zu malen, die mein Kölner Atelier blockierten. Die Arbeit an den Aquarellen hatte etwas Erfrischendes, etwas Leichtes und Befreiendes… zur Not konnte ich bei Ausgangssperren diese Arbeiten auch zuhause, in der Natur oder irgendwo anfertigen, wo ich auf Grund von Reisebeschränkungen gestrandet war. Und es war eine Herausforderung in diesem klassischen Medium etwas zu malen, das heute seine Daseinsberechtigung hat.
SoIsingthesongoflove – Julia set generated from a watercolor by Thomas Zitzwitz
Gleichzeitig wuchs auch die Zeit, die ich allabendlich vor meinem MacBook verbrachte. Hier stieß ich auf die NFT-Mania und dies war wie ein Sog für mich… zunächst konsumierte ich nur, kaufte und sammelte NFTs bis ich mich an meine eigenen ersten Versuche wagte… hierfür wollte ich etwas Neues machen und zunächst eher nicht meine früheren medialen Arbeiten benutzen. So berechnete ich aus meinen aktuellen Aquarellen sogenannte Julia Sets, die ich dann in kleiner Auflage für einen symbolischen Betrag für einige Tezos auf der mir am umweltfreundlichsten und künstlerisch auch interessantesten erscheinenden Plattform hicetnunc.xyz stellte. Im Nu waren diese verkauft und interessanterweise lernte ich hierüber wieder Sammler*innnen kennen, die an meinen Malereien interessiert waren… Vor allem konnte ich mich aber auch hierüber mit andere Künstler*innen austauschen, auch Dank dem neuen Clubhouse-Phänomen und der Twitter-Rennaissance…
fk: vielen dank für das gespräch und die damit verbundenen einblicke.
Anmerkung aus der perisphere: Um auf der Plattform hicetnunc.xyz eine der genannten Arbeiten zu erwerben braucht Ihr eine Tezo-taugliche Wallet (eine art Portemonnaie) für Eure Cryptowährung, in diesem Fall dann eben Tezo (Handelskürzel ist XTZ). Diese Währungen könnt ihr auf Plattformen wie crypto.com oder coinbase.com im Tausch gegen Fiatwährung (Euro, Dollar) erwerben. Wallets gibt es unter anderem als Browserextensions unter templewallet.com oder walletspire.com, außerdem auch als Desktop-Applikationen wie etwa https://cryptonomic.tech/galleon.html. Und bitte: Alles was ihr tut, macht Ihr natürlich auf eigenes Risiko.